3. Ananda – Unentbehrliches Gedächtnis
Eine gütige Natur
Ananda, der Shakyamuni die letzten fünfundzwanzig Jahre seines Lebens als persönlicher Begleiter diente, hörte mehr von den Lehren als jeder andere Schüler und brachte erstaunliche Konzentration auf, um diese im Gedächtnis zu behalten. Deshalb ist er auch als unübertroffener Zuhörer der Lehren bekannt. Sein starkes Gedächtnis spielte eine große Rolle beim Zusammenstellen der Lehren auf der Ersten Ratsversammlung, die nach Shakyamunis Tod abgehalten wurde.
Als Mitglied der Shakya-Kaste war Ananda Shakyamunis Cousin. Obwohl er zu Buddhas Begleiter ernannt wurde, erwartete er nie eine Sonderbehandlung. Shakyamuni vertraute ihm wegen des Eifers, mit dem er der Lehre lauschte, aus tiefstem Herzen.
Als äußerst gütiger Mensch drängte Ananda Shakyamuni, den Unglücklichen zu helfen, was auch die folgende Geschichte offenbart:
Eines Tages beim Spazierengehen hörte er die schmerzerfüllten Schreie von Kindern. Er trat in ihr Haus, um sie zu trösten und fragte, was vorgefallen war. Die Kinder antworteten: „Was sollen wir beiden Brüder jetzt nur machen? Als Mutter starb, arbeiteten wir zusammen mit Vater, um über die Runden zu kommen. Aber dann starb auch Vater. Also entschieden wir, dass Mönchwerden der einzige Weg ist, um am Leben zu bleiben. Als eines Tages die Schüler von Shakyamuni vorbei kamen, fragten wir sie, ob wir ihrer Gruppe beitreten könnten. Sie lehnten ab, weil wir noch keine fünfzehn Jahre alt sind.“
Ihre Misere machte Ananda so traurig, dass er Shakyamuni überredete, den beiden Kindern den Einstieg ins religiöse Leben zu erlauben. Stark betroffen von Anandas Mitgefühl sagte Shakyamuni in ruhigem Ton: „Die beiden Jungen können bereits die Vögel verjagen, die über Felder und Obstgärten herfallen. Wir können sie als reife ‚Vogel-Jäger‘ des religiösen Lebens akzeptieren, obwohl sie noch keine fünfzehn Jahre alt sind.“ Auf diese Weise rettete Anandas Besorgnis die beiden Jungen aus der Not.
Ordination der Frauen
Anandas unermessliche Besorgnis gegenüber anderen führte sogar zu einer Änderung der Ordensregeln. Nachdem ihr Sohn das weltliche Leben aufgegeben hatte und der Shakya-König gestorben war, verfiel Shakyamunis Pflegemutter in solch tiefe Trauer, dass sie ebenfalls in Erwägung zog, sich dem religiösen Leben zuzuwenden. Aber in der von Männern beherrschten Gesellschaft jener Zeit sollten Frauen zu Hause bleiben und sich um die Familie kümmern. Einige Ordensmitglieder waren besorgt, dass die Anwesenheit von Frauen ein verführerisches Hindernis für Mönche sein könnte, die sich doch bemühten, sich von Täuschung zu befreien. Deshalb bestand der ursprüngliche buddhistische Orden weiterhin nur aus Mönchen, und auch Shakyamunis Pflegemutter wurde ausgeschlossen.
