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Hölle (Satire)


man nennt mich corona. ich bin wie ihr, will leben und mich vervielfältigen. warum ich rücksicht auf kinder nehme? sie betrachten mich nicht als feind. sie nehmen mich an. sie sind die zukunft. dies ist euer letzter weckruf.  ja, jetzt steht ihr still. ihr habt angst und begreift langsam, dass die ganze welt ein schicksal teilt. ihr macht die erde kaputt, doch bevor das passiert, sendet sie uns, um euch kaputtzumachen. ich bin nur die vorhut, aber wenn ihr wüsstet, was für gemeine verwandte ich habe ... wie wär‘s, wenn wir lebewesen allesamt einen weg zur friedlichen co-existenz fänden?

 ***

[Wie ich kürzlich erwähnte, nehme ich in diesem Jahr an Schreibwettbewerben teil, um nicht aus der Übung zu kommen - das jahrelange Übersetzen von Zen-Texten war doch etwas einseitig. Hier nun zur Abwechslung mal ein solcher Beitrag, der es nicht in die Endauswahl schaffte. Das vorgegebene Thema hieß: "Mehr Licht". In Bälde werde ich wieder Aufsätze mit buddhistischer Thematik zusammenfassen.]

Hölle

„Mehr Licht!“
   Furchtbar, in welcher Dunkelheit ich die neuesten Zellen für die bald erwarteten Dauergäste herrichten muss. Wie soll denn da am Ende alles richtig funktionieren? Ich werde von meinem Assistenten unterbrochen: „Herr Beelzebub, da ist jemand, wie soll ich sagen, der gar nicht hierher gehört nach meinen Unterlagen. Aber er will einfach nicht gehen. Es scheint, als hätte er sich bei uns reingeklagt.“
   „Herbringen!“
   Ein gutgelaunter Kerl taucht auf: „Ei, der Teufel, gut, dass ich Sie sehe. Man weist mich ständig ab, dabei hab ich mir die größte Mühe gegeben: Tausendfache Lüge, hundertfache Gotteslästerung, Dutzende von Ehebrüchen. Na, ist das was?“
   „Das lockt heute keinen Erzengel mehr hinter Netflix hervor. Was um Höllens willen machst du hier? Siehst du nicht, dass ich mich um wichtigere Dinge kümmern muss? In Kürze kommt Un Sinn hier rein, und Kissinger ist schon überfällig.“
   „Ich kam in die Hölle, weil alle meine Freunde hier sein müssen. Im Himmel wär’s mir zu langweilig. Wo bitte kann ich meine Kumpel finden? Gibt’s so was wie ne Höllen-Map?“
   „Deine Freunde waren garantiert solche Möchtegern-Schwerenöter wie du. Hast du noch nicht von der Gnade Gottes gehört? Was der alles verzeiht, du wirst dich noch wundern. Ich habe trotzdem alle Hörner voll zu tun. Also raus hier, fahr zum Himmel!“
   „Sagen Sie mal, wieso heißen Sie eigentlich Beelzebub? Da, wo ich herkomme, hat man den Knecht Ruprecht so genannt.“
   „Ich habe umgeschult! Und du kommst jetzt zu den Tibetern, die verstehen sich auf Wiedergeburt. Wir haben hier keinen direkten Zugang zum Himmelsreich, also mach das nicht nochmal, sonst gerätst du in eine Endlosschleife und endest noch als Kakerlake oder als Lastesel.“
   Und zu meinem Assistenten: „Schaff ihn weg, sollen die im Himalaya sich um ihn kümmern, oder sind die 49 Tage Zwischenreich schon vorbei?“
   „Nein, Herr Beelzebub, das kriegen wir noch hin.“
   Ich wende mich wieder der neuesten Zelle zu. Die zur Hölle Verdammten werden gemäß ihrer Taten gequält, und es obliegt mir, Hologramme ihrer Opfer herzustellen und dank ausgefeilter Algorithmen mit den perfidesten Charaktereigenschaften zu versehen. Zunächst entwerfe ich eine dauerquasselnde Lesbe nach einer bekannten deutschen Fernsehfrau, denn Un Sinn hatte seine Tochter wegen ihrer sexuellen Neigungen geschasst. Dazu kommen Tänzerinnen in der Tracht der Cham, einer muslimischen Minderheit, die der kambodschanische Diktator verfolgt hatte, als er noch bei den Roten Khmer war. Sie sollen endlos den sogenannten Schmetterlingstanz aufführen, bei dem sie ihre Fächer immer wieder mit einem Schnappgeräusch zuschlagen; dabei darf noch eine Spießgeige aus Schildkrötenpanzer ertönen. Dazu gesellt sich eine kleine Skatrunde aus Ermordeten, dem Oppositionspolitiker Om Radsady, dem Umweltaktivisten Chut Wutty und dem Gewerkschaftsführer Chea Vichea. Die Originale wären natürlich besser, aber ich habe ja einen Deal mit Gott. Thun Bun Ly soll noch Artikel aus seiner Zeitung vorlesen, es kann gar nicht genug Kakophonie herrschen, und der Journalist Khim Sambo und sein Sohn, die beim Joggen erschossen wurden, können ihm dabei zur Hand gehen.
