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Religion als Pflicht:
Mosebach und Kermani
(106 kg)

Im SZ-Magazin 35/2015 unterhielten sich die Autoren Martin Mosebach (Katholik) und Navid Kermani (Islamwissenschaftler und Muslim) über den Glauben. Anwesend ist natürlich ein SZ-Journalist. Kermani hat sich Verdienst erworben, indem er auf die "Schönheit des Islam" hinwies. Kürzlich betrachtete er mit "Ungläubigem Erstaunen" fasziniert die Bilderwelt des Christentums. Die Konversation der beiden war dennoch in mancher Hinsicht erschreckend. 
   Zunächst das Positive. In einer Moschee gäbe es kein Zentrum, weil Gott überall gegenwärtig sei, so Kermani. Solch ein Satz weckt angenehme Assoziationen in Zenbuddhisten, die sich mit allen Phänomenen verbunden fühlen. Doch Kermani bedauert auch, dass "sowohl katholische als auch islamische Traditionen wegbrechen" und dies "gefährlich" sei, weil sie meist als Fundamentalismus zurückkehrten und so Gewalt entstünde. Dies ist ein leicht durchschaubarer Versuch, die gegenwärtigen gewaltsamen Exzesse von Menschen, die sich auf den Islam berufen, als mangelndes Verständnis seiner Tradition zu erklären, als tatsächliche Abkehr vom Glauben. Wie wir wissen, hat jedoch jeder Schriftglaube, insbesondere monotheistischer Natur, das Problem, dass in seiner Tradition Gewalt gerechtfertigt wurde und mit Blick in die heiligen Bücher jederzeit mit passenden Zitaten erneut gerechtfertigt werden kann. Der Makel dieser Religionen ist in Wirklichkeit gerade der Ballast ihrer Tradition. Kermani meint, der Fundamentalismus würde an einen "Uranfang" zurückkehren und die Tradition überspringen wollen. Tatsächlich hat aber das Morden im Namen Gottes Tradition, und diese musste sich, nach den Anfängen, erst einmal aufbauen, um so genannt werden zu können. Diese Tradition des Mordens in gutem Glauben oder gar im Namen Gottes wirkt auch im Judentum und Christentum fort.
  Nicht weiter überraschen kann dann, dass Kermani - wie uns aus Foren bekannte buddhistische Schriftgläubige - vorschlägt, "dass man einen Text, der vor 2000 Jahren geschrieben wurde, ernst nimmt - und zwar jedes Wort und jede Geschichte" (wobei er den Koran aber nicht als Buch, sondern als "liturgischen Vortrag" verstanden haben will, als vieldeutige Poesie, die nicht wörtlich genommen werden dürfe). Bei Mosebach führt das zu einer anderen schrecklichen Analyse, nach der das Christentum fälschlich seine Aufgabe in Philantropie und dem Kampf für Menschenrechte sähe, statt "in die Gegenwart des lebendigen Gottes" geführt zu werden. Man meint wirklich, man säße in einem Gottesdienst und lausche einer gewöhnlichen Predigt mit den üblichen Floskeln. 
   Interessant ist auch, dass Mosebach, der die Rückkehr zur lateinischen Messe fordert, das Beten auf den Knien vorzieht. Wenn wir mal für einen Moment innehalten und uns vergegenwärtigen, dass es unbequem ist und im Zen oft ebenso auf eine unbequeme, auf die Dauer schmerzhafte Meditationshaltung gepocht wird, verstehen wir besser, welche Kennzeichen Religionen gemeinsam haben. Eines davon ist auch die Betrachtung der Weltkonflikte durch die vom eigenen Glauben gefärbte Brille. Mosebach meint, die Konflikte zwischen Indern (Hindus) und Pakistani (Muslimen), Deutschen (Christen) und Juden, Türken (Muslimen) und Armeniern (Apostolischen) seien "Konflikte von  höchst assimilierten Gruppen" gewesen. Obwohl sie sich ganz offensichtlich aus unterschiedlicher Religionszugehörigkeit speisten. Als Beispiel friedlichen Miteinanders erwähnt er ausgerechnet die USA, und das zu einer Zeit, wo sich die tödlichen Schüsse weißer Polizisten auf Schwarze häufen. 
   Wie ernst die beiden Freunde es meinen, zeigt die Anekdote, nach der Kermanis Tochter einmal bei einer Messe zur Eucharistie eingeladen wurde. "Unverzeihlich" findet Mosebach das. Bei diesem "Abendmahl" wird der Kreuzigung und Auferstehung Christi gedacht, im Grunde isst man ihn dabei jedoch auf, pardon, verleibt man ihn sich ein ("Dies ist mein Leib. Dies ist mein Blut."). Warum sollte eine junge Muslima sich nicht einen - ihrer Religion nach - Propheten reinziehen? Was ist daran "unverzeihlicher", als wenn Mosebach in einer Moschee und Kermani in einer Kirche beten? 
    Kermani relativiert das Geschehen: "Ich bin ein Freund des Gutmeinens." Diese Denke habe ich hier schon desöfteren zerpflückt, denn sie ist auch Kern des buddhistischen Fundamentalismus (wenn die ISIS-Krieger keine glaubwürdigen Muslime sind, wäre Kermani also der wahre Fundamentalist). Nicht das Ergebnis einer Tat zähle - so hilfreich und "gut" es auch sein mag - sondern die Absicht, also der (flüchtige) Gedanke, den bestenfalls nur der Denkende selbst kennen kann. Das wäre so, wie wenn ein Arzt, dem man sagt, man habe jahrelang täglich ein Glas Rotwein getrunken, weil man beschwipst sein wollte, einen wegen dieser Absicht tadelt, obwohl die Herzwerte sich dadurch gebessert haben. Eine wirklich gute Sache wird in dieser Ethik also kleingeredet, sollte eine schlechte Absicht damit verbunden gewesen sein. Statt wenigstens einzusehen, dass die "gute Tat" den "üblen Gedanken" bereits gereinigt hat. Mosebach scheint das ähnlich zu sehen, denn es "tröstet" und "ermutigt" ihn, wenn koptische Christen in Libyen sich enthaupten lassen, statt von ihrem Glauben abzuschwören (und so wahrscheinlich ihr Leben zu retten). Der Tod ist manchem traditionell Gläubigen eben näher als das Leben - hier wie da.
   Zur Ehrenrettung der Autoren muss gesagt werden, dass Kermani dennoch weiß: "Wir werden reicher, indem wir weniger werden", und Glaube letztlich als "Auslöschung des Ichs" sieht. Allerdings steht auch dies unter der Prämisse: "Gott weiß es besser." Und wird dennoch von der Ansicht begleitet, es gäbe einen "vollkommenen Menschen" (zum Beispiel Jesus).

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