Mahaprajapati und andere Frauen der Shakya-Kaste, die ebenfalls Nonnen werden wollten, schnitten als Zeichen ihrer Ernsthaftigkeit ihre Haare ab. Daraufhin riefen sie barfuß, mit Bettlerschalen in den Händen, Shakyamuni an. Ananda begrüßte sie und sprach zu Shakyamuni in ihrem Namen: „Die bud-dhistischen Lehren sind offen für Männer und Frauen. Warum sollte Frauen der Zutritt zum Orden verwehrt sein?“ Als Shakyamuni nicht antwortete, fuhr Ananda fort: „Wenn sie den Lehren Buddhas folgen, an den Regeln des Ordens festhalten, gewissenhaft und diszipliniert sind, können Frauen dann nicht auch Erleuchtung erfahren? Bitte denk darüber nach als Wiedergutmachung für deine eigene Mutter und öffne diesen hingebungsvollen Frauen den Weg zur Ordination.“
Von Anandas Enthusiasmus angesteckt, erlaubte Shakyamuni Frauen den Einstieg in ein religiöses Leben unter der Bedingung, dass sie sich an spezielle Regeln halten sollen. Somit wurde der erste Orden für Frauen ins Leben gerufen.
Endlich erwacht
Shakyamunis nahender Tod muss für Ananda, der ihn immer begleitete, seine Predigten hörte und seinen Lehren folgte, verheerend gewesen sein. Trotz des ständigen Kontakts mit den Lehren blieb Ananda unerleuchtet und fürchtete wahrscheinlich, dass mit Shakyamunis Ableben die Tür zur Erleuchtung für ihn für immer verschlossen bliebe. Ohne auf Anandas Gefühlszustand Rücksicht zu nehmen, sagte Shakyamuni in seinem Sterbebett: „Ananda, alles Leben findet irgendwann ein Ende. Trauere nicht, wenn ich gegangen bin. Nimm meine Lehren und Regeln als Mentor und lehre dich selbst gewissenhaft.“
Obwohl Ananda durch diese Worte ermutigt wurde, bereitete ihm der Verlust seines Lehrers solchen Kummer, dass er seine Tränen nicht unterdrücken konnte.
Kurz nach Shakyamunis Tod bereitete sich der Orden auf das Erste Ratstreffen vor, bei dem die Predigten und Aussagen Buddhas zur Aussendung in die Welt zusammengestellt wurden. Da er Shakyamunis persönlicher Begleiter war, wurde Ananda auserwählt, eine leitende Rolle beim Zusammenstellen der Lehren zu übernehmen. Einige der Ältesten waren mit dieser Entscheidung nicht einverstanden, da Ananda noch nicht Erleuchtung erfahren hatte.
In der Nacht vor der Ratssitzung – im Bewusstsein, dass er sich zu sehr auf Shakyamuni verlassen hatte – widmete sich Ananda konzentriert der Selbstdisziplin. Als er gerade zu Bett gehen wollte und kurz bevor sein Kopf das Kissen berührte, erfuhr er vollständige Erleuchtung.
Von Freude erfüllt benutzte er seine außerordentliche Gedächtniskraft, um die Lehren Shakyamunis für die historische Zusammenstellung aufzusagen.
Friedensstifter bis zum Ende
Es heißt, dass Ananda einhundertzwanzig Jahre alt wurde. Eine Geschichte beschreibt, wie bedacht-sam und sanftmütig er all die Jahre war.
Als er bemerkte, dass sein Tod nahte, machte sich Ananda Sorgen um die Konflikte zwischen den Königreichen von Magadha und Vaishali. Er hatte viele Anhänger in beiden Ländern und befürchtete, dass es nach seinem Tod zu Auseinandersetzungen um seine Überreste kommen könnte. Der Ganges bildet die Grenze zwischen den beiden Königreichen. Ananda nahm ein Boot und fuhr bis zur Mitte des Flusses. Er erreichte ein Stadium von Disziplin, dass es ihm ermöglichte, seinen Körper in Flammen aufgehen zu lassen, und äscherte sich selbst ein. Daraufhin teilten seine Anhänger in Magadha und Vaishali seine Überreste gleichmäßig untereinander auf.
Gegen Ende seines Lebens brachte er all seine Kräfte im Einsatz für den Frieden auf. Seine großen Errungenschaften auf der Ersten Ratssitzung und sein tiefes Mitgefühl bilden einen fortwirkenden Teil der Geschichte des Buddhismus.
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