Weil es aus
meiner Sicht recht interessant ist und zeigt, dass der tibetische Buddhismus
keineswegs immer so friedlich und tolerant war, wie er sich heute darstellt, heute ein kurzer Überblick zur Jonang-Schule des tibetischen Buddhismus und zum
damit verbundenen Bogd Khan, dem höchsten Lama der Mongolei, dessen letzte
Inkarnation (seltsamerweise) ein
Gelugpa-Lama war.
[Anmerkung: Ich sehe sie als
eigenständige Schule an und nicht, wie der Wikipedia-Autor, als Sakyapa-Linie,
da sie de facto auch eigenständig ist, mit eigener Philosophie, eigenen,
speziellen Schutzgottheiten und Riten, und da sie auch nicht dem Sakya Trizing
untersteht, dem Oberhaupt der Sakyapa-Tradition].
Die Jonangpa-Tradition geht auf
den indischen Meister Somanatha zurück, der aus Kaschmir stammt und dem Tibeter
Yumo Mikyö Dorje im 12. Jh. den Dharma übertrug. Benannt ist die Schule nach
dem Kloster Jonang in Südtibet, welches von dem Lama Künpang Thugje Tsöndrü (*1243
+1313), einem Dharma-Ahnen von Yumo Mikyö Dorje, im Jahre 1293 gegründet wurde.
Damit ist die Jonangpa-Schule nach der Gelugpa-Schule die zweitjüngste
Tradition des tibetischen Buddhismus.
Richtig bekannt, angesehen und
einflussreich wurde dieser Rotmützenbuddhismus aber erst durch den Jonangpa-Meister
Taranatha (*1575 +1634). Dieser wurde als Reinkarnation eines berühmten
Jonangpa-Abtes und -Meisters angesehen und erhielt Belehrungen und
Dharma-Übertragungen nicht nur aus der Jonangpa-Linie, sondern auch von der
Sakyapa-Linie und von dem indischen Meister Buddhanatha - einem der wenigen zu der
Zeit noch lebenden indischstämmigen Verwirklichter. [Der Buddhismus war zu der
Zeit auf dem Subkontinent schon fast vollständig verschwunden!]. Taranatha
schrieb Zeit seines Lebens wichtige Belehrungen, unter anderem auch zur von der
Jonangpa vertretenen „Nur-Geist-Philosophie“ und zum Kalachakra-Tantra („Rad
des Lebens“ - das sind die Sandmandala-Rituale, für die heute speziell die
Gelugpas und der Dalai Lama berühmt sind!), dessen Hauptlinienhalter er war. Um
1620 soll Taranatha in die Mongolei gegangen sein, wo er der Legende nach noch
über ein Jahrzehnt bis zu seinem Tod wirkte.
Noch bevor die Mönche des
Klosters Jonang damit beginnen konnten, seine Reinkarnation ausfindig zu
machen, proklamierte der zu dieser Zeit inthronierte 5. Dalai Lama, das
politische Oberhaupt der Gelugpa, man habe ihn bereits gefunden, nämlich in
Gestalt des Mongolen Zanabazar (auch „Dsanabadsar“; *1635 +1723, in Beijing),
dem Sohn eines damals mächtigen mongolischen Khan. Der Junge wurde von
führenden mongolischen Lamas geprüft und als Inkarnation des Bodhisattva
Manjushri und lebender Buddha bestätigt. In der Mongolei erhielt er offenbar zunächst eine Ausbildung sowohl von
Jonangpa- als auch von Gelugpa-Lamas. Da sein Vater, der Khan, auch in Tibet
militärischen Einfluss hatte, und von der Anerkennung seines Sohnes natürlich
mehr als begeistert war [lebender Buddha in der Familie!], mussten die
tibetischen Jonangpa-Lamas und Klöster die Reinkarnations-Findung schlucken und
ihrerseits anerkennen, um bei dem Khan nicht in Ungnade zu fallen. 1649 wurde
Zanabazar nach Tibet geschickt, wo er nur noch von Gelugpa-Lamas, insbesondere
dem 5. Dalai Lama und dem 4. Panchen Lama, unterrichtet wurde - er wurde also zu
einem Lama der Gelugpa-Schule gemacht! Vom Dalai Lama erhielt er den Titel
Jebtsundamba Khutukhtu - dritthöchster Lama der Gelugpa-Tradition und oberster
geistiger Führer aller buddhistischen Mongolen. Nachdem Zanabazar als
Gelugpa-Lama in die Mongolei zurückgekehrt war, etablierte er unter Protektion
seines Vater, aber auch, weil er ein begnadeter Lehrer, Autor und Bildhauer war
- tatsächlich ein Universalgenie - die ihm gelehrte Gelugpa-Tradition quasi als
mongolische Staatsreligion. [Das von Zanabazar entwickelte Sojombo-Symbol,
welches auch Grundlage der mongolischen Schrift ist, hat Eingang in die
Nationalflagge der Mongolei gefunden.]
