Kürzlich habe ich einen Essay von Hoyu Ishida aus dem Jahr 1989 für ein buddhistisches Forum zusammengefasst. Er handelt von einem signifikanten Wandel in Dôgens Ansichten zu einigen Rinzai-Lehrern und zum Laientum.
Ishida räumt zunächst ein, dass viele der genannten Thesen
zu dieser Zeit kontrovers diskutiert wurden. Dazu zählt auch die zweifelhafte
Autorenschaft Dôgens am Kapitel „Bendôwa“ aus dem „Shôbôgenzô“. Dieses sei
offenbar ursprünglich gar nicht fürs Shôbôgenzô geschrieben worden. Die
darin einige Jahre nach seiner Rückkehr aus China (1227) geäußerten Ideen
deckten sich mit denen des Fukanzazengi (spätestens 1233), das ein
„universelle Empfehlung des Zazen“ darstelle. Die Thesen darin:
-
Zazen ist der wahre Buddha-Dharma, da alle
Buddhas und Meister durch Zazen erwacht seien
-
Zazen ist kein Mittel zum Zweck (der
Erleuchtung), sondern Erleuchtung selbst (shûsho-itto bzw. shûsho
ichinyo)
-
Es gibt keine Degeneration des Dharma (mappô,
Zeitalter des Zerfalls)
-
Auch Laien und Frauen können erwachen
1233 wechselte Dôgen in einen anderen Tempel, wo er in zehn
Jahren 44 Kapitel des Shôbôgenzô verfasste und Klosterregeln
entwickelte. Im Kapitel „Rahai tokuzui“ betonte er noch einmal die Gleichheit
von Mann und Frau.
1243 veränderte Dôgen seinen Aufenthaltsort erneut und
begründete den Tempel, den wir noch heute als Eiheiji kennen. Bis zu seinem Tod
entstanden dort 29 weitere Kapitel des Shôbôgenzô, die vor allem der
Mönchsausbildung gewidmet waren. Ab 1243 behauptet Dôgen plötzlich, das
Mönchsein sei dem Laienstatus weit überlegen. Dies findet sich im Kapitel „Shuke
kudoku“. Auszug:
„Auch wenn es in der heiligen Lehre die Ansicht gibt,
Laien könnten erwachen, ist dies nicht die rechte Lehre. Die rechte Übertragung
der Buddhas und Patriarchen ist das Erlangen der Erleuchtung, indem man Mönch
wird.“ Im Kapitel „Shukke“ wird diese Auffassung bestätigt.
Im Kapitel „Sanjûshichihonbodaipunpô“ kritisiert Dôgen das
Laienleben weiterhin deutlich. Demnach wäre sogar ein Mönch, der die Gebote
bricht, einem Laien überlegen, der sie hält.
Im folgenden Abschnitt des Essays wird die Haltung der
Sôtô-Schule zu diesem Problem untersucht. exemplarisch an ihrem Vertreter Ekô
Sokuô, einem der damals einflussreichsten Sôtô-Gelehrten. Ekô versucht, aus dem
Fukanzazengi und der Hingabe von Mönchen an die Errettung der Wesen zu
abstrahieren, dass Dôgens Zen sich demnach auch an Laien richtete. Wie die meisten
Sôtô-Experten stellt er sich aber nicht den diesem Ansatz widersprechenden
Textstellen.
Ausgeführt wird dann anhand des Kapitels „Genjôkôan“, wie
Dôgen betont, dass Erwachen gleichzeitig mit der Praxis einherginge und erst
die Praxis das Erwachen authentifiziere, und zwar indem ständig „Körper und
Geist abgeworfen“ werden (shinjin datsuraku). Man sei erleuchtet, indem
man die eigene ursprüngliche Erleuchtung erkenne. Sobald dies der Fall ist, werde
jede Alltagshandlung zur Manifestation der Erleuchtung. Doch Dôgen bringt keine
Beispiele aus dem bloßen Alltagsleben ohne buddhistische Disziplin als
Übungsweg, die der Erleuchtung gleichkämen. Er setzt seine Beispiele stets in
Bezug zum Mönchsdasein – shushô itto geschieht stets auf der Basis von
Erleuchtung (shujô no shu) als „bereits erleuchtete Praxis“. Um diese
Art der Praxis zu erlangen, wo sie kein Mittel zum Zweck mehr ist, sei aber
auch bei Dôgen eine zielgerichtete Praxis vonnöten.
