Ich möchte in Zukunft seltsame Ansichten aus anderen Blogs oder Foren aufgreifen, bevorzugt wahrscheinlich aus dem "Buddhaland" (eine unerschöpfliche Fundgrube groben Unsinns) und von Brad Warner. Verweisen möchte ich auch auf meine kleine Liste mit Literaturempfehlungen jenseits des Buddhismus, die ich - rechts in der Spalte unter den Infos zu meiner Person - jeweils am Monatsanfang erneuern will und die einen Teil meiner aktuellen Lektüre wiederspiegelt.
Im "Buddhaland" fragte gerade ein User, was der Buddhismus zum Selbstmord sage. Den Buddhismus gibt es ja nicht, also ergab sich gleich eine Bandbreite von Antworten. Zwei der intelligenteren stammen von den Usern accinca und Sudhana und verschweigen doch einen Teil der Überlieferung oder sind sich deren Widersprüchen gar nicht bewusst. Schauen wir uns an, was dabei herauskommt.
Beide User, obschon der eine Zen vertritt und der andere Theravada, legen offenbar gleichermaßen Wert auf die schriftliche Überlieferung, die drei Beispiele von irgendwie durch Buddha abgesegneten Selbstmord beschreibt. In einem Fall ist es ein unheilbar Erkrankter, jedoch bereits "Befreiter" (Channa), in einem weiteren Fall jemand, dem zugestanden wird, beim Sterben Befreiung zu erlangen (Vakkali), desweiteren einer, der bereits sechs Mal Befreiung erlangt habe und "jedes Mal wieder zurück" gefallen sei, weshalb er mit der Selbsttötung den nächsten Zustand der Befreiung "fixieren" wolle (Godhika).
Interessant ist, wie schnell die These abgebügelt wird, der Buddha selbst könne Selbstmord begangen haben (je nach Lesart starb er ja an vergifteten oder schlechten Pilzen bzw. Schweinefleisch). Hier fehlt m. E. der Einwurf, dass ein Allwissender natürlich einen solchen Umstand - und das im Mahaparanibbana Sutta gennante Ausbleiben der Bitten von anderen, doch die Vergiftung gefälligst zu überleben - durchschaut und vorausgesehen haben und damit willentlich den Tod in Kauf genommen haben müsste. Damit hat er im Grunde sogar der Sterbehilfe durch andere zugestimmt, oder eben einem Mord. Das aber hätte ja aufgrund der zitierten Verbote aus dem Vinaya nicht sein dürfen. Denn wenn ein Erwachter keinen Mord dulden will, aber bei seiner eigenen Tötung ein Auge zudrückt, dann tut er ja nichts anderes, als eine Form der Sterbehilfe zu dulden. (Sudhanas Einwurf, ein Bhikkhu dürfe keine Essensspende ablehnen, ist
lächerlich, da er nicht gezwungen ist, das Essen auch zu vertilgen).
Natürlich werden auch wieder die Jataka ausgeblendet und die Geschichte, nach der Buddha in einem seiner Vorleben als Bodhisattva sich einer Tigerin opferte, damit sie nicht dem Hungertod anheimfiele (siehe Kap. 18 in diesem Sutra). Bliebe man nun in der Analogie der o. g. Buddhaland-User, nach der die schriftliche Überlieferung das Vorbild für eigenes Verhalten liefert, dann würde also zumindest jeder, der sich auf eine Weise umbringt, die andere Lebewesen vor dem Verhungern rettet, im Sinne dieses Bodhisattva bzw. des späteren Buddha handeln. Im weiteren Sinn könnte ein solcher Selbstmord eines Bodhisattva zum Nutzen anderer Wesen z. B. geschehen, damit seine Organe noch in möglichst gutem Zustand anderen gespendet werden können. Man sieht also leicht, in welche irren Gefilde man gerät, wenn man mit dem Klammern an die schriftliche Überlieferung Ernst machte.
