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Missverständnisse im Zen (II):
Paramita

Unter (Zen-)Buddhisten, die besonderen Wert auf die Einhaltung der sîla, der Verhaltenregeln, legen, findet man häufig die Tendenz, die sechs Tugenden (paramita: Freigebigkeit, Sittlichkeit, Geduld, Bemühen, Meditation, Weisheit) nebeneinanderzustellen. Wie wir jedoch im Herzsutra lesen, ist die Weisheit das wesentliche Element: "Das Weisheits-Paramita ist das große Mantra, das wunderbare Mantra, das höchste Mantra, das alles Leiden beenden kann." Damit ist das Leiden der Illusion gemeint. Weisheit verschafft einen klaren Blick. Weder die Sittlichkeit noch die Geduld noch die Meditation allein  - oder auch gemeinsam - sind also dazu in der Lage, und man sollte nicht glauben, dass sie unabdingbar zur Weisheit führten (eine solch stufenweise Entwicklung wird jedoch häufig von Anhängern des tibetischen Buddhismus postuliert).
   In seinem Theaterstück über den 6. Patriarchen Huineng hat es der chinesische Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian schön zusammengefasst. Er verweist hier explizit die Spendenwilligkeit oder Freigebigkeit (dana) in ihre Schranken, indem er Huineng dessen Lehre zusammenfassen lässt:
   "Tempel bauen, Spenden geben und jemanden unterstützen sind bloß verdienstvolle Werke. Doch wahres Verdienst liegt im Dharma-Körper, nicht auf jenem Feld der Verdienste. Unsere Natur zu verwirklichen heißt gong, Gleichberechtigung und Rechtschaffenheit sind de. Zusammen bilden sie gongde, was Verdienste bedeutet. In unserem Herzen sollten wir die Buddha-Natur erkennen, in unserem Verhalten respektvoll sein. MIT ALL UNSEREN GEDANKEN sollten wir Gleichberechtigung und Rechtschaffenheit stützen, dann werden die Verdienste reichlich sein."
   Selbst dieses fiktive Theaterstück erfasst also den Unterschied: Die Weisheit liegt in den Gedanken und ist nicht zuallererst ein bestimmtes, leicht als buddhistisch korrekt einzuordnendes Tun. Erst aus der Weisheit entsteht das rechte Tun.

[Quelle: Gao Xingjian: Snow in August (Hongkong 2004)]

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