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Sogyal Lakar / Rinpoche und die Illusionsmaschine seiner Kritiker

Zuletzt wurde ausgiebig der Fall Sogyal Lakar/Rinpoche in buddhistischen Zirkeln diskutiert. Ein weiterer guter Beleg für Karma, könnte man meinen, hat er sich doch nach lange bekannten Sexskandalen mit Schülerinnen einfach nur weiter zwanghaft in seine Neigungen verstrickt, bis nun einige mit Beschwerden an die Öffentlichkeit traten. Am Beispiel einer Stellungnahme der "Aro-Gemeinschaft" des tibetischen (Nyingma) Buddhismus lässt sich gut aufzeigen, welcher Illusionsmaschine sich diejenigen bedienen, die nicht bereit sind, ihre eigene Überlieferung hinreichend zu hinterfragen. 

Dieser Aro-Familienzweig dürfte nur wenigen bekannt sein, er beruft sich vor allem auf erleuchtete Frauen und die "Visionärin" Aro Lingma, der schon bei ihrer Geburt allerhand Wunderzeichen der Natur usw. nachgesagt wurden. Der "Unbuddhist" übersetzte dankenswerterweise eine Stellungnahme dieser Linie zum Fall Sogyal. In dieser wird einerseits erfrischend deutlich, was an Lehrern wie Sogyal kritikwürdig ist, andererseits grenzt man sich durch den Hinweis auf andere tibetische Gurus ab, die das, was Sogyal für sich reklarmiert, auf die rechte Weise angewendet hätten. Hierin besteht das erste Problem, denn hätte mich z.B. ein Meister mit "verrückter Weisheit" (dort: yeshe cholwa) oder "zornvollem Mitgefühl" (tröwo tshul) behandelt, hätte ich - wie wohl die meisten Menschen - gesagt: "Steck dir deine Verrücktheiten sonst wo hin und behellige mich nicht mit deinen Marotten." Was im tibetischen Kulturkreis durchgehen mag als etabliert, funktioniert anderswo noch lange nicht. Der Hinweis auf lange Studien von Logik und Philosophie ihrer Meister kann diese Erkenntnis nicht mindern, denn die tibetische Logik unterscheidet sich von der westlichen. Schaut man sich an, wer dann von der Aro-Gemeinschaft ins Feld geschickt wird, um als leuchtendes Gegenbeispiel zu dienen (ich musste diese Gesellen alle erst mal googeln), dann findet man doch tatsächlich solche Beschreibungen: 

- konnte Vögel aus der Luft durch Mudra anlocken und aus der Hand füttern, die teils auf seiner Schulter saßen, und "Regen anhalten" (Chhimed Rigdzin), 
- hatte als Kind viele Visionen (Kunzang Dorje). 

Ich bin aus diesem Grund zunächst zum Schluss gekommen, dass mir ebenfalls der Titel "Rinpoche" zusteht (harharhar). Schlimmer noch ist aber dieses Geschwurbel aus Kunzang Dorjes Autobiografie: "Ich wurde von ihrer (der Meister) unfassbarer Güte erfüllt und brachte ihre Methoden zur Anwendung: die üblichen äußeren und inneren Vorbereitungen, die Entwicklungsstufe des Mahayoga, die Aktivitäten von Annähern und Erfüllen (kyerim und dzogrim), die Drei Wurzeln (Lama, Yidam und Khandro), die fünf unterstützenden Yoga-Zyklen des Anuyoga Dogrim, die durch tsalung und tikle wirken, den Khorde Rushen Dzogchen Atiyoga-Zyklus der Übung, das ursprüngliche Trekchö, das spontan manifestierte Tögal und Psal aus den Drei Serien des Dzogchen." Wow! Na dann: Herzlichen Glückwunsch, Rinpoche, du scheinst ja alle wichtigen Prüfungen bestanden zu haben, was auch immer sie bedeuten. Die Frage ist nur: Welchen Nutzen über diese innerreligiöse Rhetorik hinaus hatte das, außer Visionen und vielleicht der Tatsache, dass hungrige Spatzen beim Burger King - Verzeihung, das war ja Rinpoche Gi Do, also: Raben auf den Bergkönig hinabstießen, um sich aus seiner Hand satt zu fressen?