Noch klarer wird das freilich an folgender Aussage:
"Selbstmord ist zweifellos eine Möglichkeit, die persönliche Leiderfahrung zu beenden, indem man die Person - das, was persönliches Leid erfährt - vernichtet. Das ist Resignation, Aufgeben - und das hat Anspruch auf Mitgefühl und Verständnis. Aber das ist natürlich nicht der Ausweg aus dem Problem des Leidens, den Buddha gelehrt hat, es ist vielmehr der Sieg des Leidens." ("Sudhana")
Wieder einmal wird der Dharma dahingehend verstanden, als würde er einen Ausweg aus den Fakten, die das Leid mit vier Schlagbegriffen umschreiben, anbieten: Geburt, Krankheit, Alter und Tod. Doch das tut er nicht. Der Buddhismus kann keines dieser vier Dinge aufheben (sofern wir einmal den Gedanken an eine Wieder-Geburt ausklammern). Insofern kann das Leiden auch nicht "siegen", wenn jemand sich selbst umbringt, da der Tod ja wirklich jeden erwartet und somit immer obsiegen würde. Vielmehr gebt es im Dharma darum, wie man sich gegenüber leidhaften Erfahrungen gedanklich positioniert, wie man also nicht am Leiden, den Fakten etwa von Krankheiten, Altern und Sterben/Tod, leidet.
Wenn es nun, um auf obiges Beispiel zurückzukommen, wie im Falle Chandas möglich sein soll, Befreiung erlangt zu haben und dennoch den Wunsch nach einem Abkürzen von physischem Leiden zu verspüren, dann zeigt dies ja gerade, dass eben dieses Leiden nicht durch Befreiung überwunden wird und auch das (gedankliche) Nicht-Leiden an diesem körperlichen Schmerz offenbar Grenzen kennt. Wieso sonst sollte Chanda überhaupt auf den Gedanken kommen, es abzukürzen? Wäre es "Resignation", "das, was persönliches Leid erfährt" von dieser Erfahrung zu trennen, dann dürfte auch keine erfolgreiche Schmerztherapie angewendet werden, da ja so die Schmerzrezeptoren und die entsprechende Registrierung im Hirn des Betroffenen manipuliert wären. Hier wird also zwischen den Zeilen so getan, als sei es wichtiger, dass ein Mensch schwer leidet und sich diesem Leiden auch körperlich stellt, anstatt darauf zu setzen, dass er - wie etwa Vakkali - durch Schmerzeliminierung bzw. ggf. auch den eigenen Tod Befreiung erlangt.
Buddha hat keinen Weg aus schwerem körperlichem Leid gelehrt. Er hat lediglich das geistige Leiden der Menschen behandelt. Und zu einer seiner wesentlichen Erkenntnisse gehörte dabei, dass das von uns empfundene Selbst einer Einbildung entspricht. Von einem solchen Hirngespinst kann man sich auf zweierlei Art verabschieden: Indem man sich entsprechender Gedanken entledigt oder den Gedankenapparat komplett lahmlegt. Ein derartiges Nirwana, darauf deutet vieles hin, ist dann spätestens mit dem Tod aber jedem möglich.
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Ich denke, dass für die meisten Menschen dieser nicht rückgängig zu machende Entschluss zur Selbst-Tötung, nicht aus freiem Willen, sondern aus tiefer Verzweiflung=Leiden getroffen wird. Denn, hätten sie menschliche Unterstützung, würden sicher eine Vielzahl der Menschen davon absehen, bzw. gar nicht erst soweit kommen.
AntwortenLöschenDie oft traumatisierten Hinterbliebenen können gerade wegen solchen, nicht nachvollziehbaren Selbst-Tötungen, ihr Leben lang daran leiden und daran zu Grunde gehen. So kann man davon ausgehen, dass die Selbst-Tötung für mehr Menschen tiefes Leiden bringt und diese Überlegung kann eine Motivation sein, von der EIGENEN Selbst-Tötung ab zu lassen.
