Jeder Mensch trägt ein Stück wahrer Literatur in sich, doch sie ist von nutzlosem Zeug versiegelt, das aus menschlicher Hand stammt. Jeder Mensch trägt ein Stück wahrer Musik in sich, doch wird es von vulgären Liedern und den Tänzen verlockender Frauen ertränkt. Indem er sich gegen die Versuchung wappnet, sollte der Gelehrte nach seiner eingeborenen Musik und Literatur suchen. Nur so kann er darauf hoffen, das wahrhaft Schöne und Erhabene schätzen zu lernen.
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In der Not findet man immer etwas, das den Geist erfreut; im Wohlstand läuft man Gefahr, Enttäuschungen zu erleben.
Reichtum, Rang und Ruf, die in Tugend verwurzelt sind, kann man mit Wildblumen vergleichen, die auf Feldern erblühen und lange währen. Werden diese Dinge jedoch durch überlegene Macht erlangt, kann man sie mit Blumen in einer Vase vergleichen, da sie den Launen des Schicksals ausgeliefert sind und weggeworfen werden oder, wurzellos, in einem Augenblick verwelken können.
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Gerät jemand in Schwierigkeiten, sollte er sich an den Tag erinnern, wo er
mit seinem Unterfangen begann. Wer hingegen die Früchte seiner Anstrengungen
genießt, sollte sein künftiges Schicksal bedenken.
Wenn der Frühling mit seinem freundlichen Wetter kommt, können selbst Blumen
und Vögel Freude in unsere Herzen bringen, die einen, indem sie die Erde mit
leuchtenden Farben schmücken, die anderen, indem sie süße Noten singen. Was für
ein Segen für euch, wenn ihr das volle Ausmaß dieser Glückseligkeit genießen
könnt! Wenn ihr euch aber nicht anstrengt, der Welt durch weise Worte und Taten
zu nutzen, könntet ihr hundert Jahre alt werden und doch nicht einen Tag wirklich
gelebt haben.
Auch wenn es für einen Gelehrten notwendig ist, eifrig und tüchtig seine Moral zu entwickeln, sollte er zugleich seinen Geist von der Fessel der Bräuche befreien. Wenn er zu enthaltsam ist, wird er dem Herbst gleichen, der von Natur aus vernichtet, und nicht dem Frühling, der alle Schöpfung wachsen und gedeihen lässt; wie könnte er dann darauf hoffen, seinen Gefährten von Nutzen zu sein?
Ein wahrhaft integrer Mensch ist nicht aufgrund dieser Eigenschaft bekannt; wäre dem so, könnte dieser Mensch tatsächlich habsüchtig sein. Wer ein ungewöhnliches Talent besitzt, greift nicht zu Kunstgriffen; tut er es doch, ist er in Wahrheit untalentiert.
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Obschon ein Mensch in einem dunklen Raum sitzt, wird er sich fühlen, als wäre er unter blauem Himmel, wenn nur sein Geist strahlt. Im Gegensatz dazu kann er in hellem Tageslicht stehen und doch von Dämonen und bösen Geistern umgeben sein, wenn seine Gedanken bloß finster sind.
Es gibt ein altes Gefäß, das so gemacht ist, dass es schräg steht, wenn es kein Wasser enthält; sobald es zur Hälfte gefüllt ist, steht es aufrecht, doch vollständig gefüllt fällt es um. Ein anderes antikes Gefäß aus Erde, das für Ersparnisse benutzt wird, besitzt eine kleine Öffnung, durch die man Münzen einwerfen kann. Das erstgenannte Gefäß fällt um, wenn es voll ist, doch dieses ist von Nutzen, weil es innen leer ist. So ist auch der Weg des überlegenen Menschen. Er zieht das Nichts dem Etwas vor, er ist mit dem Mangel zufrieden, statt nach Fülle zu suchen.
