[Beitrag für einen Stadtschreiberwettbewerb der Stadt Triberg, in der einst Hemingway weilte]
Liebe Stadt Triberg,
Liebe Stadt Triberg,
ich schreibe Ihnen aus einem Reich der Träume und der Erinnerung, das ich mit unzähligen Geisterwesen teile. Es würde Wochen dauern, Ihnen dieses Reich verständlich zu machen, weshalb ich mich damit gar nicht aufhalten möchte, wo Ihre Zeit doch so viel kostbarer ist als meine. Nur soviel: Sie sollten einmal überlegen, ob es nicht eine feine Idee wäre, eine Kuckucksuhr mit einem Torero zu erfinden, der zu jeder vollen Stunde hinter einem Türchen hervortritt, während aus einem zweiten ihm ein Stier entgegenkommt. Statt des Rufes eines Kuckucks würde man den Applaus von Zuschauern vernehmen, und um Punkt Zwölf könnte der Torero vielleicht gar dem Stier unter lautem Gejohle einen tödlichen Stoß versetzen. Als ich von einer solchen Uhr träumte – und Sie müssen wissen, wir haben hier kein Kino und unsere Träume erscheinen uns so kristallklar wie Ihnen heute Ihre digitalen Filme –, da sah ich mich auf einmal aus einem Zimmer ins Freie hervortreten und ein beruhigendes Rauschen vernehmen. Zuerst dachte ich, dass mir der Tinnitus einen Streich spiele und sich als ein angenehmer Freund ausgebe, bevor er mich schlagartig erwachen ließe. Dann aber spazierte ich im Traume – ich erkannte das ganz deutlich – durch Triberg, diesen Ort, in dem man sich nicht verlaufen kann und der mir aus meinem Erdenleben in guter Erinnerung ist. Ich folgte dem Rauschen bis zu den Wasserfällen, bei denen ich prompt meine Atmung vertieft und meine Brust erweitert und befreit spürte. In dem Zustand, in dem ich mich befand, war ich für Triberger und ihre Gäste natürlich völlig unsichtbar, dennoch, glauben Sie mir, habe ich in den Wasserfällen ein Bad genommen, wobei das Wasser aufgrund meiner materiellen Zusammensetzung – wenn man meine Form überhaupt so nennen kann – durch mich hindurch floss. Ein angenehmes Gefühl, vergleichbar dem Genuss eines Daiquiri, wenn er die Speiseröhre hinunter gleitet. Aus gegebenem Anlass – Antonius Meilan, der mich begleitete, hatte sich neulich bei mir über diverse „Panscher“ beschwert – möchte ich noch einmal betonen, dass in einen Hemingway Daiquiri 4 cl weißer Rum, 1 cl Maraschino, 1 cl Grapefruit- und schließlich der Limettensaft gehören, falls Sie noch ein bisschen mit meinen Angewohnheiten werben wollen. Was mich zum Fortgang meines Traumes führt. In Gutachs Wassern tauchten nämlich plötzlich Forellen auf, die wie fliegende Fische in der Luft schwebten, nicht aber mit ihren Flossen, sondern mit ihren von innen rot leuchtenden Kiemen flügelgleich zu schlagen schienen, während ihren übergroßen runden Mäulern folgende Worte in tiefem Chorgesang entströmten: „Barbar – Barbar – Barbar!“ Nun also wird es doch noch ungemütlich, dachte ich mir, und hielt sie für die Vorboten der Hölle. Antonius Meilan jedoch beobachtete, dass den Forellen am Ende jedes Wortes die Luft ausging und sie nur noch stumm ihre Mäuler zu einem „A“ formten. Nachdem sie abgetaucht waren, tippte mich von hinten jemand an. Ich drehte mich herum. „Guten Tag, ich bin Frau Franz.“ Frau Franz nahm mich an der Hand und zog mich mit leuchtenden Augen in eine Kirche namens „Maria in der Tanne“. Dort standen keine Forellen, sondern Hunderte Paar Espadrille-Sandalen in der Luft, wie zum Gebet mit den Sohlen aneinandergelegt. Dann tauchte ein Herr auf, der sich als „Friedrich Schwab“ vorstellte und dessen Haut glänzte wie die eines Neugeborenen (was freilich nur Wesen in unserem Zustand wahrnehmen konnten). Schwab war wie ein Bräutigam gekleidet und bat mich, Trauzeuge zu sein. Die Espadrille-Sandalen applaudierten, und so nahm die Zeremonie ihren Lauf, ohne dass sich ein Pfarrer hätte blicken lassen. Ich dachte mir, so etwas müsse man ihm doch mitteilen, und hinterließ eine winzig kleine Spur unserer Anwesenheit, denn mehr ist uns bei Ausflügen aus unserem Reich nicht gestattet. Wenn Sie also das nächste Mal die Kirche besuchen, schauen Sie sich doch bitte mal ganz genau um.
In Freude über das Wiedersehen
Ihr La Papa (Ernest)
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