Vor ein paar Tagen hatte ich etwas Zeit, die in buddhistischen Kreisen viel diskutierten Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten von Stephen Batchelor intensiv querzulesen. Das heißt, ich habe mir einen Überblick verschafft, ohne jede Zeile gelesen zu haben. Der Autor lässt sein Leben als Buddhist und verschiedene Lehrer Revue passieren. Einige Passagen hätten von mir sein können, will ich mal unbescheiden behaupten, in denen er nämlich logisch herleitet, was seine Zweifel an der Karma- und Wiedergeburtslehre begründet. Im Unterschied zu mir hat Batchelor sich in zehn Jahren als Mönch auch den Frust angetan, die eigenen Lehrmeister in ihren beschränkten Gedankengebäuden gefangen zu sehen.
Einer davon war Geshe Rabten, der den "Beweis" für die Wiedergeburt in die subjektive Erfahrungsebene verwies. Batchelor fragte sich damals zweifelnd, wie ohne Wiedergeburt ein Kreislauf von Geburt und Tod möglich sei, man könne doch ohne Wiedergeburt "mit Mord davonkommen". Rabtens Mangel an objektiven Beweisen behagt Batchelor jedoch nicht, zumal sein Lehrer jede abweichende Meinung gar als "unmoralisch" ansah. Batchelor lässt immer wieder Zitate aus dem Pali-Kanon einfließen, so aus "Das Rad der Lehre drehen", wo als Auswirkung von Buddhas Erwachen derselbe konstatiert: "Dies ist die letzte Geburt." Außerdem würden die Brahmanen in Udhana 6.4 diskutieren, ob der Tathagata nach dem Tod noch existiere, was keinen Sinn machte, wenn man dem Buddhismus einen klassischen Wiedergeburtsglauben unterstellt. Später führt Batchelor noch Samyutta Nikaya IV, 229-31 an, wo Buddha zu Sivakha sagt, dass diejenigen unrecht hätten, die behaupten, Freude und Schmerz kämen von früheren Leben her, weil dies "über das hinaus(gehe), was sie selbst erkannt haben".
Batchelor ist auch ein typisches Beispiel für den suchenden Buddhisten, der sich vielerorts umtut, um der Wahrheit näherzukommen. Er beschreibt seine vier Jahre Jungscher Psychotherapie ("Sandspiele") und die Bestätigung seiner philosophischen Studien bei Heidegger ("In der Welt sein") während der Achtsamkeitsmeditation. Der Autor lässt auch ziemlich abstruse Meditationsmethoden nicht aus: "Obwohl ich mich täglich als Vajrayogini, als leuchtend rote, menstruierende, sechzehnjährige Daikini visualisierte" - und das ausgerechnet, um der erotischen Fantasien Herr zu werden. Batchelor liest Alan Watts, wird von Geshe Kelsang Gyatso beeinflusst und erkennt schließlich: "Indem man dem Tod die Endgültigkeit nimmt, wird er seiner stärksten Kraft, das Leben hier und jetzt zu beeinflussen, beraubt."
Dann wendet er sich dem koreanischen Seon (Zen) bei Kusan Sunim ("Nine Mountains") im Songgwangsa-Tempel zu, von dem er lernt, dass Fragen interessanter als Antworten seien und die Achtsamkeit auf Atem und Körper nicht wichtiger als einem Leichnam beim Ausatmen zuzusehen. Hier lassen sich, denke ich, weitere Wurzeln für Batchelors kritische Sicht finden. Interessant sind dabei auch die Einsprengsel, die seine umfassende Sicht aufzeigen. So erwähnt er den Einsatz paramilitärischer Mönche unter Sosan bei Koreas Kampf gegen die japanische Armee 1592 ebenso wie die Intrige des Dalai Lama gegen die Dorje Shugden-Praxis, die zur Versöhnung der Gelugpa und Nyingma (historisch Gegner dieser Praxis) führen sollte und die Religionsfreiheit der Tibeter einschränkte (Geshe Rabten hielt an Dorje Shugden fest, der als schützender Bodhisattva verehrt wurde, und verwies darauf, dass dies auch Trijang Rinpoche, der Junior-Tutor des Dalai Lama, getan hatte).
Was Batchelor hingegen beeindruckt, sind Werke wie "Clearing the path" von Nanavira Thera und vor allem Trevor Lings "The Buddha. Buddhist Civilisation in India and Ceylon", das den Buddhismus als Versuch versteht, eine "neue zivile Ordnung" herzustellen (und nicht eine Religion). "Heute stellt der Buddhismus für mich eine Philosophie des Handelns und der Verantwortung dar", schreibt Batchelor, und fasst seine Maximen so zusammen: "Umarme, las los, halt inne, handle." Beim Rezitieren des Herzsutras, beim Verbeugen usf. fühle er sich "stets ein wenig als Schwindler". Praxis liegt für ihn "nicht länger darin, zu lernen, wie man spirituelle Ziele erreicht, sondern darin, den achtfachen Pfad in jedem Aspekt unserer Existenz zum Ausdruck zu bringen."
Interessant ist noch die Beschreibung der 11jährigen angeblichen Wiedergeburt Geshe Rabtens, die den Autor nicht erkennt. Und im Zusammenhang mit der hierzulande kürzlich um einen Sexskandal geführten Diskussion die Tatsache, dass die persönliche Befürwortung des Dalai Lama in jenem offenen Brief in Tricycle Bd. 3, Nr. 1 (1993) gestrichen wurde, der Schüler auffordert, Lehrer mit unethischem Verhalten zu konfrontieren und, wenn keine Besserung einträte, deren Verhalten öffentlich zu machen. Es wurde oft kolportiert, der Dalai Lama selbst habe solche Vorschläge gemacht, was demnach falsch ist - er zog zuletzt also seine Zustimmung zurück, was sich mit seinem Verhalten auf der Großveranstaltung 2009 in Frankfurt deckt.
Wenn ich es nicht überlesen habe, hätte das Thema Karma wohl einer ausführlicheren Betrachtung bedurft, dennoch sind Batchelors Ansichten - leicht nachvollziehbar - die eines kritischen Geistes, der sich aller überlieferten Lehren entledigen will, die sich nicht mit seinem gesunden Menschenverstand und seinem Wissen vereinbaren lassen.
Das Problem is halt, dass man sich mit "kritischem" Herangehen, so nach der Art der "Kirche von unten" bei den Katholiken, im Buddhismus nicht sonderlch interessant macht - bedingt durch die Abwesenheit von Glaubenskongregationen oder dgl., an denen man sich reiben könnte. Da is keiner (oder kaum einer), der angesichts von "Häresien" groß aufjault, was sowohl konservative als ach aufmüpfige Gemüter, jeweils aus ihrer Sicht, bedauern mögen. Jedenfalls ergeben Batchelors eurozentrische Anpassunsmaßnahmen sicherlich keinen ungültigen Buddhismus - sind allerdings auch keine Demontage von irgendwas.
AntwortenLöschenDenn "westlich" ist natürlich seit alters her vektorales Denken bzw. Weltverständnis angesagt, zirkulär gilt eher als abseitig, dadurch wirken die Wiedergeburtsgeschichten so schwer verdaulich, insofern man "wissenschaftlich" angetörnt ist sowieso.
Man könnte aber auch den Verdauungstrakt anpassen, dann wird das fernöstlich-hergebrachte zirkuläre Verständnis durchaus bekömmlich, womöglich sogar interessant ;)