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Hinrichtungsvideos der IS oder:
Wie weit darf Karikatur gehen?

In der Vergangenheit suchte ich zwei Mal nach Videos von Enthauptungen durch Anhänger des "Islamischen Staates" (IS). Da ich nicht so zügig fündig wurde, wie ich dachte, gab ich die Suche jedoch bald auf. Ich verstand, dass viele Provider diese Videos alsbald zu löschen trachteten. Kürzlich aber fand ich recht schnell den Film über die Verbrennung des jordanischen Piloten. Als ehemaliger Student der Filmwissenschaften staunte ich nicht schlecht über die Gestaltung dieses sadistischen Mordes mit den Mitteln des fiktiven Hollywood-Kinos. Da wurden digitale Grafiken wie in einem SF-Thriller mit Tom Cruise eingeblendet, die den Standort von Personen verrieten. Da wurde durch schnelle Schnitte auf den an den Gitterstäben seines Käfigs rüttelnden Gefangenen noch einmal kurz auf dessen Angst und vergeblichen Protest verwiesen. Der Soundtrack kleisterte das Ganze zu einem der widerlichsten Filmchen zu, die ich je sah. Was die tumben IS-ler nicht verstanden: Indem sie einen zu Allah betenden Muslim und sein Gesicht zeigten und richteten, machten die Vermummten sich selbst zu Karikaturen, wie sie ein französischer Zeichner nicht besser hinbekäme.

Diesmal haben sich die Mörder und Regisseure jedoch verschätzt. Es ist wohl der - auf uns seltsam wirkenden - Affinität zum Schächten (Aufschlitzen von Tierkehlen) in der muslimischen Welt zu verdanken, dass es erst der Verbrennung eines lebendigen Menschen bedurfte, um das Fass endgültig zum Überlaufen zu bringen: Enthaupten wird in der muslimischen Welt offenbar als weniger grausam angesehen denn Verbrennen. Jordaniens Regierung ließ im Gegenzug unverzüglich die Frau, die der IS vorgeblich freipressen wollte, und einen weiteren Terroristen hinrichten, Muslime gingen in Massen auf die Straßen und protestierten, der jordanische König kündigte die Ausrottung des IS an. Nicht nur ist damit der entscheidende Schulterschluss mit der westlichen Welt im Kampf gegen islamischen Fundamentalismus in die Wege geleitet. Es war ein Muslim, der die drastischsten Maßnahmen ergriff und - durchaus verstrickt in die uns bekannte nahöstliche Rache-Rhetorik - das einzig richtige Ziel vorgab.

In deutschen Talkshows muss man sich dagegen die Blödeleien eines Jürgen Todenhöfers anhören, der sich vor vermummten angeblichen IS-Kämpfern und neben einem unvermummten Deppen filmen lässt, wie dieser seinen stupiden Sermon von der (für ihn nicht erkennbar: aussichtslosen) Welteroberung von sich gibt. Dieser Depp ist dicker als die Person, die wir als Henker oft auf Bildern sehen und die das Feuer am Jordanier entzündete. Todenhöfer sieht Bombardierungen der IS wegen des Kollateralschadens als falsch an, obwohl jede militante Bewegung, die erobern will, notgedrungen in Gebiete vordringen muss und dabei recht effektiv ins Visier genommen werden kann. Dies ist ja bereits geschehen. Todenhöfer setzt Hoffnung auf ehemalige Unterstützer von Saddam Hussein und will Schiiten und Sunniten offenbar in Kröpfchen und Töpfchen stecken. Über die Komplexität und Vielseitigkeit des Islam scheint er nicht genügend informiert zu sein, sonst würde er nicht solch naive Hoffnungen hegen. Dass der IS Sadisten, Vergewaltiger und Serienkiller anzieht (die meisten IS-Anhänger wären m. E. von sich aus gar nicht in der Lage, jemandem den Kopf abzuschneiden) und permanent beweist, dass seine Ideologie (und Religion) nur vorgeschoben ist, um "das Böse" im Menschen frei ausleben zu können (da wird ein Gefangenenaustausch gefordert, und noch ehe eine Antwort der Gegenseite abgewartet ist, die eigene Geisel getötet), unterschlägt dieser weltreisende Journalist. Und er schafft es nicht, einen Vollidioten genau so zu nennen, wenigstens aus sicherer Entfernung in Deutschland, nachdem er diesem gerade eine minutenlange Fernsehansprache gewährte. Umso erbärmlicher, wenn man dann noch zusehen muss, wie ihm deutsche Politiker lauschen, die wohl insgeheim meinen, Zurückhaltung im Ukraine-Konflikt müsse mit Zurückhaltung im Kampf gegen die IS einhergehen. Tatsächlich wünschen sich die USA längst, dass europäische Staaten wie Deutschland, die die Mittel dazu hätten, endlich selbst größere Verantwortung in internationalen Auswüchsen solcher Barbarei übernähmen. 

