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Warum Dôgen fast ein Rinzai-Meister wurde

Myôzen, der Nachfolger Eisais im Tempelkloster Kenninji, ist dem Zen am stärksten verbunden (1) Er ist in der Zen-Geschichte vor allem als Lehrer Dôgens bekannt. In Ise (Bezirk Mie) gebürtig, verlor er mit acht Jahren seine Eltern und wurde zu dem mit Klöstern übersäten Hiei-Berg gebracht, wo er unter der Leitung des Mönches Myôyû die Lehren des Tendai-Buddhismus studierte. Mit 16 Jahren empfing er auf der Weihebühne des Tôdaiji in Nara die Gebote des Hînayâna (1199), später im Tendai-Kloster Enryakuji die Bodhisattva-Gebote des Mahâyâna. Bei Eisai erlernte er im Kenninji die Zen-Meditation und erwarb den Dharma. Hätte Eisai, anstatt in der Tendai-Schule zu verbleiben, eine eigenständige Zen-Schule gegründet, so stände Myôzen als sein Dharma-Erbe in der 9. Generation der Huanglung-Linie der Rinzai-Schule, und auch Dôgen, der unter Myôzen Rinzai-Zen übte, wäre dieser Linie des Zen zuzurechnen.
   Dôgen weilte sechs Jahre lang im Tempelkloster Kenninji bei Myôzen (1217-1223). Im Kapitel über die Übung (Bendôwa) seines Hauptwerkes Shôbôgenzô erzählt er, wie er nach dem Weg zu suchen begann, viele Lehrer in allen Teilen des Landes besuchte und schließlich zum Mönch Myôzen im Kenninji hinfand.
   Zwischen Myôzen und Dôgen entspann sich ein herzliches Meister-Jünger-Verhältnis. Der Eifer für die Zen-Meditation ließ in beiden das Verlangen nach einer Chinareise aufkommen. Schon hatten sie den Entschluss gefasst, als sich der Ausführung ein ernstes Hindernis entgegenstellte. Myôzens greiser Lehrer auf dem Hiei-Berg, der Ajari Myôyû, sandte – auf den Tod erkrankt – Nachricht und bat, Myôzen möge ihm bis zu seinem Ende beistehen. Wie die Nachricht im Kenninji aufgenommen wurde, ist im Shôbôgenzô Zuimonki, einer von Dôgens Jünger Ejô kompilierten Sammlung von Anekdoten und Reden aus dem Leben des Meisters, berichtet. Myôzen rief alle Jünger und Gefährten im Tempel zusammen und bat um Rat, nachdem er zuerst von den vielen, ihm von seinem Lehrer Myôyû erwiesenen Wohltaten erzählt hatte. «Es ist schwierig», so schloss er seine Rede, «der Bitte des Lehrers nicht zu gehorchen» (2).
   Dann erklärte er seinen Zuhörern: «Meine Reise ins Land der Sung ohne Rücksicht auf mein Leben mit der Absicht, den Dharma zu suchen, entspringt dem großen Bodhisattva-Mitleiden und dem Verlangen, den Lebewesen zu nützen» (3). Alle Anwesenden rieten, die Chinareise um sechs Monate oder ein Jahr herauszuschieben. Nur der junge Dôgen, «der unerfahrenste der Mönche», äußerte Bedenken. Sein Wort gab den Ausschlag. Myôzen verkündete seinen Entschluss, die Reise anzutreten. Seine Gegenwart, so führte er aus, könne seinem kranken Lehrer doch nicht helfen, sie wäre von keinem Nutzen für die Trennung von der Welt und die Erlangung des Weges.


(1) Shôbôgenzô Zuimonki V, 12, Ausgabe Iwanami Bd. I, S. 93 ff., DZZ Bd. II, S. 486. Über die Schrift Shôbôgenzô Zuimonki siehe Anm. 19 des folgenden Kapitels.
(2) Ebd. In diesem Wort zeigen sich eindrucksvoll «das Verlangen nach dem Dharma und die Reise ins Land der Sung» in umgekehrter Reihenfolge, zuerst die Reise, dann das Motiv (vgl. das Nachwort zum 1. Band).


(3) Über Myôzen verdanken wir die beste Orientierung Dôgen, in dessen Schriften Myôzen öfters vorkommt. Vgl. das biographische Kapitel von Hee-Jin Kim in Dôgen Kigen – Mystical Realist, besonders S. 28ff., ferner Takashi James Kodera, Dôgen‘s formative Years in China, S. 29ff., 36f., 57f.
[aus: Heinrich Dumoulin: Geschichte des Zen-Buddhismus, Band II]

Kommentare

  1. Hallo GuiDo,

    diese Details von Dogen und Soto finde ich ja spannend - nicht für den lebendigen Zen, aber für die ZEN-Geschichte.

    Mit diesen Details solltest Du mal ein Buch "Dogens Geschichte" zusammen stellen, das würde vielleicht zum Erwachen des einen oder anderen Zenni führen ...

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