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Über Klone und Straßenretreats

Einst wunderte ich mich über das Niveau, auf dem zwei Themen  in der Zeitschrift Lotusblätter diskutiert wurden. Das erste betraf die Entwicklung der Genforschung und Biotechnologie, die die DBU (Deutsche Buddhistische Union) zu einer offiziellen Ablehnung der verbrauchenden Embryonenforschung, Präim- plantationsdiagnostik und des sogenannten therapeutischen Klonens veranlasste. Die Argumente der DBU lesen sich so, als würde bei einer Fortentwicklung dieser Forschung die Lehre des Buddhismus bedroht. Weniger Leiden könnte ja weniger Buddhismus bedeuten. Denn der Sinn der meisten kritisierten Methoden ist eben jener, menschliches Leid zu verringern. Fragen Sie die Eltern von Kindern, die unter Krankheiten leiden, die mithilfe solcher Forschungen heilbar werden können. Wenn die DBU fordert, materielle Verbesserungen dürften nicht die „geistige Befreiung“ des Menschen verhindern, übersieht sie, dass Leiden, d. h. zum Beispiel unsägliche Schmerzen, nicht automatisch geistige Fortschritte bedeuten, sondern spirituelles Wachstum sogar verhindern können. Ich bin davon überzeugt, dass mehr Buddhisten mit Darmkrebs schmerzmittelbetäubt im Bett liegen als mit einer solchen Krankheit im Spätstadium den Lotossitz einzunehmen. Die pauschale Ablehnung der angesprochenen Forschungsmethoden ist somit kontraproduktiv.

Auch die Definition menschlichen Lebens im Sinne des Christentums kann ich nicht nachvollziehen. Im Buddhismus geht es immer wieder ums Bewusstsein. Welches Bewusstsein wird zwei gerade vereinten Zellen unterstellt? Welches einem Embryo? Wollen Sie behaupten, dass ein Embryo bereits ein dualistisches, ein unterscheidendes Bewusstsein besitzt? Das wird alles nicht klar gesagt. Da in einigen Ländern etwa die Präimplantationsdiagnostik erlaubt ist, werden wir mit einer Ablehnung nur das gleiche Problem wie damals mit dem Verbot von Abtreibungen haben – Menschen fallen in fortschrittlichere Länder ein, um die in ihrer Heimat verbotenen Methoden in Anspruch nehmen zu können. Die Stellungnahme der DBU betrachte ich als deutsch und auf christlicher Moral fußend – nicht stringent in ein buddhistisches Weltbild integriert.

Als ich das Foto eines Zen-Lehrers sah, wie sich so sein Knie beim Straßenretreat in die Luft reckte, und kurz danach eine Doku über einen seiner Schüler (An-Shin Thomas) im Fernsehen, da fragte ich mich ebenfalls, was das soll. Ich verstehe durchaus, dass ein Jude sich intensiv mit Auschwitz beschäftigt. Auch, dass ein Vietnamveteran sich mit dem Töten und Gewalt auseinandersetzt. Da Aktionen wie Retreats in Konzentrationslagern und unter Obdachlosen aber eine sozial-politische Dimension annehmen, schaue und höre ich genau hin, was über diese Dinge gesagt wird. Wenn man heute in ehemaligen KZs Deutschlands Retreats macht, ist einem da bewusst, wie sich hier die Dinge gewandelt haben? Ich habe einen Überfall auf offener Straße beobachtet, die Polizei per Telefon verständigt und den Tipp gegeben, einen Streifenwagen zu kontaktieren, den ich drei Minuten zuvor passiert hatte. Der würde die Verfolgung des Täters am schnellsten aufnehmen können, er stünde untätig vor einem  Haus. Als ich sagte, wo, wurde mir geantwortet, dieser Wagen dürfe sich dort nicht fortbewegen, er sei zum Schutz einer Synagoge dort. Vorbeugend gegen imaginäre Anschläge. Der ganz reale Täter, der den Überfall begangen hatte, entkam so. Ich habe also das Gefühl, die Retreater hängen zu sehr an ihrer Vergangenheit.

