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Saikontan/Caigentan: Weisheiten eines Vegetariers (VIII)

Selbstkultivierung sollte so vollständig geschehen wie das Schmieden von Eisen; schnelle Meisterschaft ist nicht tiefgründig. Handlungen sollten so entschlossen und kräftig ausgeführt werden wie ein Pfeil von einem mächtigen Bogen fliegt.

Ein habgieriger Mensch verletzt die Grenzen der Moral, doch da seine Missetat sich an der Oberfläche befindet, ist der Schaden für die Gesellschaft sichtbar und gering. Eine Heuchlerin dagegen, die auf einen guten Namen Wert legt, handelt im Verborgenen unter dem Anschein von Tugend; sie schädigt das Anliegen der Gerechtigkeit insgeheim und auf tiefgehende Art.

Wenn er ruht, scheint der Falke zu schlafen; ein Tiger wirkt bei seinem Gang schwach und krank. Und doch nehmen sie eine solche Haltung bloß ein, um ihre Opfer besser angreifen zu können. Ein überlegener Mensch sollte gleichsam seine Weisheit und seine Talente verbergen, damit er großer Verantwortung gerecht werden kann.

Beurteile einen Menschen mit kühlen Augen. Höre die Rede eines anderen mit kühlen Ohren. Bedenke deinen Eindruck mit einem kühlen Herzen. Dringe zum Kern einer Angelegenheit mit einem kühlen Geist vor.

Ein sorgfältiger Leser wird so tief interessiert an einem Buch sein, dass er unwillkürlich vor Freude zu tanzen beginnt. Ein genauer Beobachter wird eine Sache so eindringlich betrachten, dass er mit ihr verschmilzt. Beide werden nicht von der äußeren Erscheinung getäuscht werden.

Sei nicht zu strikt damit, dein Leben rein zu halten, erlaube auch dem Unreinen, dich zu berühren. Sei nicht zu penibel in der Auswahl deiner Gefährten, geselle dich zu allen Arten von Menschen.

Die Gesänge von Vögeln und das Summen von Insekten sind Zeichen, durch die Wahrheit dem Geist vermittelt wird. Es gibt keine Blumenblüte und keinen Grashalm, der nicht den Weg symbolisiert. Mit einem solch reinen und offenen Geist und einem klaren und transparenten Herzen sollte ein Gelehrter alles aufsaugen, was als geistige Nahrung dienen kann.

Das menschliche Leben kann mit einer Marionette verglichen werden. Wir sind nur Puppen, die auf einer Bühne manipuliert werden, doch so lange wir selbst die Fäden fest in der Hand halten, kontrollieren wir gänzlich deren Bewegungen.

Die meisten Menschen verstehen es, ein geschriebenes Buch zu lesen, aber sie haben nicht gelernt, ein ungeschriebenes zu verstehen. Viele können eine Harfe mit Saiten spielen, aber einer saitenlosen Harfe entlocken sie keinen Ton. Wenn du nicht unter die Oberfläche schaust und mit dem Geist statt mit den anderen Sinnesorganen wahrnimmst, wie kannst du da ein Buch oder eine Harfe zu schätzen wissen?

Ein altes Sprichwort sagt: „Wenn du der Welt entsagen willst, tue es augenblicklich. Harrst du einer guten Gelegenheit, wirst du auf ewig warten.“

Die Dauer von Zeit hängt von unseren Gedanken ab, die Weite des Raumes von unseren Gefühlen. Für einen sorglosen Menschen ist ein einziger Tag länger als eintausend Jahre, für einen großherzigen Menschen ist ein kleines Zimmer wie der Abstand zwischen Himmel und Erde.

Wer zufrieden ist, dem ist die Welt ein Paradies; dem Unzufriedenen erscheint sie nicht interessant. Alle Dinge in der Welt sind für diejenigen Leben spendend, die etwas aus ihnen machen können.

Wenn wir in einer belebten Gasse drängeln und andere schubsen, wird uns der Weg zu eng vorkommen. Machen wir anderen hingegen Platz, werden wir selbst mehr Raum erhalten.

