Im Johannes Herrmann Verlag sind inzwischen drei Bücher des koreanischen Zen(Seon)-Lehrers Seung Sahn erschienen. Zunächst versprach mir die Lektüre Vergnügen, als ich las: "Wenn du keine Art von Geist bewahrst und nur die Richtung hast, alle Wesen zu retten, dann sind Gelübde nicht notwendig ...", doch bei weiterem Lesen wurde mir dann etwas bange, und das unten stehende Filmchen mag belegen, wieso. Seung Sahn (1927-2004) gehörte dem zölibatären Chogye-Orden an, von dem ich mal einen kleinen (Co-)Übersetzerpreis fürs "Jikji" erhielt, das Fragment einer Koan-Sammlung, das nicht nur Weltkulturerbe ist, sondern auch das älteste aus beweglichen Metall-Lettern gedruckte Buch. In letzter Minute brachten die Koreaner im Jahr 2005, damals Gastland, eine englischsprachige Jikji-Übersetzung auf die Buchmesse, nachdem ich meine deutsche aus eigener Tasche finanziert hatte. Der (Geld- und Sach-)Preis des Chogye-Ordens kam mir wie ein billiges Trostpflaster vor. Leser findet das Werk auch kaum, man ist hier halt an die japanischen oder wenigstens chinesischen Namen der alten Meister gewöhnt und tut sich schwer mit den koreanischen Ausdrücken.
Die rechte Zen-Sprache zu finden war dann auch ein Hauptanliegen von Seung Sahn. "Gehe geradezu", der "Weiß-Nicht-Geist" oder der "Einfach-Genau-So-Geist" (der die Dinge auffasst, wie sie sind), gehören zu seinen Lieblingsausdrücken. Immer wieder fordert er auf - im Gegensatz zu bekannten Meditationsformen aus dem Theravada, möchte man meinen -, weder Gefühle noch Gedanken "zu prüfen". Das Verwirrspiel um die Koan-Lösung treibt er natürlich auf die Spitze. In "Zehn Tore" (Gießen 2008) meint er, wenn jemand traurig sei, dann sei er auch traurig (S. 23). Das machte mich stutzig. Später (S. 149) sehen wir einen typischen Austausch zwischen Schüler und Lehrer: "Wie heißt du?" - Ich schlage auf den Boden ... - "Nur das?" - "Jerry Shepherd." - "Wie alt bist du?" - Ich schlage auf den Boden. - "Nur das?" - "Achtunddreißig". Ob einen das nicht der Klappse näher bringt als dem Erwachen?
Wenden wir uns dem Werk "Nur Weiß-Nicht" (Gießen 2010) zu, es enthält "Gesammelte Lehrbriefe".
1) Eine gewisse Beliebigkeit drängt sich auf, wenn Seung Sahn einerseits davon spricht, dass man genau da, wo man ist, seine Aufgabe erfüllen kann, an anderer Stelle (S. 64) jedoch rät: "Die Schule deines Sohnes zu wechseln ist eine sehr gute Idee. Manchmal, wenn die Situation schlecht ist, ist alles schlecht; wenn die Situation sich ändert, dann ist es möglich, alles zu ändern." Sicher, das ist eine Binsenweisheit. Sie kann nur eben auch dann gelten, wenn der Lehrer meint: "Weggehen ist nicht nötig."
2) Ein Lehrer will jedoch seine Schüler halten. Darum rät Seung Sahn einer Frau, deren Mann ihren Hang zum Buddhismus nicht unterstützt: "Aber wenn dein Mann dich wirklich hundertprozentig liebt, wird er wahrnehmen, warum du Zen praktizieren willst und warum töten nicht gut ist. Dann wird er zu angeln aufhören und er wird dir folgen." Hmm. "Aber wenn die Frau ihren Mann wirklich liebt, dann hält sie ihm schon mal die Rute", antwortet da Gui Do.
3) S. 97: "Wenn der Geist von jemandem, der praktiziert, rein ist, preisen ihn alle im Himmel, aber wenn ein solcher mit Sex in Verbindung ist, verlassen ihn alle Gottheiten." Ja, der Seung Sahn ist ein rechter Anhänger der Ordensgelübde, schon vorher hat er sich an dieses Thema herangepirscht: "Ein Mönch oder eine Nonne zu sein bedeutet, alle Anhaftungen abzuschneiden und eine vollkommen freie Person zu werden. Dem Haar anzuhaften kann dabei nicht helfen, also schneiden wir es ab." (S. 86) Dann fordert er, sich nur ordinieren zu lassen, wenn man die Gebote zu 100 % befolgen will. Gehen wir davon aus, dass Seung Sahn selbst dies tat (in der Kommentar-Funktion ist Platz für Sexskandale, wie ihr wisst), dann dürfte er keine Ahnung haben, wovon er spricht, wenn er von "Sex" redet. Es gibt eben kaum Verfechter eines Dualismus Mönch-Laie, die in dieser Hinsicht keinen Stuss reden und dabei nicht auch anmaßend wirken. Ich kann mir z.B. erst seit ein paar Tagen vorstellen, wie man sich fühlt, wenn unwillkürlich ein Finger zuckt (die Nebenwirkung einer Migräne-Prophylaxe). Diese Pein(lichkeit) war mir unbekannt, bis ich sie erfuhr. Dass man beim Sex von allen guten Geistern heimgesucht werden kann, das muss man eben auch persönlich erleben.