Was ist nun mit der selbstgewählten Obdachlosigkeit für die Dauer einer Woche? In einer Fernsehdoku wurde klar, dass ein Motiv für viele Teilnehmer war, eigene Ängste und Widerstände, z. B. Ekelgefühle gegen Körpergerüche, zu überwinden. Alle diese Menschen hatten die Wahl – obdachlos zu sein oder nicht. Sie wussten alle, dass sie nach dieser Woche nicht mehr obdachlos sein würden. Sie werden nie wie Obdachlose sein. Schon dort, wo sie bettelten, erkannte man sie als solche, die nicht wirklich obdachlos sind. Folglich wurden sie anders behandelt. Ich habe mit Pennern, Berbern und Trebern (Selbstbezeichnungen) gesprochen und einmal ein kleines Amateurfilmchen gedreht. Hier in Deutschland droht ihnen die größte Gefahr von Gewalttätigen (meist aus den eigenen Reihen) und ihrer eigenen Alkoholsucht (so vorhanden), die sie einschlafen und im Winter erfrieren lässt. Einige sind freiwillig obdachlos, die meisten kennen so viele Stellen für Kostenloses, das sie nicht mal ihre Wäsche waschen müssen – sie werfen sie einfach weg, wenn sie stinkt, Nachschub gibt es immer. Einer bot mir einen Schlafsack kostenlos an, er könne sich einen anderen umsonst abholen. In Deutschland gibt es offenbar doch einige hilfsbereite Menschen.

Jedenfalls bleibt der Penner, der es sein will, ein Penner. Er kann eine Wahl treffen, will aber nicht anders. Der Obdachlose, der keine Wahl hat, der nicht mehr herauskommt aus dieser Lebensweise, obwohl er es will – auch der ist nicht zu vergleichen mit den Retreatern. Denn die wollen weder Penner bleiben noch sind sie wahl-los. Es ist daher unnötig, künstlich einen Zustand von Identifikation zu erzeugen, die nur Illusion sein kann. Was für eine seltsame Art von Buddhismus ist das? Eine Kopfgeburt aus egozentrischen Motiven (Angst und Ekel überwinden etc.), mir gefällt das nicht. Ich halte es auch für falsch so zu tun, als sei es erstrebenswert, sich das Leben unnötig schwer zu machen. 

(recycelt vom alten Rechner; Foto von Keller: "Smokey Mountain", eine Mülldeponie Manilas)

Kommentare

  1. Zustimmung, mir geht das genauso, dass ich nicht recht kapiere, was das soll. Habe in einem Bich von Glassman mal gezählt, wieviel mal das Wort "ich" pro Seite auftaucht; ganz schön oft!

    gassho shinryu

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  2. Hallo Guido,

    Glassman als Thema - das ist auch mein Thema. Nur warum nennst Du nicht direkt seinen Namen?

    Ich halte auch erst einmal GANZ VIEL von Glassman und er ist einer der ganz wenigen ZEN-Meister der meinen ZEN-Respekt hat.
    Er ist Praktiker und Pragmatiker und hebt nicht in ZEN-Philosophien ab. Er nimmt sein Bodhisattva Gelöbnis sehr ernst und hat vielen Menschen (über Selbsthilfe) schon dauerhaft geholfen.

    Nur bei den Strassenretreats hatte es mich "gejuckt" mal mit zu machen ... als ich die Aufnahmekriterien dafür gelesen habe, war es schon wieder erledigt.
    Wer dort mitmachen kann und darf ist entweder selbst reicht und trickst das hin oder er hat einen riesen Bekannten und Familienkreis, die ihm alle Geld zustecken, damit der "Arme" zu seinem Streat-Zen gehen darf.

    Irgendwei kann ein armer und/oder einfacher Mensch es sich in Deutschland nicht leisten mit Glassman auf deutschlands Strassen betteln zu gehen - das ist viel zu teuer!

    Und genau hier schrillen meine Alarmglocken, ob das nicht ZEN für Oberschicht und Reiche ist, die sich mal den "Jux" erlauben, für ein paar Tage als Bettler zu leben und mit Glasman ein persönliches Wort reden zu können?

    Ich frage mich auch wie Glassman auf diese menschlich absurde Idee kommt und wieviele Schwarze in den USA sich das mit Glassman leisten könnten?

    Grüsse
    michael

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