Direkt zum Hauptbereich

"Das Patriarchen-Zen ist ein Geschwür ..."

... und es wird vergehen. So hörte ich mich selbst vor ein paar Tagen reden. Als ich abends darüber nachdachte, wollte ich diesen Ausspruch noch der auf meinen Kopf brutzelnden Sonne anhängen, doch dann wurde mir klar, wie gut er die heutigen Probleme insbesondere des Zen zusammenfasst. Hier sind meine Beobachtungen und Erkenntnisse:

1) Wer eine "Laufbahn" im Zen anstrebt, hängt sich an einen "Meister". Das System Meister-Schüler wird in der Lehre begründet, und eine Klosterausbildung mit jahrhundertealten Vorschriften wird selbstreferentiell aurecht erhalten: Man werde erst verstehen, dass alles so recht ist, wenn man sich diesem verschreibt.

2) Wer das nicht machen will und trotzdem ein "Meister" oder "Lehrer" sein, der dichtet sich in der Regel eine Ausbildung und die Zugehörigkeit zu einer "Linie" zusammen (wie Thich Nhat Hanh, Thich Thien Son, Zensho Kopp usf.). Selbst die Fakes unter den angeblichen Zen-Meistern achten also regelmäßig darauf, dass sie sich lückenlos auf jemanden berufen können. Auch sie sind in diesem Patriarchen-Zen-Gebäude gefangen. Das ist durchaus interessant, weil sie darin den unter 1) Genannten (freiwillig) ähneln wollen.

3) Es gibt eine berechtigte Hoffnung, dass Ausbildungsnachweise, die einer Kontrolle unterliegen, zu besserer Lehr(er/innen)qualität führt, weswegen ein einigermaßen strukturierter Weg zum "Lehrer" oder "Meister" Sinn machen könnte.

4) Die zahlreichen Skandale, die im Grunde die menschliche Unreife oder doch einfach Fehlbarkeit, um nicht zu sagen: die grundlegende Menschlichkeit vieler offiziell abgesegneter Lehrer belegen, lassen jedoch den Rückschluss zu, dass dieses System so schlecht funktioniert, dass es nichts mehr taugt. Sehr wahrscheinlich lässt sich in der Szene der "Selbsternannten" ein höherer Grad ethischen Fehlverhaltens feststellen als in der "strukturierten" Szene. Dass es jedoch auch dieser an Verlässlichkeit mangelt, dürfte seinen Grund vor allem in fehlender Reife der Lehrer haben: Besäßen sie hinreichend Menschenkenntnis, könnten sie die unbegabten Schüler fortschicken, statt sie zu Lehrern zu ernennen; besäßen sie hinreichend Vorbildkraft, würden ihre Schüler ihnen nacheifern. Dies hat in der Zen-Überlieferung zumindest hagiografisch lange funktioniert - d.h., es wurde zumindest glaubhaft weitererzählt, dass es solche "tugendhaften" Meister und Schüler gab, und mit der Weitergabe des Dharma, so hat man den Eindruck, wurden "gestandene Kerle" (da es meist Männer waren) geschaffen, das Gegenteil der Weicheier, die man heute bei ethischen Fragen ins Schwimmen geraten und auf die offensichtlichste Weise dem Materiellen nachlechzen sieht.

5) Es ist im Grunde ganz einfach: Erkennt jemand einen anderen auch als Meister/Lehrer, wenn dieser keine Robe anhat? Erkennt er ihn/sie auch, wenn er/sie keinen Titel und kein religiöses Amt bekleidet? Denken wir uns den Dalai Lama, TNH und TTS ("Thay") ohne Robe und Sangha, welchen Eindruck könnten sie noch auf uns machen? Welche Kraft haben ihre Schriften verglichen mit denen eines Hui-neng, Huang-po oder Hakuin, wenn wir diese Alten wie die Lebenden gedanklich ihres Amtes entheben und nur noch wirken lassen, was sie uns (bisher) hinterlassen haben. Ist es nicht offensichtlich, dass zwischen den Alten und den Neuen ein Universum liegt? 

Mein Vater erzählte mal, wie auf dem kleinen Dorf, aus dem er stammt, drei Personen stets aufgrund ihres Berufes den höchsten Respekt genossen: Der Pfarrer, der Lehrer und der Polizist (vielleicht war der dritte auch der Arzt). Dieses Denken ist genau das Gegenteil von dem, was die Zen-Übung macht: Auf eine Sicht ohne Ansehen von Rang und Namen ausrichten. Wir müssen die Robe und die Hagiografie durchschauen und erkennen, wo der wahre Lehrer sich verbirgt. Dieser Weg ist ernüchternd und wirft uns auf uns selbst zurück. Es wird vollkommen klar, dass der wahre Meister keine Bestätigung von außen benötigt, dass er keiner Robe, keiner Linie noch einer Hagiografie bedarf.