4) An Wiedergeburt glaubte der Bursche auch. So schreibt er einem Matthew auf S. 128: "Du mochtest die Gelübdezeremonie. Das ist wunderbar. In einem früheren Leben hast du Praktizieren-Karma gemacht, deshalb erhältst du das Ergebnis in diesem Leben." Komisch, bei mir ist es genau umgekehrt. Ich habe ein paar Äonen lang Praktizieren-Karma gemacht, und nun kann ich endlich ein zufriedener Laie sein.
Werter GuiDo,
AntwortenLöschenDu schreibst:
"Gehen wir davon aus, dass Seung Sahn selbst dies tat (in der Kommentar-Funktion ist Platz für Sexskandale, wie ihr wisst), dann dürfte er keine Ahnung haben, wovon er spricht, wenn er von "Sex" redet."
Davon sollten wir mal besser nicht ausgehen. Die interessanteste Quelle in dieser Beziehung ist:
Sandy Boucher
Turning The Wheel: American Women Creating The New Buddhism
Harpercollins 1988
ISBN 006250097X
Ich übersetze mal ein paar Auszüge. Sandy Boucher berichtet da über Gespräche mit Sonia Alexander, ehemalige Leiterin des Cambridge Zen Center und Loie Rosenkrantz, ehemalige Leiterin des Empty Gate Zen Center in Berkeley - beides große Einrichtungen der Kwan-Um-Schule. Soen Sa Nim ist der Name, der 'intern' für Seung Sahn benutzt wurde. Zunächst Boucher über Sonia Alexander:
>>Als ich das erste Mal mit Sonia in Cambridge sprach, waren die Neuigkeiten von Soen Sa Nims intimen Beziehungen zu Schülerinnen noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Sonia, die von diesen Affären nichts wusste, sprach von dem Beispiel makelloser Lebensführung, das ihr Lehrer gesetzt habe. Als ich wieder mit ihr sprach, über das Telefon von Kalifornien aus, hatte sich ihr Leben drastisch geändert. Diese Frau, deren ganze Existenz auf dem Cambridge Zen Center beruhte, war mit ihrem Mann in eine Wohnanlage nach Jamaica Plain umgezogen und hatte alle offiziellen Verbindungen mit den Zen Center abgebrochen nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Lehrer, von dem man sie glauben gemacht hatte, er sei ein zölibatärer Mönch, mehrere sexuelle Affären mit Frauen in Zen Centern über längere Zeit hinweg gehabt hatte.
"Als man ihn danach fragte," sagt mir Sonia am Telefon, "sagte er, dass er mit den Frauen schlief, weil er jemanden im Zen Center brauchte, dem er trauen konnte. Es war keine Liebe, es war keine Begierde."<<
Sodann Loie Rosenkrantz, die ebenfalls das Zen Center, das sie leitete, verließ und ihre Robe samt Schale zurückgab:
>>"Ich war gut acht Jahre lang Teil dieser Gemeinschaft und war eine der 'Oldtimer' geworden und ich wusste nie, dass Soen Sa Nim und die Frauen in Providence fünf Jahre lang miteinander schliefen und dass danach er und eine andere Frau, die im Cambridge Zen Center lebte, ein Liebespaar waren und dass es vielleicht einige andere Frauen gegeben hatte ... Er sagte, dass er mit dieser Frau schlief weil sie der Kern des damaligen Providence Zen Center hätte sein können und dass mit ihm zu schlafen ihr geholfen hätte, stark zu werden." Sie fügt ironisch hinzu: "Es dauerte fünf Jahre, sie stark zu machen! Und er sagte dasselbe über die Frau im Cambridge Zen Center: dass das Zen Center schwankte und, indem er sie stark machte, dass das Zen Center stark machte und daher habe er für das Wohlergehen aller Menschen gehandelt. Und er glaubt das!"
Kommentar verkneife ich mir. Ist wohl auch nicht nötig.
Gasshô,
SoGen
Nun, der Herr Jauch erinnerte gerade in WWM daran, dass Rosenkranz (und Güldenstern) für Hamlet ins Gras bissen ... Danke für den Hinweis.
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