Leider zeigt sich der "Unbuddhist" auch hier wieder als Opportunist, die Stellungnahme dieser Sekte kommt ihm gerade recht bei seinem Feldzug gegen einen weiteren sexuell auffälligen Lehrer. Wir haben leider keine Möglichkeit, das Sexualleben der Meister dieser Aro-Gemeinschaft mit dem Sogyals abzugleichen, was wir jedoch leicht erkennen können, ist a) dass sie sich in ihrem eigenen begrenzten ethnischen Kulturrahmen bewegen, der voller Aberglauben ist und z.B. verbreitete (Natur-)Ereignisse geradezu archaisch als Kennzeichen von Heiligen deutet, b) nicht viel wirklich Brauchbares bei ihrem ganzen komplizierten Eso-Duktus herausgekommen ist. Natürlich behauptet diese Sekte, dass bei ihr verrückte Weisheit und zornvolles Mitleid niemals jemandem geschadet hätten. Interessanterweise tut dies auch ein weitaus bekannterer Lehrer, dessen Beitrag ich im Folgenden kritisiere, Dzongsar Jamyang Kyentse, der überaus umtriebig vor allem (seine) buddhistische Lehre zu verbreiten scheint [Link funktioniert nicht mehr, Jan. 2019]. Aus seinen Zeilen wird jedoch klarer, warum das Verteidigen asozialer Verhaltensweisen den tibetischen Gurus so wichtig ist - damit sie sich selbst so lange austoben können, bis ihnen ihre Fehltritte von frustrierten Schülern vorgehalten werden. Das Ganze ist also vor allem ein mächtiger Ego-Trip, und ich werfe dem "Unbuddhisten" vor, dass er solche Verklärungen unkommentiert übernimmt, wo er doch anderswo behauptet, es ginge ihm um tief gehende Missvertändnisse im Buddhismus. 

Hier also mein Kommentar, wie ich ihn auf "Buddhismus Aktuell" hinterließ.

Dieser Beitrag von Dzongsar Jamyang Khyentse ist gut verständlich, hinreichend interessant geschrieben, aufschlussreich, zu lang, und vor allem – überwiegend der Horror. Bis auf die beiden Teile, die sich kritisch zur Tibet-Euphorie von Westlern äußern und die Fragen anreißen, die sich Schüler von Sokyal hätten stellen sollen. Immerhin lässt sich an dem Essay das ganze Problem des Vajrayana und seiner Lehre aufzeigen.

Zunächst spricht Dzongsar ausdrücklich alle Buddhisten an, da der Vajrayana dem Buddhismus zugehörig sei. Mit seinem Hinweis auf die Ursprünge dieser Schule, wo Tilopa seinen Schüler Naropa aufforderte, einer Frau in den Hintern zu zwicken und Essen zu stehlen, könnte sich einem Zyniker bereits das ganze Dilemma dieser Schule offenbart haben: „Kein Wunder“, würde der sich sagen, „daraus konnte ja nichts werden als die Herabwertung von Frauen und materielle Gier.“ Also das, was Sogyal nun vorgeworfen wird. Aber ich habe ja weitergelesen und kann mich gern auch noch an dem Rest abarbeiten.

Ich weiß, wovon Dzongsar spricht, auch wenn ich im Zen stehe. Da er ausgerechnet Chögyam Trungpa als offenbar ehrwürdigen Gegenpart Sogyals mehrfach anführt (ein kurzer Blick in Wikipedia genügt, um zu verstehen, dass dessen Methoden ebenfalls einigen Menschen ganz übel aufstießen), nehme ich mir die Freiheit, Chogyams Defintion der „vierten abhisheka“ anzuführen. In „The Tantric Path of Indestructible Wakefulness“ (Shambala 2013) vergleicht er sie mit dem Anhalten von Gedanken (das wir im Zen durch Chih-i kennen) und Aufhebung der Subjekt-Objekt-Dichotomie sowie der Erkenntnis, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins sind – alles übliche Themen des Zen und auch dort Erfahrungen des Erwachens. Chogyam sagt dann interessanterweise noch, dies bedeute, auch befreit zu werden von „mein Besitz“. Offenbar sah das für ihn z.B. so aus, 40.000 USD im Jahr für seinen Kokainkonsum auszugeben (John Steinbeck IV: The Other Side of Eden. Prometheus 2001). Jedenfalls könnte man aufgrund der Tatsache, dass Sogyal materielle Begierden pflegt, recht schnell jegliche Frage seiner „mahasiddha“-Schaft vom Tisch wischen. „Diese Ansicht ist grundlegend für den Buddhadharma“, könnte man mit Dzongsars Worten von anderer Stelle sagen. Es ist bezeichnend, dass dieses Thema von ihm nicht groß verhandelt wird.

