Daniel L. Everett lebte einige Jahre bei den Piraha (sprich: Pidahan)-Indianern am Amazonas. Er kam als Evangelikaler, ohne den Wunsch zu predigen oder zu taufen, jedoch mit der Aufgabe, das Neue Testament in die Sprache dieses Volkes zu übersetzen. Heute ist Everett vom Glauben abgefallen und den Indianern dankbar dafür. Als Linguist kritisiert er die etablierten Auffassungen etwa eines Noam Chomsky und plädiert dafür, Sprache im Zusammenhang mit ihrer Kultur zu begreifen. Denn er entdeckte, dass dieses Volk anders spricht, und dass dies mit seinem Denken und Leben zu tun hat. Die Piraha kennen keine Vergangenheit, reden mit Geistern, ihre Häuser sind offen und keine Statussymbole, weil alle das Gleiche besitzen, ihre Kinder erziehen sie schon ganz früh zur Selbständigkeit und nehmen dabei auch in Kauf, dass diese sich verletzen, ihre Toten begraben sie sitzend, weil sie es so für einfacher halten, ein Grab auszuheben. Everetts Bericht "Das glücklichste Volk" (München 2010) ist voller erstaunlicher Beobachtungen. Die wichtigste und vielleicht witzigste möchte ich hier zitieren. Zunächst scheinen die Piraha die wahren Absichten vieler "Heiliger" in dieser Vision zu durchschauen:
""Die Frauen haben Angst vor Jesus. Wir wollen ihn nicht."
"Warum nicht?", erkundigte ich mich, wobei ich darüber nachdachte, was der Auslöser für diese Mitteilung sein mochte.
"Letzte Nacht ist er in unser Dorf gekommen und wollte Sex mit unseren Frauen haben. Er hat sie durchs Dorf gejagt und versucht, ihnen seinen großen Penis reinzustecken."
Dann zeigte mir Kaaxaóoi mit den Händen, wie lang Jesus' Penis war: fast einen Meter."
"Warum nicht?", erkundigte ich mich, wobei ich darüber nachdachte, was der Auslöser für diese Mitteilung sein mochte.
"Letzte Nacht ist er in unser Dorf gekommen und wollte Sex mit unseren Frauen haben. Er hat sie durchs Dorf gejagt und versucht, ihnen seinen großen Penis reinzustecken."
Dann zeigte mir Kaaxaóoi mit den Händen, wie lang Jesus' Penis war: fast einen Meter."
Die Piraha hatten zuvor Everett gefragt, ob er denn Jesus begegnet sei, und als dieser verneinte, ob denn einer seiner Bekannten ... Als Everett auch dies verneinte, war das Thema für sie erledigt. Keine lebenden Zeugen hieß für sie: bedeutungslos. Mit einem seltsamen Humor begegneten sie auch Everetts Schilderung vom Selbstmord einer Verwandten, die ihn zum Glauben gebracht hatte. Sie lachten sich darüber schlapp und konnten einen Menschen, der sich selbst umbrachte, nur als dumm ansehen.
"Die Piraha sorgten dafür, dass ich einen Wahrheitsbegriff in Frage stellte, den ich lange geschätzt und als Richtschnur für mein Leben benutzt hatte ... Tatsächlich gelangte ich zu dem Schluss, dass ich mit einer Wahnvorstellung lebte - der Illusion der Wahrheit. Gott und Wahrheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Beide behindern das Leben und das geistige Wohlbefinden, zumindest wenn die Piraha recht haben. (...)
Die Piraha sind ganz und gar dem pragmatischen Konzept der praktischen Relevanz verhaftet. Sie glauben nicht an ... irgendeine abstrakte Sache, für die zu sterben sich lohnt. Damit verschaffen sie uns die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie ein Leben ohne absolute Werte, ohne Rechtschaffenheit, Heiligkeit und Sünde aussehen könnte. Es ist eine reizvolle Vision. (...)
Ist es möglich, ein Leben ohne die Krücken von Religion und Wahrheit zu führen? Die Piraha machen es uns vor. (...) Sie kennen nicht das Streben nach Wahrheit als transzendenter Realität. (...) Für die Piraha besteht Wahrheit darin, einen Fisch zu fangen, ein Kanu zu rudern, mit den Kindern zu lachen ..."
Namaste!
AntwortenLöschenDer Beitrag erinnert mich an den Film "Die lustige Welt der Tiere", in welchem es vor allem um die Fauna im südlichen Afrika geht. Einige Szenen handeln aber auch von den Buschmännern. Darin erklärt der Sprecher: "Sie müssen die glücklichsten und zufriedensten Menschen der Welt sein - weil sie nichts besitzen. In der Wüste [hier: der Kalahari] gibt es nichts, was man "besitzen" könnte."
Als mein Arbeitskollege heute wieder einmal sprach: "Arm ist nicht, wer wenig hat, sondern wer viel begehrt!", pflichtete ich bei: "Reich ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig begehrt."
In diesem Sinne: eine zufriedene Zeit [zumal unsere "Probleme" angesichts des derzeitigen Weltgeschehens wieder einmal als das entlarft werden, was sie wirklich sind - nebensächlich].
< gasshô >
Benkei