Grundsätzlich ist es für jede/n heil voll, wenn man die eigenen selbst zerstörerischen Tendenzen kennt und sich fragt, welche kreativen Möglichkeiten es gibt, diese in eine Lebensspendende Kraft für sich und andere zu nutzen.!
Namaste!
AntwortenLöschenWelcher Teil des ersten Pancasila bzw. Jukai "Nicht-töten" wird da denn nicht verstanden?
Wieso sucht man sich irgendwelche, schriftlich überlieferten Legenden über Einzelschicksale und will daraus einen Präzedenzfall machen, wenn man demgegenüber eine klare Aussage aus der gelebten Ethik-Praxis hat?
Okay, wenn es um solche indirekten Dinge wie "Fleisch-essen" oder "Tierversuche" geht, dann ist "Nicht-töten" recht unbestimmt. Aber was die Tötung der eigenen Person angeht, ist es doch ganz klar: "Nicht töten"!
Ich sehe das Problem gar nicht.
Da ist überhaupt keine Veranlassung irgendwelche alten Geschichten anzuführen!
< gassho >
Benkei
Namu-Amida-Butsu
Lieber Benkei, ich sehe das anders. Auf dieses Problem, das Du hier aufwirst, werde ich bald mit Bezug auf einen ähnlichen Einwurf von Brad Warner in seinem Blog eingehen. Es gibt meines Erachtens eine wertvollere Ethik als die der jukai, die sich in der Erkenntnis oder dem Erwachen erschließt. Ich will das an einem konkreten Beispiel dann klarer machen, weil es so oft falsch verstanden wird (als Rechtfertigung für unmoralisches Tun statt als Vertiefung der Moral und Überwindung der Grenzen von buddhistischen pancasila).
AntwortenLöschenDer Maßstab für Empathie ist heute, aus wissenschaftlicher Sicht, das Ausmaß des Einfühlungsvermögens in den anderen. Wenn dieser andere also stark leidet und gehen will und ich das empathisch nachvollziehen kann, dann kann ich ethisch wertvoller handeln, wenn ich ihm dabei helfe, als wenn ich es - vlt. noch mit Berufung auf jukai - unterlasse. Unter dem Stichwort "Euthanasia" hat sich übrigens Bhante Dhammika in seinem Blog mal ausführlich zu dem Thema ausgelassen.
In den Regeln des Buddhismus heißt es zuweilen "ich übe mich im" ... z.B. Nicht-Töten. Ich selbst übe mich etwa im Schreiben, glaube aber nicht an Vollkommenheit. Meines Erachtens erlaubt der zenbuddhistische Weg das (unaufhörliche) Üben im Sinne eines Ideales, das aber Ausnahmen kennt, wenn man so will also das "Scheitern" mit einschließt. Das scheint mir auch der Vorstellung eines "mittleren Weges" eher zu entsprechen. Wenn man sich sein Leben lang im Nicht-Töten geübt hat und sich am Ende selbst das Leben nimmt, kann das nicht die Übung aufheben oder ungültig machen.
Erst recht - und darum meine sophistische Andeutung am Schluss - ist die Diskussion dann sinnlos, wenn man erkannt hat, dass es dieses Selbst gar nicht gibt, dass man töten könnte (und das ist schließlich ein mögliches Heilsziel im Zen).
Die Regel des Nicht-Tötens jedenfalls bezieht sich in meinen Augen auf andere Lebewesen, nicht auf einen selbst (so wie weitere Laienregeln sich darauf beziehen, nicht andere zu belügen, nicht anderen etwas wegzunehmen oder mit den Ehefrauen anderer Sex zu haben). Lediglich die Regel gegen das eigene Berauschen hat diesen Selbstbezug.