   „Herr Beelzebub, wenn ich einen Vorschlag machen dürfte … Auch der stellvertretende Premier Kambodschas, Tea Banh, ist bald fällig. Wie wäre es denn mal mit einer Gemeinschaftszelle, geteiltes Leid ist doppeltes Leid, Sie wissen schon?“
   „Gute Idee. Ich mach hier gerade noch das Hologramm von Han Muny fertig, dem Leibwächter, der für Sam Rainsy sein Leben opferte und bei einem Granatenangriff starb.“
   „Herr Beelzebub, wie Sie sich ins Zeug legen, meint man wirklich, dass etwas von Knecht Ruprecht in Ihnen steckt.“
   Es ist in der Tat so: Nach dem Tod erhält man erneut einen Körper, den Körper der Auferstehung, wie manche sagen würden. Es ist ein immer gleicher Körper des Wohlbefindens im Himmel, den die Guten gemäß ihren eigenen Wünschen wahrnehmen, ob nun als jünger oder älter. Hier in der Hölle jedoch ist es ein Körper des Leidens und stets derjenige, den man unmittelbar vor dem Sterben hatte. Auf meine Hölle lasse ich eben nichts kommen, sie muss perfekt sein.
   Wie ich schon erwähnte, kommen wirklich nur die schlimmsten Übeltäter bei uns an. Manchmal ist eben Hochsaison, so wie jetzt. Da wütet gerade ein Virus, das auch ein paar von den Bösen mitnimmt, es macht keinen Unterschied. Darauf habe ich allerdings – ich würde es ja beschwören, wenn’s nicht so lächerlich wäre – keinen Einfluss. In meinen Mußestunden hingegen stelle ich mir gern vor, wie sich meine Arbeitszeit verkürzen könnte. Was, wenn die Menschen da oben in der Lage wären, aus eigener Kraft für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen?
   Meine Fantasie malt sich dann aus, dass eine Geheimgesellschaft von Reichen eine Privatarmee unterhält, deren Söldner in die betreffenden Länder geschickt werden, um korrupte Regierungen zu stürzen, Diktatoren zu töten, Völker zu befreien. Ist es nicht seltsam, dass Multimilliardäre stattdessen bei Scharlatanen vorstellig werden, um ihre Hilfsprojekte in deren korrupten Ländern durchführen zu können? Wollen wir wetten, dass von den Hilfsgütern ein beträchtlicher Teil für den Jet Set im Dunstkreis von Diktatoren abgezweigt wird? Aberwitzig ist das, wenn Reiche mit solchen Dämonen paktieren, damit sie „etwas Gutes tun“ können. Sie kommen mir vor wie Ärzte, die Medikamente gegen unangenehme Symptome verschreiben, weil sie das Problem nicht von der Wurzel her angehen können.
   Wahrscheinlich taugt meine Idee einer solchen Privatarmee, die auf der Welt mal so richtig aufräumt, ohne auf Diplomatie Rücksicht nehmen zu müssen, nur für eine Fernsehserie. Gaddafi fragte mich einst, bevor er in seiner Zelle nur noch zum Schreien fähig war, ob mir denn klar sei, welches Chaos und welche Gewalt auf den Tod von Diktatoren folge.
   Ich betrachte das Bild von König Mswati III. Ich nehme an, den kennen Sie nicht. Es ist der letzte absolutistische Monarch Afrikas. In seiner Heimat Swasiland, wo seit etwa einem halben Jahrhundert alle politischen Parteien verboten sind, haben zwei Drittel der Bevölkerung nicht mal einen Euro pro Tag zum Leben, und 27 % sind HIV-infiziert. Mswati aber soll 19 Rolls Royce und 120 BMW besitzen. Der Mann hat gerade die Fünfzig überschritten, und ob Sie’s glauben oder nicht, ich darf nicht nachhelfen. Dabei kann ich es gar nicht abwarten, ihn in die Finger zu bekommen. Ich sehe schon vor mir, wie ihn eine seiner Nobelkarren nach der anderen überrollt, oder wie wir ihn fortwährend mit Reisschleim für einen Euro abspeisen.
   So, für heute ist Schluss. Ich schaue noch kurz bei Robert Mugabes Zelle vorbei. Er ist seit letztem Jahr hier, in Menschenworten gesprochen (denn Zeit spielt bei uns ja keine große Rolle). Mugabe wurde 95, aber unter seiner Herrschaft sind tausende Menschen in Simbabwe verhungert. Seine Antwort auf AIDS bestand darin, Homosexuelle mit zehn Jahren Gefängnis zu bestrafen, denn sie galten ihm noch weniger als Schweine und Hunde. Wir dürfen zwar auch keine Originalschweine oder echten Hunde bei uns haben, dazu sind deren Seelen zu rein. Aber diese neuen männlichen Humanoiden, die man auf unseren Wunsch mit Hunde- und Schweinsköpfen versehen hat, tun unermüdlich ihren Dienst und lecken Mugabe von oben bis unten ab.
   Ich blicke in sein Gesicht und zweifle, ob er wirklich leidet.

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