Direkt zum Hauptbereich

Wie Dôgens Zen sich von Hui-nengs unterscheidet
(Auszüge von Carl Bielefeldt)

Carl Bielefeldt ist ein Dôgen-Experte, der einige der Ansichten vertritt, die ich hier schon äußerte. Zum Beispiel die, dass Dôgen ein "politcal manqué" gewesen sei, ein "verhinderter Politiker" (eigentlich ist manqué ja jemand, der eine bestimmte Erwartung oder Ambition nicht erfüllt). Er sagt das im Band "Dogen Studies" von William LaFleur (S. 41).

In seinem Buch "Dogen's Manual of Zen Meditation" (Berkeley, London 1988) schreibt Bielefeldt über Hui-neng und die drei attributlosen Schulungen ("three attributeless disciplines", wu hsiang san hsüeh):
Der Unterschied, sagt Huineng, zwischen seiner eigenen Lehre von der spontanen Erleuchtung und der des graduellen Erwachens seines Rivalen aus der Nördlichen Schule, Shen-hsiu, sei der, dass Letzterer noch dem konventionellen Verständnis anhafte und Ethik, Meditation und Weisheit als etwas präsentiere, dass in die Praxis umzusetzen sei. Hui-neng sagt: "Die Tatsache, dass der Grund des Geistes (hsin li) ohne Falsch ist, stellt die Ethik der eigenen Natur dar ... Wenn wir unsere eigene Natur verstehen, errichten wir keine Ehtik, Meditation und Weisheit ..." In der erleuchteten Weisheit unserer eigenen wahren Natur tauche kein Bedarf nach Religion auf.  (S. 90)
Weiter heißt es bei Bielefeldt über Hui-nengs Dharma-Nachfolger:
Shen-hui liefert eine Definition der drei "natürlichen" Schulungen (wu-tso) im Sinne Hui-nengs. ... In seiner Schrift Ting shih-fei lun unterscheidet er den Buddhismus Hui-nengs von dem Shen-hsius (!) aus der Nordschule damit, dass Letztgenannter die Menschen zur Praxis der Meditation ermutige und sie lehre, "den Geist erstarren zu lassen und in Samadhi einzutreten, den Geist zu richten und Reinheit zu bewahren, den Geist zu erregen und äußerlich zu erleuchten, den Geist zu konzentrieren und innerlich zu bestätigen."[In einer Fußnote wird noch kritisiert: "Verweilen mit gesenktem Blick"] ... Meditation sei karmische Aktivität, die nur zur Wiedergeburt führe. Sie würde eine spirituell impotente Leere erzeugen (wu-chi k'ung). ... Shen-hui nennt die künstliche Stille durch Meditation "Karma-Fessel", das einzig wahre Samadhi sei die natürliche Stille des ursprünglichen nicht-verweilenden Geistes eines Menschen. (S. 91)
In einem weiteren Artikel* von Professor Bielefeldt geht es vor allem um eine Auseinandersetzung mit Professor Ishigami, der über den Zusammenhang von Nembutsu und der "dreifachen Schulung" (meine Übersetzung) in sila (Regeln), Meditation und Weisheit schrieb. Der Name Hui-neng fällt genau einmal, als Beispiel für einen, der den allmählichen Zugang an diese dreifache Schulung ablehne und stattdessen für den plötzlichen Zugang sei, der der eigenen Natur entspräche. Die Schulung der Gebote solle ethische Irrtümer einer Person ausmerzen, doch der eigene Geist sei von Natur aus nicht im Irrtum. Meditation bedeute, dass der eigene Geist von Natur aus nicht verstört sei. Weisheit bedeute, dass der eigene Geist von Natur aus nicht unwissend sei. Daraus folgt, dass wir die "dreifache Schulung" auf natürliche Weise inmitten unserer Irrtümer, Verstörungen und Unwissenheit praktizieren. 

