[Auszug aus der Neuveröffentlichung des Klassikers aus dem Jahre 1913. Kaiten Nukariya: Die Religion der Samurai. Eine Studie zur Philosophie und Praxis des Zen in China und Japan. Übersetzt von Julian Braun..]
2.5 Die Ähnlichkeit der Zen-Mönche mit den Samurai
Lassen
Sie mich kurz die Gemeinsamkeiten zwischen Zen und japanischem Rittertum
aufzeigen. Erstens müssen sowohl Samurai als auch Zen-Mönche eine strikte
Schulung durchlaufen und Entbehrungen ertragen, ohne sich zu beklagen. Selbst
ein berühmter Lehrer wie zum Beispiel Eisai musste unter solch dürftigen
Umständen leben, dass er und seine Schüler einmal für einige Tage nichts zu
essen hatten.[1] Glücklicherweise
wurden sie von einem Gläubigen gebeten, Sutras zu rezitieren, wofür sie zwei
Rollen Seide erhielten. Die hungrigen jungen Mönche, denen in Erwartung der
lang ersehnten Mahlzeit bereits das Wasser im Munde zusammenlief, waren
enttäuscht, als die Seide an einen armen Mann weitergegeben wurde, der Eisai um
seine Hilfe bat. Das Hungern hielt eine ganze Woche an, bis ein anderer armer
Geselle auftauchte und Eisai darum bat, ihm irgendetwas zu geben. Da er nichts
anderes mehr zu geben hatte, um sein Mitgefühl mit dem Armen zu zeigen, löste
Eisai die bronzene Verzierung vom Bildnis des Buddha Bhecajya und gab sie ihm.
Die jungen Mönche, erbost durch Hunger und den Ärger über diesen empörenden Akt
gegenüber dem Objekt ihrer Verehrung, machten Eisai den Vorwurf: „Ist es, o
Herr, für uns Buddhisten angemessen, das Bildnis eines Buddha zu zerstören?“ –
„Nun“, erwiderte Eisai, „Buddha hätte sogar sein eigenes Leben für das Wohl
leidender Menschen gegeben. Wie könnte er etwas dagegen haben, seinen
Heiligenschein abzugeben?“ Diese Anekdote zeigt uns klar, dass Selbstaufopferung
von äußerster Wichtigkeit in der Zen-Schulung ist.
2.6 Die redliche Armut der Zen-Mönche und der Samurai
Zweitens
ist die so genannte redliche Armut ein Kennzeichen sowohl der Zen-Mönche wie
der Samurai. Reichtum mit unehrenhaften Mitteln zu erlangen verstößt gegen die
Regeln japanischer Ritterschaft bzw. bushidô.
Der Samurai würde lieber sterben, als mit Mitteln, die unter seiner Würde sind,
sein Leben zu erhalten. Es gibt viele Beispiele von Samurai aus der japanischen
Geschichte, welche tatsächlich verhungert sind, ungeachtet des Umstands, dass
sie hundert Goldmünzen hätten erhalten können, um ihre Ausgaben in der Not zu
decken. Daher auch das Sprichwort: „Der Falke würde den Mais nicht anknabbern,
selbst wenn er verhungert.“ In gleicher Weise sind keinerlei Fälle von
Zen-Mönchen bekannt, damals wie heute, die durch unehrenhafte Mittel zu
Reichtum gelangt wären. Eher würden sie mit Freude im Herzen der Armut begegnen.
Fûgai, einer der bedeutendsten Zen-Lehrer vor der Restauration, unterstützte
viele Mönchsschüler in seinem Kloster. Häufig waren sie zu zahlreich, als dass
er ihnen mit seinen dürftigen Mitteln hätte helfen können. Dies bereitete
seinen Schülern, die für die Versorgung mit Essen zuständig waren, einigen
Kummer, denn es gab keine andere Möglichkeit, als den steigenden Bedarf mit
minderer Qualität zu decken. Eines Tages rieten Fûgai daher seine älteren Schüler,
keine neuen Schüler mehr im Kloster aufzunehmen. Der Meister gab zunächst keine
Antwort, streckte aber dann seine Zunge heraus und sagte: „Jetzt blickt in
meinen Mund und sagt mir, ob sich darin eine Zunge befindet.“ Die perplexen
Schüler bejahten dies. „Dann macht euch darüber keine Gedanken. Wenn sich darin
eine Zunge befindet, kann ich jede Art von Nahrung verkosten.“ Redliche Armut
ist ohne Übertreibung eines der Kennzeichen von Samurai und Zen-Mönchen, daher
das Sprichwort: „Der Zen-Mönch hat kein Geld, der begüterte Monto[2]
weiß nichts.“
2.7 Die Männlichkeit der Zen-Mönche und der Samurai
Drittens
zeichneten sich sowohl die Zen-Mönche wie die Samurai durch ihre Männlichkeit
und ihre Würde im Betragen aus, zuweilen bis zum Grade der Rüdheit. Das hat
seinen Grund zum einen in der harten Schulung, welche sie durchlaufen haben,
und zum anderen in der Art der Unterweisung. Die folgende, von meinem Freund D.