Kommentare

  1. Namaste!

    zu 3)
    Da im Zen Intuition eine große Rolle spielt [Stichwort: "Übermittlung von Geist zu Geist"], habe ich da eigentlich keine Hoffnung auf verlässliche Ausbildungsnachweise. In Japan gibt es ja zumindest offizielle Lehrerlaubnis-Dokumente oder dergleichen; allerdings gaben diese auch immer wieder Anlass zur Kritik, wenn sie z. B. aus Gefälligkeit, zum eigenen Vorteil des ausstellenden Meisters, oder aus Vetternwirtschaft ausgestellt/verliehen wurden. Den Bildungsgrad [also die Kenntnis der Schriften] kann man wohl überprüfen und bescheinigen, vielleicht auch die Sitzerfahrung ["Hiermit wird bescheinigt, dass Hasnichgesehen Ôsho während seiner dreijährigen Ausbildung zum Tempelpriester 4.000 chû Zazen absolviert hat"], aber den Grad der Verwirklichung oder die Qualifikation lehren zu können, den erkennt der Schüler wohl erst dann, wenn er unter dem "Lehrer" praktiziert - also ggf. erst dann, wenn es zu spät ist. Wobei - warum soll man sich nicht von einem unpassenden Lehrer trennen? Jeder Lehrer der dann mit "schlechtem Karma", "Fall in die Hölle" und ähnlichem Hokuspokus droht, kann ohnehin nicht ernstgenommen werden!

    zu 5)
    Getreu dem indianischen Sprichwort "Du kennst einen Menschen erst, wenn du in seinen Mokasins gelaufen bist", kann man wohl auch sagen "Du (er)kennst einen Meister erst, wenn du mit ihm praktiziert hast. Also: siehe oben!

    Es hilft nix - der Schüler ist erstmal auf sich selbst und seine eigene Urteilskraft angewiesen. Dieses gilt es zu erkennen!

    < gasshô >

    Benkei

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Das Sichten und Freischalten der Kommentare kann dauern.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Falscher "Shaolin-Mönch" aufgeflogen

Den aktuellen Artikel zu Shi Heng Yi (Tien Sy Vuong) findet Ihr hier.    Am Samstag, den 19.03.2011, ist in der Süddeutschen Zeitung ein größerer Artikel über den Fake-Abt (Shi Heng Zong alias Monroe Coulombe) des "Shaolin Temple Europe" erschienen - Seite 11: "Der Shaolin-Schwindel". Wir hatten bereits im Januar 2010 das Thema aufgegriffen. (Dank an Heino für den Tipp.)

The poser Shi Heng Yi alias Tien Sy Vuong / Der Blender Shi Heng Yi vom Shaolin Tempel Europe

(English version first, translated with DeepL - zunächst auf Englisch, unten auf Deutsch) Since last year, I have been improvising a series of YouTube posts that deal with a certain "Shi Heng Yi". You can find the playlist here . Back in 2011, I took a critical look at the "Shaolin Temple Europe" (later the newspaper SZ reported on it). The "Shaolin Temple Europe GmbH " of the same name is now headed by Shi Heng Yi, who is said to have a business degree (MBA), among other things. This man, whose real name is Tien Sy Vuong and whom I have so far described as German-Vietnamese, is trying hard to market himself in social and other media as a " Shaolin master of the 35th generation " and also offers online courses. In the meantime, two people have reported "threats" and warnings to me via Messenger and in a forum. In one case, a critical video was deleted and only uploaded again in abridged form, in which a former student of Shi Heng Yi (S

Die Kommerzialisierung der Shaolin

Am Samstag Abend lief unter "Spiegel TV" (d.h.: besserer Boulevardjournalismus) ein mehrstündiges Porträt über einen engagierten jungen Mann, der sich dem "Shaolin-Tempel" in Kaiserslautern angeschlossen hat. Sein Werdegang wurde über einen längeren Zeitraum verfolgt, Ausschnitte dieser Sendung hatte ich schon mal gesehen. Keine Frage, der junge Mann meinte es ernst und war sympathisch. Wie ein freundlicher, harmloser Herbergsvater kam dann sogar der Abt rüber, Shi Heng Zong genannt, oder auch: der Sitaigung. Da macht einen ja schon mal stutzig, dass ein bärtiger Deutscher nur noch mit chinesischen Namen tituliert wird. Dabei hat er die buddhistischen Essensgebete durchaus eingedeutscht, und auch die Aufnahmezeremonie des jungen Mannes als Mönch lief ganz verständlich und routiniert auf Deutsch ab. Man muss den Leuten hinter dem Tempel auch ihre Ehrlichkeit (oder Naivität?) lassen, mit der sie den Werdegang des Abtes beschreiben, den wir natürlich - bei seiner Le