Während Zanabazars Patriarchat
über die Mongolei geriet diese unter die Herrschaft der chinesischen
Mandschu-Dynastie, welche besonders den Gelugpa-Buddhismus unterstützte.
Nachdem sein Bruder, der dem Vater auf den Khan-Thron folgte, abgesetzt worden
war, wurden Zanabazar und nach seinem Tod die folgenden Jebtsundamba Khutukhtu,
zusammen mit den anderen Offiziellen des Mandschu-Regimes, die mächtigsten und
einflussreichsten Personen des öffentlichen Lebens. Da bereits für Zanabazar
das in der Gelugpa-Tradition ansonsten gültige Zölibat keine Anwendung fand (er
war verheiratet, doch seine Frau starb schon im Alter von 18 Jahren), mussten
auch die künftigen Jebtsundamba Khutukhtu nicht zölibatär leben. Der 8. Jebtsundamba
Khutukhtu bekam nach dem Ende der Mandschu-Dynastie und dem Ende der
Chinesischen Kaiserzeit den Titel Bogd Khan und wurde damit auch weltlicher
Herrscher der Mongolei.
In Tibet nutzte
nun der 5. Dalai Lama seinen klugen Schachzug - die „Übernahme der
Taranatha-Inkarnation“ – für seine Zwecke. Er beschuldigte die Jonang-Schule,
die nun ohne gewichtigen Lama dastand, der Häresie, wobei er als Begründung
anführte, dass diese wegen ihrer „Nur-Geist-Philosophie“ dem ketzerischen
Han-Chinesischen Chan (=Zen) nahe stände, und nicht der „indischen“ Lehre des Mittleren
Weges des Großen Meisters Nagarjuna. Mit Unterstützung der mongolischen Truppen
des Khans - Zanabazars Vater und später seines Bruders - gelang es ihm, fast
alle Klöster der Jonang-Schule auf tibetischen Boden entweder zu zerstören oder
in Gelugpa-Klöster umzuwandeln. Im Internet ist nicht genau zu lesen, was danach
mit den Mönchen und Lamas der Jonang-Schule geschah, aber ich denke, es ist
davon auszugehen, dass diese zwangskonvertiert, vertrieben oder gar getötet
wurden.
Durch die vollkommene Zerschlagung
ihrer vorher ärgsten Rivalin, der Jonangpa, wurde die Gelugpa die führende
Kraft im tibetischen Buddhismus, und konnte sich nun ebenso gezielt gegen die
Kagyüpa-Schule wenden, welcher sie in den folgenden Jahrhunderten ebenfalls
ihren politischen Einfluss gänzlich abspenstig machte, auch wenn der geistige
Einfluss dieser Schule bis heute erhalten blieb. Hierbei wurde die
Gelugpa-Schule von den chinesischen Mandschu-Kaisern unterstützt, die Dalai
Lamas verdanken folglich ihren Aufstieg zur weltlichen Macht einerseits den
mongolischen Khans und andererseits dem chinesischen Kaiserhaus.
