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Dôgens EIHEI KOROKU (II):
Ist Kausalität erblich?

"Der zwanzigste indische Patriarch Jayata sagte einst zum Ehrwürdigen Kumâralabdha: ‚Obgleich meine Eltern üblicherweise Zuflucht zu den Drei Schätzen nehmen, waren sie oft Krankheiten und finanziellem Unglück ausgesetzt. Unser Nachbar wiederum, der ein candâla[1] ist, erfreut sich bester Gesundheit und Reichtum. Welches Glück hat er – und welches Unglück ich?‘ Der Ehrwürdige antwortete: ‚Dein Zweifel kann leicht zerstreut werden. Die karmische Vergeltung von Gut und Böse geschieht in drei Zeitabschnitten. Gewöhnliche Menschen, die Gütige jung sterben und Gewalttätige lange leben oder Heimtückische glücklich und Aufrichtige unglücklich sehen, denken, dass Kausalität nicht existiert und Glück und Unglück folglich nicht damit in Verbindung stünden. Sie sind sich nicht dessen bewusst, dass ein Schatten seiner Form so folgt wie ein Ton seiner Stimme. Das Gesetz der Kausalität wird selbst im Verlaufe von einer Milliarde Kalpas nicht vergehen!‘ Als er diese Worte hörte, wurde Jayata unmittelbar von seinem Zweifel hinsichtlich karmischer Vergeltung befreit." (aus Kapitel VII)

So einfach soll das also mal gewesen sein. Einer behauptet, erfahrenes Glück und Unglück im gegenwärtig überprüfbaren Leben seien die "Vergeltung von Gut und Böse ... (aus) drei Zeitabschnitten". Dies finden wir auch so im Shôbôgenzô. Hier wird also nicht hinterfragt, was denn überhaupt "Glück" und "Unglück" an (falschen, fragwürdigen) gedanklichen Konzeptionen zugrundeliegt, sondern es wird der common sense der Menschen angesprochen, der ihnen eine klare Unterscheidung von Leidvollem und Nicht-Leidvollem eingibt. Wir dürfen uns jedoch hier nicht herausreden: Dôgen sprach zu seinen Mönchen, nicht zum gemeinen Volk. Wie kann es sein, dass er nicht die VORSTELLUNG von Glück und Unglück, sondern tatsächlich Krankheiten und Reichtum gegeneinander ausspielt (ganz wie der Normalbürger)? Wenn wir mit ähnlichem common sense knapp achthundert Jahre später antworten, dann werden wir Dôgen sagen: Leider können wir uns nicht an Existenzen in den drei Zeitabschnitten erinnern, und im Allgemeinen nehmen wir die Menschen auch nicht für voll, die das zu können behaupten. Ein solch billiger Trost ist uns nicht möglich. Und schon gar nicht überzeugt uns jemand, der etwas nur behauptet. Auch im Erwachen erkennen wir dies nicht. 

Wir hören also auf, dies nachzuplappern, und sind uns einfach der Verbundenheit der Phänomene im Universum bewusst. Wir unterscheiden nicht (wie es Dôgen anderswo ja selbst nahelegt), sondern hinterfragen die Begriffe von "gut" und "böse". Und wenn wir durch die Fähigkeit zur Nicht-Unterscheidung Sicherheit im Unterscheiden gewonnen haben und in den Rummel des menschlichen Martkplatzes zurückkehren, wo ein Kind tot geboren wird oder nur eine Woche zu leben hat, dann können wir zugeben: "Ich weiß nicht."


[1] Angehöriger der niedersten Klasse des indischen Kastensystems.

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