Hakuin Zenji (1686-1769) beschäftigte sich in seiner Schrift Yasen kanna (Nächtliche Plauderei auf dem Boot) mit einer Gesundheitsmethode, die "Innenschau" (naikan) heißt. Am Interessantesten erscheint mir das Vorwort, das von Kitô, dem "Hungernden und Frierenden", stammt. Ein Auszug:
"Wenn man bei der Zen-Meditation die Kontrolle über das Feuer des Herzens verliert, werden Körper und Geist erschöpft und die Eintracht der Fünf Speicherorgane wird durcheinander gebracht. Diese Krankheit, welche von keiner Heilkunst kuriert werden kann, ist ein Fall für das Geheimnis der Zinnober-Schulung*. Wenn man diese Übung praktiziert, werden ganz gewiss bedeutende Ergebnisse erlangt. Um dieses Geheimnis zu erlernen, ist es zunächst notwendig, in einen tiefen Schlaf fallen zu wollen. Zunächst schließt man die Augen; und wenn man dann einzuschlafen beginnt, streckt man kräftig beide Beine durch, lässt die fundamentale Lebenskraft (yuan-qi) am Nabel kreisen und von da aus das 'Meer der Energie' (qihai), das Zinnoberfeld (tanden)**, Hüfte und Beine, Fußsohlen und Herz erfüllen.
Dieses Meer der Energie und das Zinnoberfeld, Hüfte und Beine, Fußsohlen und Herz sind mein 'ursprüngliches Angesicht' (honrai no menmoku, 'das Gesicht vor der Geburt'). Was für ein Aussehen hat dieses ursprüngliche Angesicht? Das Meer der Energie und das Zinnoberfeld sind meine eigentliche Heimat. Das Meer der Energie und das Zinnoberfeld sind das Reine Land (jôdo) meines "Nur-Bewusstseins" (yui-shin). Was ist das Würdevolle dieses Reinen Landes? Das Meer der Energie und das Zinnoberfeld sind der Amida meines eigenen Leibes. Wie erläutert dieser Amida meines eigenen Leibs den Dharma?
Wenn man derart wiederholte Male nachdenkt, dann wird die fundamentale Lebenskraft des Leibes schließlich Hüfte und Beine, Füße und Herz erfüllen. Unterhalb des Nabels wird sie sich ansammeln wie ein Flaschenkürbis, wie ein fest gefüllter Lederball. Wenn man diese Übung ein bis drei Wochen fortsetzt, dann werden Erschöpfungen und Beschwerden sowie Stauungen der Vitalkraft (...) geheilt werden. (...)
Die Krankheit eures Gemüts ist vollständig geheilt, doch seid ihr damit zufrieden? Wenn man genesen ist, will man sich nicht mehr zur Meditation hinsetzen; wenn man zu erwachen beginnt, dann soll es rasch geschehen. Auch ich litt in jungen Jahren an schwer zu heilenden, ernsthaften Beschwerden (...) und ich dachte mir, dass ich lieber tot wäre. Durch glückliche Umstände wurde ich schließlich über das Geheimnis der Innenschau belehrt; und wie auch ihr konnte ich dadurch vollständig geheilt werden."
[* Anm: Ein Begriff der inneren Alchemie; Metapher für innere Umgestaltung. ** Das untere Zinnoberfeld liegt zwischen Nabel und Nieren, das mittlere in der Herzgegend, das obere im Hirn.]
[Foto, mit Gruß an A.: Keller (Kambodscha); Quelle: Dr. Julian Braun: Zen und die Kunst, das Leben zu nähren. Ein Beitrag zur Yangsheng-Tradition im Japan der Tokugawa-Zeit. Grin-Verlag 2009.]
Achtung, diese Naikan-Methode hat nichts mit der gleichnamigen Innenschau zu tun, die Ishimoto in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte!
AntwortenLöschenDetlev Bölter