Die Jonang-Schule bestand allerdings
fort. In den chinesischen Grenzgebieten zu Tibet, in denen bereits seit alters
je nach Bezirk mehr tibetisch-stämmige Chinesen lebten als Han-Chinesen, hatte
sie sich festsetzen und überleben können. Die dortigen tibetischen Chinesen
standen nie unter dem Einfluss Tibets und seiner Hauptstadt Lhasa, und so
konnte der Dalai Lama auf die über 30 Klöster dort keinen Einfluss geltend
machen. Da das Gebiet vom Kaiserhof in Beijing sehr weit entfernt lag, geriet
es auch nie in den Fokus der Mandschu-Dynastie.
Heute gibt es also allein in den
urchinesischen Provinzen Sichuan und Qinghai noch um die 30 Klöster der tibetischen
Jonang-Schule, aber auch welche im äußersten Osten Tibets. Insgesamt wird die
Zahl der Jonang-Mönche und –Lamas, die heute ihren religiösen Dienst verrichten,
auf vier- bis fünftausend geschätzt, und vor allem diejenigen Klöster, welche
sich außerhalb Tibets befinden, haben offenbar nicht so sehr unter den
Repressalien und der Kulturrevolution gelitten wie diejenigen in Tibet.
Nach einer Internet-Studie ist
der Dalai Lama nun bemüht, auch die Jonang-Tradition unter den Exil-Tibetern zu
etablieren; bisher in Gelugpa-Klöstern unter Verschluss gehaltene Texte der
Jonangpa sollen wieder zugänglich gemacht werden. Angeblich wird sogar überlegt,
den noch aufzufindenden 10. Jebtsundamba Khutukhtu (also den 10. Bogd Khan)
nunmehr wieder zum Lama der Jonangpa-Tradition zu machen ...
Ob dies geschehen soll, um
historisches Unrecht gut zu machen, oder aber - da die Suche nach der
Inkarnation von mongolischen und tibetischen Getreuen des Dalai Lama
unternommen wird - um auf diesem Weg auch religiösen Einfluss auf die
Jonangpa-Klöster im chinesischen Kernland zu bekommen, ist mir nicht ganz klar.
Es ist ziemlich sicher, dass
gerade die Institution des Dalai Lama bislang insbesondere in den Gebieten der
Jonangpa-Klöster in Sichuan und Qinghai wenig Liebe findet und dort keinerlei
Einfluss hat. Jetzt einen dem Dalai Lama wohlgesonnenen Jungen zu finden, ihn
von Gelugpas und ein paar linientreuen Jonang-Lamas ausbilden zu lassen und als
10. Bogd Khan, Taranatha-Inkarnation und Jonang-Lama zu inthronisieren, damit
er - als Freund der Dalai Lamas und der Gelugpas - später historische Ansprüche
und Einflussnahmen auf die unabhängigen chinesischen Jonangpa-Klöster geltend
machen kann, wäre ein neuer „Schachzug“ und sogar ein doppelter: offiziell
historisches Unrecht rückgängig gemacht, inoffiziell de facto auch die letzten
Jonangpa-Klöster „vereinnahmt“.
Vielleicht wäre es klüger, die
Auffindung des 10. Bogd Khan ganz den Mongolen zu überlassen und sich da nicht
einzumischen. Wenn die neue Taranatha-Inkarnation alt genug ist, kann sie ja
selbst entscheiden, ob sie Gelugpa-Lama oder Jonang-Lama wird. Warum muss der
Dalai Lama da überhaupt Einfluss nehmen? Es reicht doch, wenn er ihn - den „unabhängig-gefundenen
Knaben“ - einfach als 10. Bogd Khan anerkennt.
