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Brauchen wir buddhistische Ethik?

  Jeder von uns ist wohl schon einmal Menschen begegnet, die moralisch beeindruckend waren. Wenn wir selbst religiös sind, vielleicht Buddhisten, mag uns dabei so manches Mal verwundert haben, dass diese Menschen oft selbst gar nichts mit Religion am Hut hatten. Zumindest nicht aus spirituellen Gründen. Und so sind jene Menschen immer wieder eine Anfrage an die Ansprüche der eigenen, religiös motivierten Ethik. In letzter Zeit habe ich im Rahmen meiner Übersetzerarbeit an buddhistischen Texten einigen Kontakt zu anderen Buddhisten bekommen, die mir zuvor unbekannt waren. Dabei sind mir mehrere Dinge aufgefallen, die ich für falsch halte.

1)      Es gibt einen Hang, bestimmtes Wissen nicht zu verbreiten und dieses statt dessen in Zen-Kreisen „geheim“ zu halten. Man könnte als ein Motiv vermuten, dass all die Lehrer, die kostenpflichtige Veranstaltungen leiten, einen Wissensvorsprung vor ihren Zuhörern behalten wollen. Vielleicht umgeben sie sich auch gern mit einer Aura des Geheimnisvollen. So kam es, dass mich Schüler von Kodo Sawaki-Adepten fragten, warum ich das Shobogenzo übersetzt habe. Kodo Sawaki hielt das Shobogenzo für die wichtigste Schrift überhaupt. Warum sollte es dann nicht möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden?

  2)      Es gibt einen Hang, sich „zen-typisch“ zu verhalten. Wer wird nicht berührt von Geschichten des ewigen Ausharrens vor verschlossenen Tempeltüren oder gar des Abschlagens eines eigenen Armes, um irgendwann mal einem echten Meister begegnen zu können? Diese Zeiten sind vorbei. Die meisten Zen-Äbte, die man mit „Roshi“ anspricht, sind schlicht Erben ihres Amtes. Das ist keine Frage von „Erleuchtung“. Leider ist es heute einfacher, von einem abgeklärten und dennoch engagierten Hochschulprofessor eine gescheite Antwort auf buddhistische Fachfragen zu bekommen – sogar per eMail – als von manchen Zen-Lehrern. Diese erdreisten sich im Gegenzug, auch wenn es ihnen selbst womöglich an Kenntnissen von Sprachen wie Pali, Sanskrit, Chinesisch oder Japanisch mangelt, aber gerne, den Wissenschaftlern und Übersetzern mangelndes Zen-Verständnis vorzuwerfen (ich verweise beispielhaft auf die Kritik an Thomas Cleary, dem wir über 50 Bücher asiatischer Weisheit verdanken).

  3)     Zen-typisch sind auch die üblichen Ausreden für Fehlverhalten. Na klar, man kann einerseits nur noch in der buddhistischen Robe   durch die Welt laufen, aber damit auch hemmungslos Businessclass fliegen. Oder sich teure Autos kaufen. Oder seine Veranstaltungen als „Kontaktundflachlegbörse“ benutzen. Und sich dann auf die Zen-Freiheit des „Ich bin jenseits von Kritik und Darüberhinaus“ berufen. Solche "Zen-Meister" gibt es. Manche schweigen zu Vorwürfen. Das ändert nichts daran, dass eine Robe nichts in der Businessclass verloren hat. So verrät man die Robe. Da ist es besser, nackt zu reisen.

  Nun stelle man sich vor, jemand betrachtet von außen nüchtern dieses Zen-Treiben. Was könnte er daran gut finden? Ich möchte fast behaupten, dass außerhalb von Zen-Kreisen solche Dinge weniger oft schief laufen als innerhalb. Von der Wesensschau ist es offenbar nicht weit bis zum Abbau von ‚außerhalb‘ der Zen-Welt ganz normaler Verhaltensweisen, die das Leben vieler Menschen erleichtern. Und da ich weiß, was einige jetzt denken – „Dem fehlt es halt an Durchblick (Praxis, Erleuchtung, Erweckung, Kensho, Satori usw.)“ – möchte ich mit einem niedlichen Wort schließen, dass man häufig am Telefon hört, wenn Menschen ein eher dienstliches Gespräch beenden, nachdem man sich bei ihnen für eine Auskunft bedankt hat: „Gerne.“ 

(recycelt vom alten Rechner; Foto von Keller: Reiher auf dem Tonle Sap, Kambodscha)

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