Zudem heißt es im Dhammapada 129 als Begründung dafür, warum man sich nicht gegenseitig (!) töten solle: "Alle Menschen fürchten den Tod". Es ist aber so, dass einige Menschen den Tod als Erlösung herbeisehnen, demzufolge diese Begründung dann keinen Sinn mehr machte. Sie hängen dann genauso wenig am Leben wie ein Vakkali.
In der Zen-Überlieferung gibt es zudem viele Beispiele von offenbar willentlich herbeigeführtem Tod. Dafür stehen etwa die Geschichten, wo ein Meister noch ein paar Tage länger bleibt, obwohl er seinen Tod schon angekündigt hat, weil seine Schüler noch nicht so weit waren, diesen angemessen zu verkraften. Diese Metapher des bewussten Sterbens zu einem vorhergesagten Termin kann man eben auch als Hinweis darauf nehmen, dass ein Zenübender den Todeszeitpunkt sich ggf. auch aussuchen darf.
Ich habe oben wohl nicht deutlich genug gemacht, wie seltsam ich es finde, wenn einer von "Hermeneutik" in einem Forum spricht und sich ganz offensichtlich bloß in Glaubenssätzen verfängt.
Wenn ein Bodhisattva sich laut Überlieferung opfert, damit ein anderes Lebewesen nicht stirbt, dann ist das Mindeste, was man von einem erwarten kann, der Bodhisattva-Gelübde auf sich nimmt, dass er sich zur Organspende bereit erklärt und diese befürwortet.
Wenn der Allwissende es zulässt, dass ein anderer seinen Tod herbeiführt, dann ist das Mindeste - wenn man ein bisschen was von Hermeneutik, also Textdeutung, und Analogie versteht -, dass man aus buddhistischer Sicht die Sterbehilfe befürworten kann.
Und wenn man Zen übt und weiß, dass wir alle Buddha-Natur sind, dann ist das Mindeste, dass man auch anderen als einem legendären Shskyamuni zugestehen kann, zu erkennen, ob einer bereit ist zu gehen oder nicht.
Manche meinen Zen zu machen und saufen dann auf einem Theravada-"Floß" ab.
Ein gelungener Artikel zum Thema Sterbehilfe - und Doppel-Selbstmord ! - findet sich im aktuellen SZ-Magazin. Die Frau eines körperlich immer mehr eingeschränkten Ehemannes beschloss, mit ihm in den Tod zu gehen. Dazu sollte zunächst sie mithilfe von Tabletten sterben und er ihr dann folgen (denn eigentlich wollte er sterben, sie war noch recht gesund, wollte aber nicht ohne ihn weiterleben und auf diese Weise "sicher gehen"). Die beiden hatten es im Voraus ihrem Sohn erzählt, wollten auch eine Sterbehilfeorganisation nutzen, die aber ablehnte, da die Frau ja gesund war. Die Sache ging dann zunächst schief, die Frau war zwar tot, ihr Mann wurde jedoch noch einmal gerettet, vollendete seinen Suizid aber nicht allzu lange danach.
AntwortenLöschenViele weitere Details an dieser Geschichte lassen aufmerken, z.B. der Verdacht des Mordes, dem sich der Mann natürlich entgegensah, oder dass er seinen Suizid wegen logistischer Probleme beim Wohnungsverkauf um einen Monat nach hinten verschob. Die Entschlusskraft der beiden und das Thema Doppelselbstmord, das wir ja vor allen aus der japanischen Kultur kennen, geben diesem Beitrag eine ganz besondere Note. Der Autor ist mit dem Sohn des geschilderten Paares befreundet.
Eine kleine Ergänzung zur Antwort an Benkei, um die Sichtweisen des Theravada und Mahayana nicht unzulässig zu vermischen: Im Letzteren wäre natürlich auch das Gebot gegen den Alkohol primär auf andere gerichtet, da es ein geringeres Vergehen ist, solchen selbst zu trinken, als ihn anderen zugänglich zu machen.
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