Er kam herüber und deutete auf seinen Computer. Da sind mindestens eine Million Worte drin gespeichert, sagte er.
Nimm ein paar heraus und zeig sie mir, forderte ich.
Mit ziemlicher Begeisterung führte er vor, wie man das macht und drückte verschiedene Tasten, die eine Zeile mit Worten auf den Bildschirm brachten: Meister Zhidings Abhandlung über das Sutra der Großen Gelübde von Bodhisattva Ksitigarbha. Diese Zeile wurde gelöscht und von einem eng geschriebenen Text ersetzt, der wohl buddhistische Terminologie erläuterte.
Ich rückte näher heran, um die seltsame Kombination von Worten besser erkennen zu können, die nur verständlich wurden, wenn ich sie laut vorlas. Also las ich: puti sachui, mohe puti zhidi sachui, abgekürzt zu pusa*. Puti ist jue, das „erwacht“ bedeutet, sachui ist youqing, was „Wesen“ heißt. Oh, Bodhisattva heißt also „erwachte Wesen“. Puti ist auch dao, was „erleuchtet“ heißt, und sachui ist zhongsheng, was „fühlende Wesen“ bedeutet, also kann mohe puti zhidi sachui auch „erleuchtete, fühlende Wesen“ heißen. Mohe ist da, was „groß“ bedeutet, und zhidi ist xin, was „Geist“ heißt, also bedeutet mohe puti zhidi sachui sogar „höchster erleuchteter Geist aller fühlenden Wesen“. Ich begann zu lachen, weil dies vorzulesen mir wie ein Training meiner Kiefermuskeln erschien, wobei diejenigen beansprucht wurden, die ich in der Alltagssprache nicht benutzte. Ich fragte: Papagei**, was hat es für einen Sinn, all dieses Zeug zu behalten?
Er arbeitete an einem Bühnenbild für die Prajna-Tanztruppe und hatte dafür alle Arten von Material gesammelt, ob sie nun relevant waren oder nicht. Ich stellte ihn auf die Probe: Was heißt prajna?
Er tippte auf eine Taste und eine weitere Reihe Worte erschien. Ich las: Prajna ist Weisheit. Es existieren drei Arten von unterscheidender Weisheit: Es gibt keinen Unterschied zwischen konkreten Objekten, es gibt keinen Unterschied zwischen abstrakten Ideen und es gibt keinen Unterschied in allen Bereichen. Ich grübelte darüber nach, als würde ich auf einem Stängel Binsengras kauen. Sehr interessant.
* Bodhisattva, das Ideal eines selbstlosen buddhistischen Heiligen.
** Spitzname.
** Spitzname.
[Ausschnitt aus dem Roman "Notizen eines einsamen Mannes" von Chu Tien-wen, der Stamm-Drehbuchautorin des bekanntesten taiwane- sischen Filmregisseurs Hou Hsiao-hsien. Der Roman erscheint voraussichtlich im Sommer 2010. Copyright: Angkor Verlag.]
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