Suzuki übersetzte Geschichte,[3]
vermag dies gut zu veranschaulichen.
Als
Rinzai sich selbst eifrig der Zen-Schulung unter Obaku (chin. Huang-po,
gestorben 850) unterwarf, erkannte der leitende Mönche seine Begabung. Eines
Tages fragte ihn der Mönch, wie lange er sich schon im Kloster befinde, und
Rinzai antwortete: „Drei Jahre.“ Der Ältere sprach: „Hast du dich je an den
Meister gewandt und ihn um Unterweisung im Buddhismus gebeten?“ Rinzai
antwortete: „Das habe ich nicht, da ich nicht weiß, was ich fragen sollte.“ –
„Nun, du könntest zu ihm gehen und ihn nach dem Kern des Buddhismus fragen.“
Rinzai
folgte diesem Rat, begab sich zu Obaku und wiederholte die Frage; doch bevor er
sie zu Ende gestellt hatte, versetzte ihm der Meister einen Streich.
Als
Rinzai zurückkam, fragte ihn der ältere Mönch, wie es ihm ergangen sei. Rinzai
sprach: „Bevor ich meine Frage zu Ende stellen konnte, versetzte mir der
Meister einen Schlag, aber ich verstehe die Bedeutung davon nicht.“ Der Ältere
sagte: „Geh noch einmal zu ihm und stelle dieselbe Frage!“ Als er dies tat,
erhielt Rinzai vom Meister dieselbe Antwort. Doch er wurde gedrängt, es noch
ein drittes Mal zu versuchen; das Resultat veränderte sich jedoch nicht.
Schließlich
begab er sich zum älteren Mönch und sagte: „Deinem Vorschlag folgend habe ich
drei Mal meine Frage wiederholt und wurde drei Mal geschlagen. Ich bedauere
sehr, dass ich aufgrund meiner Dummheit die Bedeutung davon nicht begreife. Ich
sollte diesen Ort verlassen und woanders hingehen.“ Der Ältere sagte: „Wenn du
uns verlassen willst, vergiss nicht, beim Meister vorbeizugehen und ihm
Lebewohl zu sagen.“
Direkt
danach traf der ältere Mönche den Meister und sprach: „Dieser junge Novize, der
sich drei Mal nach dem Kern des Buddhismus erkundigte, ist ein bemerkenswerter
Zeitgenosse. Wenn er kommt, um sich zu verabschieden, seid so gütig und nehmt Euch
seiner direkt an. Nach einer strengen Schulung wird er sich als ein großer
Meister erweisen, und wie ein großer Baum wird er der Welt einen erfrischenden
Schatten spenden.“
Als
Rinzai kam, um sich vom Meister zu verabschieden, legte ihm dieser Nahe,
nirgendwohin anders zu gehen außer zu Daigu (Taiyu) von Kaoan, denn nur dieser
wäre in der Lage, ihn in der Lehre zu unterweisen.
Rinzai
begab sich zu Daigu, der ihn fragte, von wo er komme. Nachdem er erfahren hatte,
dass er von Obaku kam, fragte Daigu weiter, welche Unterweisung er von diesem
erhalten hatte. Rinzai sprach: „Ich habe ihn drei Mal nach der Essenz des
Buddhismus befragt, und er hat mich drei Mal geschlagen. Aber ich verstehe bis
jetzt nicht, ob ich daran schuld bin oder nicht.“ Daigu sagte: „Obaku war
weichherzig wie ein seniler Mensch, und du bist in keiner Weise berechtigt,
hierher zu kommen und mich zu fragen, ob du an irgendetwas schuld bist.“
Auf
diese Weise gemaßregelt, dämmerte auf einmal die Bedeutung der ganzen
Angelegenheit im Geist von Rinzai auf, und er rief aus: „Da ist überhaupt nichts
Großartiges im Buddhismus von Obaku.“ Woraufhin ihn Daigu ergriff und sagte: „Diese
gespenstische, unnütze Kreatur! Vor ein paar Minuten kamst du jammernd daher,
fragtest mich, was falsch mit dir sei, und jetzt erklärst du kühn, dass da
nichts Besonderes im Buddhismus von Obaku sei. Was ist der Grund dafür? Sprich
schnell! Sprich schnell!“ Als Antwort hierauf schlug Rinzai drei Mal sanft mit
der Faust über Daigus Rippen. Dieser ließ ihn los und sagte: „Dein Lehrer ist
Obaku, und ich will nichts mit dir zu tun haben.“
Rinzai
nahm Abschied von Daigu und kehrte zu Obaku zurück. Als dieser ihn nahen sah,
rief er aus: „Verrückter Kerl! Was hilft es dir, fortwährend zu kommen und zu
gehen?“ Rinzai antwortete: „Das liegt an Eurer senilen Freundlichkeit.“
Als
Rinzai nach der üblichen Begrüßung an der Seite von Obaku stand, fragte dieser
ihn, warum er diesmal gekommen sei. Rinzai sagte: „Eurer Vermittlung Gehorsam
leistend, war ich bei Daigu. Dann bin ich wieder hergekommen.“
Als
er weiter befragt wurde, erzählte er alles, was sich dort zugetragen hatte.