Im dritten Teil des Essays betont der Autor, dass die
Erkenntnis von Dôgens Kritik am Laientum im Kontrast zu Darlegungen von
Vertretern der Sôtô-Schule steht. Der Autor hält nichts von der These, Dôgen
habe es zunächst nur vermieden zu behaupten, Laien könnten mithilfe von Laien
erwachen, weil er einen finanziell abgesicherten Status für seine Klöster
anstrebte, der ja auch von Laien abhing. Auch die These eines anderen
Dôgen-Interpreten, dieser habe sich nicht viele Gedanken um den Zustand der
Gesellschaft gemacht und seine früheren Aussagen zum Laientum seien ihm eher „herausgerutscht“,
teilt der Autor nicht.
Im vierten Teil des Essays zitiert der Autor die These, dass
Dôgen zwei verschiedene Textarten hinterließ, eine, die sich an Laien richtete,
eine, die an Mönche gerichtet war. Der Autor Masutani Fumio etwa sieht in
Dôgens Phase seit seiner Eiheiji-Zeit schlicht eine weitere wesentliche
Entwicklung des Lehrers, die u. a. auch zur Abkehr von Linji führte.
Der fünfte Teil geht weiter darauf ein. Gleichzeitig mit der
Abwendung vom Laientum äußerte sich Dôgen auch kritisch gegen Linji und Tahui
(Kapitel „Jishôzanmai“ und „Jinshin inga“), zwei prominente Vertreter des
Rinzai-Zen (obwohl Dôgen in seiner Frühphase noch Linji gelobt hatte). Diese
Kritik soll auch schon Dôgens chinesischer Lehrer ob des Hangs zu Äußerlichkeiten
unter den Linji-Nachfolgern geäußert haben. Imaeda Aishin analysiert den Wandel
Dôgens in dieser Frage so: Kurz zuvor waren etliche Anhänger Dainichibô Nônins
in Dôgens Gemeinschaft eingetreten. Deren Lehrer stand in Ta-huis Tradition und
hatte nach Schriftstudium selbst Erleuchtung erlangt, die ihm später aus China
brieflich bestätigt wurde. Er wurde deshalb von manch anderen Lehrern
verachtet. Dôgen wollte nun seine Zenlehre gegen die eigenwillige Nônins
abgrenzen.
Auch die Konkurrenz durch Enni Benen, der aus China, in der
Linji-Tradition ernannt, zurückkam und den Aufstieg des Tôfokuji-Tempels
mitverantwortete, soll Dôgen zu seiner Kritik motiviert haben. Enni Benen
genoss mehr Unterstützung aus Regierungskreisen. (In einer Fußnote wird ein
weiteres Motiv von Yanagida Seizan hergeleitet: Dôgen habe aus China die
Sammlung der Sprüche seines Meisters
Ju-ching erhalten und sei so frustriert über deren Inhalt gewesen, dass er
gegen eine andere chinesische Chantradition wetterte.)
Bedeutsam ist auch, dass Dôgen sein Werk so nannte wie
Ta-hui zuvor seines, nämlich Shôbôgenzô, womit er offenbar aufzeigen
wollte, dass er die wahre Zenlehre verbreite. Um seine Kritik freizügig zu
äußern, musste Dôgen aber offenbar seinen Wohnort in die Provinz Echizen verlegen.
In diesem Jahr 1243 entstand allein ein Viertel der Kapitel des Shôbôgenzô.
Angesichts der Ausnutzung, die die reicheren Laien offenbar
durch das Zen im Gefolge Linjis erfuhren, änderte sich Dôgens Ansicht, nur die
Entschlusskraft eines Laien, also sein aufrichtiger Wille, sei entscheidend für
das Erlangen der Erleuchtung.
Yanagida Seizan (auf den sich auch Heinrich Dumoulin oft
beruft) sieht Dôgens Spätphase als ein Ringen mit sich selbst (hitori-zumô),
das jedoch seiner Senilität und keinesfalls einem spirituellen Fortschritt
geschuldet sei. Der Autor des Essays findet diese Ansicht gewagt. Yanagida
meint, dass Dôgens Kritik an Linji einer bestimmten Motivation geschuldet sei,
nicht aber wesentlichen inhaltlichen Differenzen.
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