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Saikontan/Caigentan: Weisheiten eines Vegetariers (VI)

 

Es ist besser, ein gelungenes Unterfangen zu erhalten, als ein neues zu beginnen. Es ist weiser, sich gegen die Wiederholung von Fehlern zu wappnen, als vergangene Schnitzer zu bereuen.


Der Wind, der durch einen schmalen Bambushain bläst, lässt dessen Blätter hörbar erzittern, doch wenn er weitergezogen ist, bleibt kein Geräusch zurück. Ein Schwarm Wildgänse, der über den blauen Himmel zieht, wird in einem tiefen Teich reflektiert, doch wenn er weitergezogen ist, bleibt keine Spur von ihm zurück. Solche Naturphänomene beschreiben die Stimmung eines überlegenen Menschen. Seine geistige Aktivität manifestiert sich, sobald etwas aufkommt, doch wenn es damit vorbei ist, wird sein Geist wieder leer und ist von nichts besessen.


Moralisch rein und doch nachsichtig mit den Fehlern anderer, gütig und doch von entschiedenem Charakter, durchdringend und doch nicht zu sehr auf der Suche, aufrichtig und doch nicht unerbittlich zu sein – eine solche Geisteshaltung kann mit einer Leckerei verglichen werden, die mit Honig ummantelt und doch nicht zu süß ist, oder mit einem Mahl aus Meeresfrüchten, das nicht zu salzig am Gaumen mundet. Dies ist die Vervollkommnung menschlicher Tugend.


Wenn man bei seiner bescheidenen Hütte nur den Garten wohlgestaltet oder eine arme Frau nur ihr Haar sorgfältig schmückt, dann hat dies etwas Würdevolles und Elegantes, selbst wenn es nicht allzu schön daherkommt. Das Gleiche gilt für den Edelmann. Selbst in widrigen Umständen sollte er seine Würde wahren, ohne zu verzweifeln.

Sorge in deiner Freizeit und Einsamkeit für die Zukunft vor. Täusche dich nicht selbst im Verborgenen, dann kannst du auch in der Öffentlichkeit frei handeln.


Wenn wir mit nichts beschäftigt und unsere Gedanken klar und transparent sind, können wir die Wirklichkeit unseres Geistes erkennen. Wenn unsere Gedanken besänftigt und durch nichts verstört sind, können wir das tatsächliche Wirken unseres Geistes verstehen. Wenn unser Geschmack einfach ist, können wir die wahre Veranlagung unserer Natur begreifen. Dies sind die drei unübertroffenen Bedingungen für unsere Selbsterkenntnis und das Verständnis des Weges.


Ruhe, die aus der Ruhe selbst erlangt wird, ist keine wahre Ruhe; nur wenn sie inmitten von Aktivität erlebt wird, zeigt sie uns den wahren Zustand unserer eigenen Natur. Vergnügen, das sich aus sich selbst speist, ist kein wahres Vergnügen; nur wenn es auf Schmerz folgt, ermöglicht es uns, das wahre Wirken unseres eigenen Geistes zu erkennen.


Was, wenn das Schicksal mir gegenüber mit Glück geizt? Dann werde ich dem Mangel durch meine Tugend abhelfen. Was, wenn das Schicksal mich zu schwerer körperlicher Arbeit verdammt? Dann werde ich Trost darin finden, meinen Geist zu beruhigen. Was, wenn das Schicksal mir Ungemach bringt? Dann werde ich Schwierigkeiten überwinden, indem ich an meinen Überzeugungen festhalte. Wenn ich mit solcher Entschlusskraft ausgestattet bin, was kann das Schicksal mir dann anhaben?


Ein Sprichwort besagt: „Um einen Menschen richtig einschätzen zu können, schau auf die spätere Hälfte seines Lebens.“ Das ist wahrlich treffend.

Wenn ein gewöhnlicher Mensch barmherzig ist und seinen Gefährten in ihrer Not beisteht, wird er zu einem Prinzen ohne Rang oder einem königlichen Berater ohne Amt. Sollte es aber einen Menschen von Rang nach Macht gelüsten und sollte er seine Gunst nur wegen begehrlicher Absichten verkaufen, wird er zu nichts anderem als einem Bettler mit Titel.