Hitze kann man nicht immer meiden, aber wenn man den Sommer selbst vergisst, kann man sich so kühl fühlen, als würde man sich in größerer Höhe frischen Wind zufächeln. Der Wolf kann nicht immer von der Tür fern gehalten werden, doch wenn man sich nicht wegen der eigenen Armut und Entbehrung sorgt, kann man sich so heimelig fühlen, als hätte man ein behagliches Zuhause.

Wenn du einen Schritt nach vorn machst, bedenke, wie du deinen Fuß zurückziehen kannst; so wirst du das Schicksal einer eilenden Antilope vermeiden, die sich mit den Hörnern in einer Hecke verfängt.

Wenn ich hungrig bin, nehme ich gekochten Reis zu mir, wenn ich erschöpft bin, schlafe ich. Dies ist die wesentliche Lehre der Zen-Schule. In schlichter Sprache einen schönen Anblick zu beschreiben ist das Geheimnis der Poesie. Denn das Feinste aller Dinge ist im Einfachsten enthalten und das Schwerste stammt aus dem Leichtesten. Was künstlich ist, weicht von der Wahrheit ab, das Ungekünstelte aber ist im Einklang mit der Natur.

Wenn unsere Gedanken durch Lärm und Verwirrung verstört sind, neigen wir dazu, all unsere Erinnerungen zu vergessen. Doch wenn unser Geist gelassen und friedlich ist, wird lang Vergessenes lebendig vor unseren Augen auftauchen. So erkennen wir, dass es ganz von unserer geistigen Einstellung abhängt, ob unser Herz klar oder dunkel ist.

Wenn eine Gruppe von Männern in Hofgewändern unter sich einen einzigen Einsiedler aus den Bergen hat, der einen Stock aus weißem Gänsefuß trägt, wird diese Gruppe vornehm erscheinen. Befindet sich aber ein einziger Höfling in seiner glänzenden Robe auf einem ländlichen Pfad, den sonst nur einfache Fischer und Holzfäller bevölkern, wird diese Szenerie plötzlich anstößig. Dies zeigt uns, dass das Einfache besser ist als das Herausgeputzte und das Natürliche dem Künstlichen vorzuziehen ist.

Wer poetischen Instinkt besitzt, gilt als geborener Dichter, selbst wenn er ein Analphabet ist. Wer eine innere Nähe zum Zen verspürt, kann dessen Geheimnisse erkennen, auch wenn es ihm nicht gelingt, einen einzigen heiligen Vers zu verfassen.

Mein Körper ist wie ein auf Wellen treibendes Boot – möge es von den Gezeiten davongetragen werden oder in einem Strudel zum Halten kommen. Mein Geist kann mit einem Stück halbverbranntem Holz verglichen werden – es ist egal, ob man es als Brennstoff nutzt oder daraus einen parfümierten Götzen macht.

Wir sind auf natürliche Weise angetan vom Gesang der Nachtigall und angewidert vom Quaken der Frösche. Der Anblick einer schönen Blume erzeugt ganz von selbst Zuneigung, doch wenn wir auf Unkraut stoßen, wollen wir es ausreißen. All unsere Vorlieben und Abneigungen werden von der bloßen Wahrnehmung der Äußerlichkeiten von Dingen bestimmt. Wir sollten verstehen, dass jedes Ding in der Natur nur sein eigenes Schicksal in Harmonie mit seinem Lebensprinzip zu erfüllen sucht.

Blumen in einer Vase mangelt es an Vitalität. Vögel in einem Käfig mangelt es an Natürlichkeit in ihrem Gesang. Wildblumen, die durcheinander wachsen und den Anblick verwirrter Schönheit bieten, sind besser. Und besser sind auch die Vögel in den Wäldern, die ungehemmt umherflattern. Es erfreut das Herz des Betrachters, diese Blumen zu sehen oder diesen Vögeln zu lauschen, da sie ihre Freiheit gänzlich genießen können.


 

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