Fazit: Es finden sich in der Kritik Hui-nengs und seines Nachfolgers Shen-hui so viele Kennzeichen des Zens von Dôgen und der Sôtô-Schule, dass der Verdacht nahe liegt, Dôgen habe sich eher an der nördlichen (Shen-hsiu) als der südlichen Schule (Shen-hui) orientiert. Natürlich gibt es auch Gemeinsamkeiten, dazu müsste man Dôgen aber anders - und umfassender - verstehen, als es heutzutage viele tun, um dies wie Bielefeldt, Heine u.a. differenzieren zu können. Eine Gemeinsamkeit, die Bielefeldt in dem Artikel einräumt: Dôgen habe ebenfalls abgelehnt, dass die Meditation der dreifachen Schulung entspräche, sie sei vielmehr "die Praxis des Buddha" (butsugyo). Mit anderen Worten, man kann auch Dôgen so verstehen, wie ich es sagte, nämlich in seiner Ablehnung des Gleichklangs von Regeln, Meditation und Weisheit. Jedoch schreibt Bielefeldt auch, dass andere sich nicht wie Dôgen mit Zazen identifizierten:
Der plötzliche Zugang zu den drei Schulungen, der manchmal als "formlose Schulung" (muso sangaku) beschrieben wird, taucht immer wieder in Texten der Zentradition auf und wird oft von einer scharfen Kritik an der Meditation begleitet und an der Auffassung, Zazen sei die traditionelle Übung des dhyana (Zen). Das Lin-chien lu, eine wichtige Abhandlung des Sung-Meisters Hui-hung beispielsweise, leugnet, dass das neunjährige Sitzen Bodhidharmas vor einer Wand die Praxis des Zen gewesen sei. 
Leider kann man bei Anhängern des Sôtô-Zen in Foren seit Langem beobachten, dass sie diese Unterschiede verwischen, krampfhaft an der Deckungsgleichheit von Hui-nengs Lehre mit der Dôgens festhalten wollen und dabei auch leugnen, dass Ethik im Sinne der chinesischen Südschule einen anderen Stellenwert einnimmt, als von ihnen behauptet.

* [“Descriptive & Prescriptive Approaches to the Three Disciplines:  A Response to Prof. Ishigami.”  In Proceedings of the Conference on Zen and Nenbutsu, Los Angeles:  Bukkyō Daigaku, 2000.]

Kommentare

  1. leider funktionieren die verlinkungen nicht...

    AntwortenLöschen
  2. Danke für den Hinweis, ich habe den Beleg am Ende des Artikels genannt.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Das Sichten und Freischalten der Kommentare kann dauern.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Falscher "Shaolin-Mönch" aufgeflogen

Den aktuellen Artikel zu Shi Heng Yi (Tien Sy Vuong) findet Ihr hier.    Am Samstag, den 19.03.2011, ist in der Süddeutschen Zeitung ein größerer Artikel über den Fake-Abt (Shi Heng Zong alias Monroe Coulombe) des "Shaolin Temple Europe" erschienen - Seite 11: "Der Shaolin-Schwindel". Wir hatten bereits im Januar 2010 das Thema aufgegriffen. (Dank an Heino für den Tipp.)

The poser Shi Heng Yi alias Tien Sy Vuong / Der Blender Shi Heng Yi vom Shaolin Tempel Europe

(English version first, translated with DeepL - zunächst auf Englisch, unten auf Deutsch) Since last year, I have been improvising a series of YouTube posts that deal with a certain "Shi Heng Yi". You can find the playlist here . Back in 2011, I took a critical look at the "Shaolin Temple Europe" (later the newspaper SZ reported on it). The "Shaolin Temple Europe GmbH " of the same name is now headed by Shi Heng Yi, who is said to have a business degree (MBA), among other things. This man, whose real name is Tien Sy Vuong and whom I have so far described as German-Vietnamese, is trying hard to market himself in social and other media as a " Shaolin master of the 35th generation " and also offers online courses. In the meantime, two people have reported "threats" and warnings to me via Messenger and in a forum. In one case, a critical video was deleted and only uploaded again in abridged form, in which a former student of Shi Heng Yi (S

Die Kommerzialisierung der Shaolin

Am Samstag Abend lief unter "Spiegel TV" (d.h.: besserer Boulevardjournalismus) ein mehrstündiges Porträt über einen engagierten jungen Mann, der sich dem "Shaolin-Tempel" in Kaiserslautern angeschlossen hat. Sein Werdegang wurde über einen längeren Zeitraum verfolgt, Ausschnitte dieser Sendung hatte ich schon mal gesehen. Keine Frage, der junge Mann meinte es ernst und war sympathisch. Wie ein freundlicher, harmloser Herbergsvater kam dann sogar der Abt rüber, Shi Heng Zong genannt, oder auch: der Sitaigung. Da macht einen ja schon mal stutzig, dass ein bärtiger Deutscher nur noch mit chinesischen Namen tituliert wird. Dabei hat er die buddhistischen Essensgebete durchaus eingedeutscht, und auch die Aufnahmezeremonie des jungen Mannes als Mönch lief ganz verständlich und routiniert auf Deutsch ab. Man muss den Leuten hinter dem Tempel auch ihre Ehrlichkeit (oder Naivität?) lassen, mit der sie den Werdegang des Abtes beschreiben, den wir natürlich - bei seiner Le