Als ich dem japanischen Filmteam begegnete, fiel mir ihr Dolmetscher auf, ein Khmer, der Japanisch konnte und den Namen einer Mangafigur trug: Akira. Er lud mich in sein im Aufbau befindliches Kriegsmuseum ein, dass er bald eröffnen wollte. Ich fuhr durch ein Gebiet neben der Straße nach Angkor, wo man vor allem Kriegs- und Minenopfer sowie ehemalige Bewohner von Flüchtlingslagern angesiedelt hatte. Die Lager befanden sich an der Grenze zu Thailand. Akira war Minenräumer gewesen und lange Zeit auch für die UN im Einsatz. Er hatte sich Land an dem kleinen Flüsschen gekauft, das nach Siem Reap führte, und damit vielen Einheimischen die Angst vor diesem Areal genommen, das als stark vermint galt. Noch schlief er in einem Wachturm, hinter Reissäcken und unter einem Maschinengewehr. Ebenerdig befanden sich seine Ausstellungsräume, entschärfte Minen unterschiedlichster Art, mit Hinweisschildern in verschiedenen Sprachen versehen. Akira konnte zu jeder eine Geschichte erzählen. Auch zu den Bildern mit Szenen aus dem Alltagsleben im Krieg, die er zusammen mit einem Freund gemalt hatte. Auf einem sah man eine explodierende Kuh. Akira erinnerte sich, dass die Soldaten Kühe über die Erde laufen ließen, die sie für vermint hielten. Explodierten die Kühe, war eine entscheidende Ernährungsgrundlage der Bevölkerung zerstört. Akiras Eltern waren von den Rebellen der Khmer Rouge getötet worden, die ihn ihrerseits andernorts aufgriffen und in ihre Gruppe aufnahmen. Mit zehn Jahren, das war 1983, hielt er seine erste Waffe in den Händen. Mit Dreizehn wurde er von Vietnamesen gefangengenommen, die ihm nur eine Wahl ließen: Tod oder Dienst in der vietnamesischen Armee. Fortan bekämpfte er selbst die Khmer Rouge. 1990, als sich die Vietnamesen zurückzogen, trat er ins kambodschanische Militär ein. Als er in den 90er Jahren einen Japaner kennenlernte, der nicht nur für seine Geschäfte in Kambodscha bekannt wurde, sondern auch dafür, dass er ständig junge Frauen ehelichte und ihren Eltern dafür je ein Haus und einen Brunnen baute, eignete er sich die Sprachkenntnisse jener Nation an, die wohl die meisten Touristen ins Land schwemmt. Denn Japan ist von Kambodscha nicht so weit entfernt wie europäische Länder oder gar die USA. In den 40er-Jahren hatten die Japaner sogar einmal Kambodscha besetzt, bis sie den Zweiten Weltkrieg verloren. Für die erlebnishungrigen Fotomanen aus Ostasien, deren Urlaubszeit stets knapp bemessen ist, bietet Angkor ein kulturelles Intensivprogramm.
In Angkor Thom, meinem Lieblingsareal mit dem buddhistischen Bayon-Tempel, der von lächelnden Buddhagesichtern dominiert wird, nahm ich mein Mittagessen ein, bei Saan und ihrer Mutter, die wie die anderen Standinhaber beim Anblick von Touristen diesen rufend und winkend entgegenliefen und sie in der Landessprache ihrer vermuteten Herkunft ansprachen. „Mister, you want cold drink“ riefen sie, und „Ooni-san“. Als hätten sie alle gemeinsam das gleiche Seminar besucht, machten sie auch in ganz Angkor dieselben Fehler. Wollte man mit zwei Bekannten auf dem Moped zum Barey, einem von Grundwasser gespeisten See in der Nähe Angkors fahren, meinten sie: „We go there threegether“ – abgeleitet von „together“. In der Stadt ließ ich für Saan eine Speisekarte in Englisch und Japanisch wasserfest auf ein Schild malen, damit die Touristen schon von weitem ihr Angebot erkennen konnten. Den Schildermaler bat ich, eine bunte Zeichnung dazuzufügen. Er entschied sich für einen dampfenden Suppenteller. Einmal hatte ich Saan um eine Massage meiner verspannten Schulterblätter gebeten, was sie schüchtern ablehnte. Ich insistierte, woraufhin drei weitere Khmer gemeinsam mit ihren Fäusten auf meinen Rücken eintrommelten. Als kleines Schmankerl ließ ich deshalb, allerdings nur auf Japanisch, einen Zusatz auf dem Schild anbringen: Schultermassage – 1 Dollar. Ich dachte mir, das würde die japanischen Restauratoren, die am Bayon arbeiteten, amüsieren.
Zu Saans Bekannten zählte die alte Nonne Prüem, die zahnlos auf Betelnüssen herumkaute und, wenn man sie in die Seite knuffte, sich wie die Puppe einer Spieluhr schüttelte. „Praam Roi“, hatte sie mich im Bayon angesprochen und die Hände zum Gebet gefaltet. Das heißt fünfhundert und meint Riel, eine kleine Spende in Landeswährung, damals knapp dreißig Pfennige. Ich setzte mich zu ihr und bettelte mit. Mein „Praam Roi“ mit gerolltem R amüsierte bald nicht nur die Touristen, sondern auch die bessergestellten Khmer, die aus allen Landesteilen nach Angkor zur Erholung kamen. Prüems Tageseinnahmen stiegen sprunghaft an. Ich traf den britischen Mitarbeiter eines Entwicklungsprogramms für die Provinz Rattanakiri. Zur gleichen Zeit tauchten Soldaten im Bayon auf und blickten finster drein. In ihrem Gefolge ein kleiner, leger gekleideter Mann mit Brille, der mich auf Englisch ansprach. Er war ein eitler, hochrangiger Offizier, der die Soldaten als Leibwächter dabeihatte – und eine Frau, die ihn um zwei Köpfe überragte und auffällig edel angezogen war. Ihr Blick war professionell verschleiert und der Offizier meinte gackernd: „This is my chick.“ Sein Huhn verstand offenbar kein Wort. Der Entwicklungshelfer nahm den Zwischenfall zum Anlass, von einem betrunkenen Offizier zu erzählen, der ihm seinen besten kambodschanischen Mitarbeiter genommen hatte. Bei einem nächtlichen Saufgelage hatte er plötzlich seine Waffe gezogen und im Übermut seinen Kumpanen erschossen. Zur Rechenschaft gezogen wurde der Soldat nicht. Schließlich wurde es Zeit zu gehen. Mein Visum hatte ich um zehn Tage überzogen. Ein Beamter in Siem Reap meinte, ich müsse einen Dollar pro Tag Strafe zahlen. Da ich über Phnomh Penh ausreiste, war ich kaum überrascht, dass man mir 30 Dollar abnehmen wollte. Ich protestierte und bekam daraufhin einen ganzen Stapel von Quittungen gezeigt, die über die Strafen anderer Touristen Aufschluss gaben. Regelmäßig waren drei Dollar für jeden überzogenen Tag berappt worden. Den Vogel schoss ein Chinese ab. Er war drei Monate überfällig gewesen und hatte 270 Dollar nachgezahlt. Ich drohte mit einem Artikel über diese Abzocke, dachte daran, dass man Journalisten in diesem Land vor nicht allzu langer Zeit noch erschlagen hatte und lauerte. Tatsächlich gelang es mir, den zuständigen Polizeichef auf zwei Dollar pro Tag herunterzuhandeln. Immerhin.
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