Die meisten Menschen glauben, im Besitz von Ruhm und Rang läge Freude, und sie verstehen nicht, dass wahres Vergnügen darin besteht, namen- und ranglos zu sein. Obwohl Menschen Kälte und Hunger als Elend kennen, sind sie sich nicht des größeren Übels vom Überfluss bewusst, der der Entwicklung eines moralischen Charakters meist schadet.
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Auch wenn einer etwas Schlechtes getan hat, gibt es Hoffnung für ihn, solange er dessen Aufdeckung fürchtet. Wer aber Gutes getan hat und darauf erpicht ist, dass dies allgemein bekannt wird, hat verdorbene Absichten.
Unergründlich ist der Weg der Vorsehung. Nachdem sie den Menschen unterdrückt hat, gibt sie ihm einen freien Handlungsrahmen. Nachdem sie ihm aber Freiheit schenkte, hält sie ihn in Schach. So verwirrt sie Helden und macht aus großen Männern Narren. Ein überlegener Mensch jedoch begegnet Feindseligkeit mit Abgeklärtheit, während ihn Sicherheit an Gefahren gemahnt. Selbst die Vorsehung weiß mit einem solchen Menschen nichts anzufangen.
Ein temperamentvoller Mensch ist wie Feuer und verbrennt alles, was er berührt. Ein selbstsüchtiger und undankbarer Mensch wirkt wie Eis und lässt alles gefrieren, was er berührt. Ein steifer und verstockter Mensch kann mit abgestandenem Wasser oder einem vertrockneten Baum verglichen werden. Da es all diesen Menschen an gesunder Vitalität fehlt, können sie nicht an der Seite derer stehen, die Gutes für den Staat tun und ihm das Verdienst ihrer Wohltaten hinterlassen wollen.
Glück kommt nicht zu dem, der es umwirbt. Das Geheimnis besteht in einem heiteren Geist. Das Böse ist unvermeidlich, wenn es ihm bestimmt ist, einzutreten. Keine Arglist gegenüber anderen zu hegen ist der einzige Weg, sich davon zu distanzieren.
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Ist der Geist der Natur warm, dann wachsen alle Dinge, ist er kalt, dann tötet er sie. Mit dem Menschen ist es genauso. Wer kaltherzig ist, erfährt nur wenige irdische Wohltaten, der Heitere und Warmherzige jedoch genießt einen großen Anteil an menschlichem Glück, und der Einfluss seiner Wohltaten wird noch lange nach seinem Tod erfahrbar sein.
Wenn Zufriedenheit gesichert und anhaltend ist, wurde dies durch den Wechsel von Freude und Leid erreicht und ist das Ergebnis eines wohlgeübten Geistes. Wenn Erkenntnis authentisch und wahr ist, wurde dies durch den Wechsel von Vertrauen und Zweifel erlangt und ist das Ergebnis eines intellektuellen Ringens.
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Der Geist sollte frei von Vorurteilen sein, dann dringt die Vernunft in ihn und verweilt darin. Wenn er von der Vernunft besetzt ist, können Leidenschaft und Begierde nicht in ihn gelangen.
Faulige und schmutzige Erde ist fruchtbar, zu klares Wasser jedoch erlaubt es den Fischen nicht, darin zu leben. Der überlegene Mensch sollte darum ein so großes Herz haben, dass er die Fehler anderer erträgt. Er sollte nicht zu pingelig sein bei der Auswahl seiner Gefährten und die Einsamkeit der Gesellschaft vorziehen.
Selbst ein bockendes Pferd, das den Wagen umzustürzen droht, kann dazu gebracht werden, weiterzulaufen. Mit Menschen ist es genauso: Keiner ist so wertlos, dass er nicht durch angemessene Übung nützlich werden könnte. Nur wer seine Zeit vergeudet, darf nicht darauf hoffen, sich intellektuell und moralisch weiterzuentwickeln. Dazu gibt es einen Sinnspruch: „Von anfälliger Gesundheit zu sein ist keine Schande, doch wenn ich mein ganzes Leben nicht krank würde, wäre ich beschämt.“
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