Obaku
sagte: „Wenn dieser Kerl sich hier blicken lässt, werde ich ihm eine
ordentliche Tracht Prügel verpassen!“ Rinzai antwortete: „Ihr braucht nicht so lange
warten; nutzt genau diesen Augenblick!“ Und damit gab er seinem Meister einen
Schlag auf den Rücken.
Obaku
sagte: „Wie kann es dieser Wahnsinnige wagen, mir unter die Augen zu treten und
mit den Schnurrhaaren des Tigers zu spielen?“ Rinzai stieß ein „Ho!“ aus,[4]
und Obaku sagte: „Gehilfe, komm und bring diesen Wahnsinnigen zu seiner Zelle.“
2.8 Mut und Gemütsruhe der Zen-Mönche und der Samurai
Viertens begegneten
unsere Samurai, wie es wohlbekannt ist, dem Tod mit unerschrockenem Mut. Ein
Samurai würde sich niemals von seinem Feind abwenden, sondern bis zu seinem
Ende mit ihm kämpfen. Ein Feigling genannt zu werden, wäre für ihn eine
schlimmere Beleidigung als der Tod selbst. Ein Bericht Tsu Yen (Sogen)
betreffend, der im Jahr 1280 auf Einladung von Tokimune (Hôjô), dem
General-Regenten nach Japan kam, veranschaulicht gut, wie sehr die Zen-Mönche
unseren Samurai ähnelten.[5]
Der Vorfall ereignete sich während seiner Zeit in China, als die einfallenden
Armeen der Mongolen das ganze Land durchzogen. Einige der Barbaren, welche die
Grenze zur Provinz Wan überquert hatten, drangen in das Kloster von Tsu Yen ein
und drohten, ihn zu enthaupten. Tsu Yen setzte sich gelassen nieder, sein
Schicksal erwartend, und verfasste folgende Zeilen:
Himmel
und Erde bieten mir keinen Schutz;
ich bin
zufrieden, sind Körper und Geist doch unwirklich.
Willkommen
sei deine Waffe, o Krieger der Mongolen!
Ich spüre
wie dein treuer Stahl, gleißend wie ein Blitz,
den Frühlingswind durchschneidet.
Das
erinnert uns an Sang Chao (Sôjô),[6]
der im Angesicht des Todes durch das Schwert von Vagabunden seinen Gefühlen mit
folgenden Zeilen Ausdruck verlieh:
Im Körper
gibt es keine Seele.
Der Geist
ist in keiner Weise wirklich.
Nun
erprobe deinen blitzenden Stahl an mir,
so wie er den Frühlingswind
durchschneidet, welchen ich spüre.
Die
Barbaren, durch die Gelassenheit und Würde von Tsu Yuen bewegt, nahmen zu Recht
an, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Mönch handelte, und verschonten
ihn und das Kloster.
[1] Die Begebenheit
berichtet Dôgen in seinem Zuimonki.
[2] Priester der
Shin-Sekte, welcher grundsätzlich über viel Geld verfügt.
[3] The Journal of
the Pali Text Society, 1906-1907.
[4] Ein lauter
Schrei, häufig von Zen-Lehrern nach Rinzai gebraucht. Die chinesische
Aussprache ist hoh und wird mit katsu im Japanischen wiedergegeben;
dabei ist tsu jedoch nicht hörbar.
[5] Kühner
Staatsmann und Soldat, von 1264-1283 der wahre Herrscher Japans.
[6] Seng Chao war
kein reiner Zen-Meister, sondern auch ein Schüler von Kumarajiva, dem Begründer
der Sanlun-Schule. Dies ist ein
höchst bemerkenswerter Beweis dafür, wie das Zen, und insbesondere die
Rinzai-Schule, durch Kumarajiva und seine Schüler beeinflusst ist. Einzelheiten
zu der Anekdote finden sich bei Egen.
Es gibt Menschen die dem Tode näher als dem Leben sind und Menschen die mehr dem Leben als dem Tode sich verbunden fühlen.Für beide Charakteren wäre es sicher eine Bereicherung, wenn sie den jeweiligen (geschmähten) Gegenpol integrieren würden. Ich finde der Film "Kagemusha-Der Schatten des Kriegers" von Akira Kurosawa passt auch wenn keine Zen -Mönche im Film vorkommen, gut zum Samuurai-Thema.
AntwortenLöschen