Ich bin gespannt, wie sich dieser
tibetische Lama-Krimi entwickeln wird. Bis zur Auffindung des 10. Bogd Khan
wird es nicht mehr allzu lange dauern, denn der 9. ist bereits 2012, also vor
etwa fünf Jahren, verstorben, und das ist eigentlich auch so die Zeit, in
welcher die Knaben als Tulkus [Bodhisatta-Inkarnationen] „wiedererkannt“
werden. Vielleicht wird man schon an der „Wahl“ des Knaben (Familienherkunft,
Einfluss nehmende Parteien) und am Anerkennungs- und Inthronisierungsverfahren
sehen, wohin „dieser Hase laufen soll“.
[Nachtrag:] Eine weitere
Recherche hat gerade ergeben, dass der Dalai Lama dem Jonang-Orden bereits ein
Kloster übereignet hat. Dieses führt nun als höchsten geistigen Lehrer neben
dem dort aktuellen Jonangpa-Rinpoche/-Abt des Klosters auch schon den
verstorbenen 9. Bogd Khan [der ja noch gänzlich Gelugpa-Lama war!].
Demgegenüber werden auf
chinesischen Seiten zwei Äbte/Rinpoches aus zwei Klöstern in Qinghai als
derzeit höchste Würdenträger der
ununterbrochenen Jonang-Linie in Osttibet und Südwestchina geführt. Sie
sind wohl auch von der chinesischen Religionsbehörde anerkannt.
Die ersten Jonang-Lamas
flüchteten wohl erst in den 1990ern aus Osttibet ins indische und nepalesische
Exil, so dass sich bis dahin niemand von der tibetischen Exilregierung über die
„Jonang-Frage“ Gedanken machte; in Sichuan und Qinghai ging wohl alles seinen, seit
Jahrhunderten eingespielten Gang.
Für mich beginnt die Sache nun
bereits nach Einflussnahme zu riechen ... aber noch ist ja das letzte Wort
nicht gesprochen!
https://www.youtube.com/watch?v=SDuqayOx2Nw
AntwortenLöschenGruß! B.
Danke für diesen informativen Artikel.
AntwortenLöschenMich erinnern solche Vorgänge stark an die oft kriegerischen Auseinandersetzungen die im Westen wegen der Vor-Machtsstellung von Kirche (Papst) und Staat (Könige,Kaiser), geführt wurden= Religiöse Politik/ Politische Religion.
Namaste!
AntwortenLöschenIch denke dererlei Machenschaften treten immer zutage, wenn es nicht in erster Linie um den Dharma geht, sondern auch und vor allem um solche Faktoren wie Macht, Einfluss, Ansehen und Geld - das ist ja beim Thema Ikkyû und Erleuchtungszertifikate nicht anders!
Im Spruch "When money talks, than bullshit walks" könnte auch "power" oder ähnliches stattdessen stehen...
Man möge mich nicht falsch verstehen; eigentlich bin ich kein scharfer Kritiker des Dalai Lama; aber bei einigen seiner Taten und Äußerungen muss man sich schon fragen, ob es ihm da in erster Linie wirklich nur um den Dharma geht...!?
< gasshô >
Benkei
Erstmal danke Benkei für den Beitrag!
AntwortenLöschen"Bogd Khan" klingt fast wie mein Nachname. Voll gruselig!
Sagt, bin ich nun der 10.???? Ha ha ha ha ! :-)
Im Ernst: Ich finde Zen/Buddh. braucht kein religiöses Oberhaupt. Das sollte irgendwie der Schwarm klären können. Nord und Süd-Chan, hat die Wahlfreiheit geschadet? Letztlich renn ich auch nicht in die Sangha sondern lese halt hier und schreibe auch mal da. Ist doch total entspannt so, jeder kann von einer Vielzahl an Inhalten wählen. Warum dann alles auf eine fehlbare Oberhaupt-Rolle reduzieren, wo es doch so viele brillante Köpfe da draußen gibt?
F zu dem unktor.
Für weitere Informationen.
AntwortenLöschenGibt man im http://studybuddhism.com/de Portal den Suchbegriff "Jonangpa" ein, werden verschiedne Artikel darüber aufgeführt.