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Das Sutra vom Respekt den Eltern gegenüber (I)


[Dieses Sutra ist apokryph, gehört also nicht zum engeren Kanon buddhistischer Schriften. Dennoch ist es in Japan und China populär und wurde wohl geschaffen, um den Angriffen von Konfuzianern auf die buddhistische Ethik entgegenzuwirken. Entsprechend finden sich darin konfuzianische Ideale der Pietät gegenüber den Eltern wieder.]

So habe ich gehört: Einst hielt der Buddha sich bei Shravasti im Jeta-Hain auf, im Garten des Wohltäters für Waisen und Einsame, gemeinsam mit zwölfhundertfünfzig großen Bhikshu und allen achtunddreißigtausend Bodhisattvas.
   Zu dieser Zeit führte der von der Welt Geehrte die große Gemeinschaft auf einen Spaziergang gen Süden. Plötzlich stießen sie auf einen Knochenhaufen am Straßenrand. Der von der Welt Geehrte drehte sich danach um, brachte seine fünf Gliedmaßen auf die Erde und warf sich respektvoll nieder.
   Ananda legte seine Handflächen zusammen und fragte den von der Welt Geehrten: „Der Tathagata ist der Große Lehrer der drei Welten und der mitfühlende Vater aller Wesen der vier Arten von Geburten. Er genießt die Achtung und Verehrung der ganzen Gemeinschaft. Warum wirft er sich nun vor einem Haufen trockener Knochen nieder?“
   Der Buddha antwortete Ananda: „Auch wenn ihr alle meine wichtigsten Schüler seid und schon lange Mitglieder der Sangha, habt ihr noch nicht das weitreichende Verständnis erlangt. Dieser Knochenhaufen könnte meinen Vorfahren aus früheren Leben gehören. Sie könnten in zahlreichen vergangenen Leben meine Eltern gewesen sein. Darum werfe ich mich nun vor ihnen nieder. Diese Knochen, die wir hier sehen, können in zwei Gruppen unterteilt werden. Eine besteht aus den Knochen von Männern, die schwer und weiß sind. Die andere aus den Knochen von Frauen – leicht und schwarz.
   Ananda sagte dem Buddha: „Von der Welt Geehrter, solange Männer in der Welt leben, schmücken sie ihre Körper mit Roben, Gürteln, Schuhen, Hüten und anderem feinen Zwirn, damit sie eine eindeutig männliche Erscheinung annehmen. Solange Frauen leben, tragen sie Schminke und elegante Düfte auf, um ihren Körper zu schmücken und eindeutig als weibliche Erscheinung wahrgenommen zu werden. Wenn aber Männer und Frauen sterben, bleiben nur Knochen von ihnen übrig. Wie kann man diese unterscheiden? Bitte lehrt uns, wie Ihr dazu in der Lage seid.“
   Der Buddha antwortete: „Wenn die Männer in ihrem Leben Tempel betreten, den Erläuterungen von Sutren und Vinaya-Texten lauschen, den Drei Juwelen Eherbietung darbringen und Buddhas Namen rezitieren, werden ihre Knochen im Tod schwer und weiß sein. Die meisten Frauen besitzen wenig Weisheit und sind von Gefühlen durchtränkt. Sie gebären Kinder und ziehen diese mit dem Gefühl auf, es sei ihre Pflicht. Jedes Kind hängt von der Muttermilch ab, die eine Umwandlung des Mutterblutes darstellt. Jedes Kind trinkt eintausendzweihundert Gallonen [ca. fünftausend Liter] der Milch seiner Mutter. Wegen diesem Abfluss aus dem Mutterkörper, bei dem das Kind die Milch zu seiner Ernährung nutzt, wird die Mutter ausgezehrt und ihre Knochen wechseln ins Schwarze und werden leicht an Gewicht."
   Als Ananda diese Worte vernahm, spürte er einen Schmerz in seinem Herzen, als hätte man ihn mit einem Messer gestochen, und weinte still. Er sprach zum von der Welt Geehrten: „Wie könnte jemand die Freundlichkeit und Tugend der eigenen Mutter vergelten?“
   Der Buddha antwortete: „Höre gut zu, ich will es dir genau erklären. Der Embryo (Fötus) wächst zehn Mondmonate im Mutterleib heran. Welche Bitternis sie durchleidet, während er dort heranwächst! Im ersten Monat der Schwangerschaft ist der Embryo so labil wie ein Tautropfen auf Gras: Wie wahrscheinlich es da ist, dass er sich nicht vom Morgen bis zum Abend hält, sondern am Mittag verschwindet!
   Während des zweiten Mondmonats erstarrt der Embryo wie zu Schnüren. Im dritten Monat ist der Fötus wie geronnenes Blut. Während des vierten Monats beginnt er eine menschliche Form anzunehmen. Während des fünften bekommen die fünf Gliedmaßen – Beine, Arme und Kopf – ihre Form. Im sechsten Mondmonat beginnt das Kind die Bestandteile der sechs Sinnesorgane zu entwickeln: Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist. Während des siebten Monats bilden sich die dreihundertsechzig Knochen und Gelenke heraus und die vierundachtzigtausend Haarporen werden vervollständigt. Im achten Monat werden der Intellekt und die neun Körperöffnungen geschaffen. Im neunten Monat hat der Fötus gelernt, die verschiedenen Nährstoffe aufzunehmen, die ihm zugeführt werden, so kann er beispielsweise die Essenz von Pfirsichen, Birnen, gewissen Pflanzenwurzeln und die fünf Arten von Körnern verdauen.
   Im Mutterkörper hängen die festen inneren Organe, die als Speicher dienen, nach unten, während die hohlen Organe, die dem Verdauen dienen, sich nach oben winden. Dies kann mit drei Bergen verglichen werden, die sich auf der Erde erheben. Wir können diese Berge Sumeru, Karma- und Blutberg nennen. Diese vergleichbaren Berge kommen zusammen und bilden eine einzige Kette mit einem Muster hochragender Gipfel und tiefliegender Täler. So formt auch die Gerinnung des Mutterblutes aus ihren inneren Organen eine einzige Substanz, die zur Nahrung des Kindes wird.
   Während des zehnten Monats der Schwangerschaft wird der Körper des Fötus vervollständigt und für die Geburt reif. Wenn das Kind besonders pflichtbewusst ist, wird es mit aus Respekt zusammengelegten Händen auftauchen und seine Geburt friedlich und glückverheißend sein. Die Mutter wird die Geburt unverletzt überstehen und keinen Schmerz erleiden. Wenn das Kind jedoch besonders rebellisch ist und die Anlage besitzt, die fünf üblen Taten zu begehen, wird es den Schoß der Mutter verletzen, ihr Herz und ihre Leber zerreißen oder sich mit den Knochen der Mutter verhaken. Dann wird die Geburt sich wie die Schnitte von tausend Messern oder wie zehntausend scharfe Schwertstiche ins Herz anfühlen. Dies sind die Qualen, die mit der Geburt eines aufsässigen Kindes verbunden sind.

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