Nach längerer Bedenkzeit bin ich zum Schluss gekommen, dass nicht nur Todenhöfers Ansicht falsch ist, sondern auch die derjenigen, die meinen, man müsse das religiöse Selbstverständnis der IS-Kämpfer als solches ernst nehmen. Stattdessen sollte der IS als ein mafiöser Mob angesehen werden, unter dessen islamistischer Fassade sich in erster Linie Geistesgestörte und Sadisten tummeln. Es ist demnach relativ unerheblich, diese Gruppe dem Islam zuzuordnen. Wenn in dieser Hinsicht jemand für Klarheit sorgen will, dann sind es hoffentlich Muslime selbst. Indem man dem IS das Recht auf seine verzerrende Selbstdefinition abspricht, schützt man den Islam und seine (vernünftigen, moderaten) Anhänger auch vor den nahe liegenden Ressentiments. Was man ernst nehmen muss, ist die Todesverachtung vieler IS-Kämpfer, weil man dieser nur adäquat mit einer vergleichbaren Einstellung begegnen kann. Von Journalisten, die die Gelegenheit nutzten und sich inmitten von IS-Kämpfern mit diesen in die Luft jagten, hat wohl noch keiner gehört? Entweder sie machen als Nicht-Muslime Interview-Deals mit unteren Kommando-Ebenen, oder sie lassen sich von den oberen abschlachten.

Die Angelegenheit stellt sich komplexer dar, wenn der Otto Normalmuslim auf der Straße zu Mohammed-Karikaturen befragt wird. Überraschend oft sind Muslime wütend darüber, zeigen gelegentlich sogar Verständnis für Vergeltungsmaßnahmen. Ein Gelehrter der arabischen Welt forderte gar, man müsse auf jede mögliche Beleidigung in Form von Satire, Karikatur usw. verzichten, weil damit immer eine Minderheit im Westen verächtlich gemacht wurde, die es zu schützen gelte. Aha. Wenn Muslime also in Zukunft in der Mehrheit wären, würde Charlie Hebdo plötzlich salonfähig? 

Abgesehen von dem grundsätzlichen Problem, dass es der Muslim selbst ist, der die Karikatur erst - in seinem Geiste - erschafft, da er sich ja kein Bild von Mohammed machen soll und ihn deshalb auch in keinem Abbild erkennen dürfte (er trägt also die Verantwortung für die Karikatur immer auch selbst), ist das obige Argument unsinnig. Das "heilige" Buch des aufgeklärten Westlers ist sein Grundgesetz, sind die Menschenrechte. Wenn dort der Meinungsfreiheit ein großer Spielraum gewährt wird, ist diese Regel ebenso "heilig" wie dem Muslim die Ansicht, dass Jesus nur ein Prophet sei. Und die Karikatur ist Ausdruck dieser Regel, so wie der Koran Ausdruck einer Weltanschauung ist. Würde nun in muslimischen Ländern ein gleicher derart geforderter Schutz von Minderheiten vollzogen, dann müssten die entsprechenden Passagen aus dem Koran verschwinden, die Jesus den Status eines fleischgewordenen Sohnes Gottes absprechen. Denn das ist selbstverständlich eine Beleidigung des christlichen Glaubens. Wer also eine solche Rücksichtnahme - und letztlich Zensur - fordert, der hat nicht einmal begriffen, dass sein eigenes heiliges Werk nicht maßgeblicher sein kann als das der anderen. Und das wirkt wirklich - vorsintflutlich. Wenn also der hoffentlich gemeinsame Kampf gegen die Irren in der Schutzweste des Islam gewonnen ist, wird es eines langen Gedankenaustausches bedürfen, in dem vermittelt werden muss, warum die Werte eines aufgeklärten säkularen Staates denen eines religiösen Glaubens übergeordnet sein sollten. Das mussten hierzulande auch diejenigen schon schmerzhaft erfahren, die auf ihrer persönlichen Lesart eines wörtlichen Verständnisses der Bibel oder des Palikanon beharren. Dies gilt für alle "Gläubigen".

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