Sehr lange versucht er jedoch wortreich die Kennzeichen praktisch jeder sexuell ausbeuterischen Sekte zu verteidigen. Dazu gehört die absolute Schweigepflicht gegenüber der Außenwelt, die Dzongsar als Verstoß gegen samaya bezeichnet, also gegen Vajrayana-Gelübde. Nach denen ist freilich nicht nur Respektlosigkeit gegenüber dem eigenen Meister, sondern auch das Herabmindern von Frauen untersagt, also hätte Sogyal offenbar den ersten Verstoß gegen samaya begangen. Dzongsar würde einer Frau, die sich von ihrem Guru körperlich, emotional oder finanziell ausgebeutet empfindet, raten, dies gemäß ihrer Gelübde nur mit diesem selbst zu besprechen. Es liegt eigentlich nahe zu vermuten, dass Dzongsars Schüler/innen damit potentiell den gleichen Gefahren ausgesetzt sind wie die Sogyals, denn hier wird ein in sich geschlossenes System zementiert.

Schließlich ist zu fragen, warum sich Dzongsar so windet, klipp und klar zu schreiben, dass es sich bei Sogyal Lakar um keinen Erwachten handelt. Möglicherweise liegt es daran, dass – wie Dzongsar zitiert – dies nur Erwachte selbst erkennen könnten, und er sich nicht dazu zählt.

Es gibt weitere furchtbare Passagen in diesem Aufsatz, etwa wenn mittelalterlich anmutende Höllenstrafen für Schüler und besonders Lehrer beschrieben werden, die gegen die Vorschriften des Vajrayana verstoßen, Strafen, die schlimmer als Gefängnis und öffentliche Schmach wären, nämlich darin bestünden, in der Hölle keine Dharma-Predigt mehr hören zu können. Desweiteren wünscht sich Dzongsar zwar den Buddhismus vorzugsweise als überkulturell („jenseits von Kultur und Land“), ist aber offenbar blind dafür, dass er sich seitenweise aus einem ganz speziellen buddhistisch-ethnischen Kontext von Einweihung, Gelöbnissen und Strafen bedient, wie er in anderen buddhistischen Schulen so nicht vorhanden sind. Der Höhepunkt dieser Ignoranz zeigt sich, wenn er als die größte Gefahr für den Buddhismus das Ablehnen seiner Reinkarnationslehre bezeichnet – die zwar für die tibetische Kultur unabdingbar erscheint, in einigen anderen buddhistischen Schulen jedoch unerheblich geworden ist. Ein solch dogmatisches Problem hält Dzongsar also für schlimmer als das individuelle Leid, dass Charakterschweine in Lehrergestalt erzeugen. Da ist es kein Wunder, dass er auch noch meint, im Buddhismus gäbe es „historisch so gut wie keine Gewalt“, womit er nicht nur einen Teil der tibetischen Geschichte unter den Teppich kehrt, sondern eben gerade die Gewalt von Lehrern gegenüber Schülerinnen.

Ich mochte Dzongsars ersten Film. Dass der Buddhismus – zumal ein solcher, wie ihn Dzongsar ausmalt – in dieser Welt auf dem absteigenden Ast ist, kann mich nicht beunruhigen. Denn mir scheint, als würden immer mehr Menschen auf- oder erwachen.

 Copyright: Barbara Eckholdt / pixelio.de


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