In der Not mögen dir alle Dinge, die dich von moralischer Schwäche heilen und der Besserung deiner Tugend dienen, wie Akupunkturnadeln und Medizin erscheinen. Im Überfluss hingegen kann dir dein Umfeld zu Schwertern und Speeren werden und dir, ohne dass dir das bewusst wird, all deine Energie rauben und deine Knochen in Stücke brechen.

Aufrichtigkeit kann alles tragen. Einst erzeugte die Aufrichtigkeit eines Menschen Frost im Monat Mai, und die eines anderen brachte eine Burg von selbst zu Fall. So wie Hitze durch Metall oder einen Stein dringt, kann Begeisterung alles in der Welt erreichen.


Wenn alle Dinge unterm Mond eingebildet sind, dann sind sogar unsere Gliedmaßen unwirklich, ganz zu schweigen von Ruf, Ruhm und Reichtum. Wenn hingegen alle Objekte wirklich sind, dann sind nicht nur unsere Eltern und Geschwister, sondern alle Dinge in der Schöpfung eins mit uns. Nur wenn man dies vollständig begreift, kann man die Bürde eines Staates tragen und frei von den Fesseln der Welt bleiben.


Alle Arten von süßen und belebenden Mahlzeiten und Getränken sind nur Gift für unseren Körper, doch wenn wir sie in Maßen zu uns nehmen, schaden sie nicht. Das gleiche gilt für jegliche Art von Vergnügen – in Maßen genossen, erzeugt es keinen Grund für Reue.

Andere nicht für ihre kleinen Vergehen tadeln, ihre Geheimnisse nicht offenbaren und die früheren Vergehen von Menschen nicht im Gedächtnis behalten – diese drei Regeln werden deine Tugend verbessern.


Ein Edelmann sollte sich nicht zu leichtsinnig und frivol benehmen, sonst wird er zu sehr von äußeren Umständen bewegt und findet keinen Geistesfrieden. Andererseits sollte er nicht zu ernst sein, sonst werden ihn Zweifel und Skrupel befallen und er wird die Kraft des freien Handelns einbüßen.

Obwohl Himmel und Erde ewig sind, werden wir nicht wieder-geboren. Das menschliche Leben ist kurz, doch wer so glücklich ist, das Licht der Welt zu erblicken, sollte das Beste aus seinem Leben machen und seine Tage nicht vergeuden.


Der Gefallen, den man einem Menschen tut, erweckt den Neid eines anderen. Darum ist es besser, über Gefallen und Neid zu stehen, als ein paar Menschen entgegenzukommen.

Not und Mangel sind die Schmelztiegel, in denen große Menschen geformt werden – sowohl körperliche als auch moralische Vorteile werden ihnen zuteil.


Es ist besser, die öffentliche Meinung zur Unterstützung heranzuziehen, als private Gefallen zu erweisen; es ist besser, alte Freundschaften aufzuwärmen, als neue Bekanntschaften zu machen; es ist besser, gemeinnützige Taten im Verborgenen zu tun, als sich einen guten Namen als Wohltäter zu verschaffen; und es ist besser, die nächst liegende Aufgabe zu übernehmen, als auf einen Notfall zu warten, der eine herausragende Tat erfordert.


Ausgewogenen Meinungen und gerechten Argumenten sollte nicht widersprochen werden. Die Häuser einflussreicher Menschen sollte man ebenso meiden wie die Hütten von schlechtem Ruf – wer sie besucht, wird einen Flecken auf seinem Charakter behalten.

Es ist besser, aufrecht zu sein und dafür von anderen gehasst zu werden, als gegen die eigene Überzeugung zu handeln, nur um anderen zu gefallen. Es ist besser, unverdientem Tadel ausgesetzt zu sein, als unverdientes Lob zu ernten.


Wenn deinen Eltern oder Geschwistern Unglück widerfährt, solltest du beherrscht und ohne Gefühlsaufwallung damit umgehen. Befinden sich aber deine Freunde im Irrtum, solltest du sie streng und unduldsam tadeln.

Keine unscheinbaren Angelegenheiten zu übersehen, sich selbst und andere nicht zu täuschen und nicht zu verzweifeln, selbst wenn man versagt hat – dies kennzeichnet einen wahren Helden.


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