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Zum Ende eines amerikanischen Zen-Forums

"Ich glaube, dass uns letzten Endes Gram umbringt, Gram über die Welt und weil uns nicht geglaubt wird. Überaus lebenspendend dagegen ist, wenn anerkannt wird, dass man tatsächlich die Wahrheit kennt, die Wahrheit seines eigenen, faktischen Lebens."

(Harold Brodkey: Die Geschichte meines Todes. Rowohlt 1996)

***


Adam Tebbe hat das Zen-Forum sweepingzen beendet. Wie man dort lesen kann, sieht er sich nun "in Christus wiedergeboren". Er meint, dass es nicht im Sinne Gottes sei, auf andere Religionen wie den Buddhismus zu verweisen, weswegen auch die ganzen alten Beiträge, die andere ihm lieferten, nicht mehr einsehbar sind (außer über Webarchive). Sein unvollendetes Filmprojekt, mit dem er Zen-Lehrer in den USA porträtierte, gedenkt er ggf. noch auf Youtube kostenlos zur Verfügung zu stellen.
   Da ich gerade meinen gesamten Blog durchgehe, um mir noch einmal in Ruhe zu vergegenwärtigen, welche Themen ich hier schon aufgegriffen habe (und um hier und da Links zu aktualisieren oder Fehler zu korrigieren) - wobei ich erfreulicherweise zu dem stehen kann, was ich über die Jahre von mir gab -, hatte ich auch einen Link zu sweepingzen überprüft und so vom überraschenden Wandel seines Moderators erfahren. Er ist also genau den umgekehrten Weg von mir gegangen (ich war von freikirchlichem Christentum zu Taoismus und Zen gekommen). Angesichts der ernüchternden Begegnungen, die er mit amerikanischen Zen-Lehrern bei seinen Filmarbeiten erlebt haben dürfte, müsste einen zumindest eine Abkehr vom US-Zen nicht wundern. Doch wie kann man, wenn man einmal die nicht-personale Realität des Seins entdeckt hat, zurück zu einer personalen Christus-Huldigung gelangen? Die einfachste Antwort dürfte mal wieder lauten, dass es eben so viele "Wahrheiten" wie Menschen gibt. Bemerkenswert ist jedoch, mit welchem Fundamentalismus nun die vergangene, nicht unerhebliche Arbeit von Tebbe an der Website durch ihn selbst in Abrede gestellt wird. Und dass da nicht ein Funken christlicher Moral dagegenhalten kann und er aus Mitleid und Respekt vor der Arbeit anderer alles online stehen lässt. Das ist schade, denn so entgeht uns das Gegenstück von Tebbes neuem Wahnsinn, nämlich der alte buddhistische mit den Grabenkämpfen, an denen ich auch beteiligt war (insbesondere, wenn es um ehemalige enttäuschte Schüler von Shimano und Sasaki ging). Fehlen werden die zahlreichen Selbstdarstellungen, Vorträge, Konferenzschaltungen und Bemühungen von Lehrern wie Jundo Cohen, aber auch all die Zeugnisse des Missbrauchs, der Mediation und der Neubesinnung in den Zen-Zentren.
   Wo wir gerade beim Thema sind - der Betreiber des Sasaki-Archivs, Kobutsu Malone, bezog seinen Eifer bei der Bloßstellung sexueller Übergriffe von Zen-Meistern wahrscheinlich aus der eigenen Biografie, er wurde von christlichen Priestern (und Nonnen) misshandelt. Für mich drängt sich die Frage auf, warum so oft übers Ziel hinausgeschossen wird, wenn jemand in einer Religion Enttäuschung erfährt, grundsätzlich aber seiner spirituellen Neigung treu bleiben will. Ich möchte all diese Dokumente und Archive nicht missen, habe aber wiederholt davor gewarnt, Betroffenen selbst die Darstellung bestimmter Lehrer maßgeblich anzuvertrauen (Malone z.B. wundert sich zwar, dass die Priesterschaft nicht auf seine Hinweise reagiert, ignoriert jedoch selbst nach Belieben Material zu Sasaki).
   Kommen wir also zur Ignoranz. Sie wird auf allen Feldern angewendet, wenn sich jemand bedroht fühlt, in der Wirtschaft, der Politik, natürlich auch im Buddhismus. Hier kennen wir freilich den Trick, diese Strategie als einen erhabenen Charakterzug zu verkaufen: Der Buddhist redet eben nicht mehr als nötig und lästert und kritisiert nicht andere (oder die Lehre). Tatsächlich scheint mir eher eine biografisch häufig anzutreffende Abschottung gegenüber anderen Meinungen mit zunehmendem Alter stattzufinden. So ist in Brad Warners Blog im Lauf der Jahre die Kommentarfunktion verschwunden. Ich hatte hier nie viele Kommentare, so etwas kann natürlich auch Arbeit machen. Gelegentlich habe ich Unsinn oder persönliche Anfeindungen nicht freigegeben. Ein Blog muss auch kein Diskussionsforum sein, vor allem, wenn sich Beteiligte nur anonym melden, die Diskussion hatte ich dafür aber ausgiebig in Foren mitgemacht. Ich glaube, dass bei den meisten anderen, die sich ihr verweigern, eine Ahnung davon herrscht, dass sie sich verrannt haben. Diese Ahnung tritt jedoch hinter das zurück, was ich "Ideologie" nenne. Im Gegensatz zu einem offeneren Verständnis von Zen oder Buddhismus ist dies eine eher dogmatische Form der Lehre und Praxis, sie zeichnet sich durch bestimmte Rituale aus, das Minimum ist Zazen, auf der nach oben offenen Ermächtigungs-Skala kommen dann noch andere Äußerlichkeiten wie Rituale, Roben, Weihrauchstäbchen, Übertragungsdokumente und in aller Regel nur selektive Traditionen (wie Soto oder Rinzai) mit ihren jeweiligen Lehrgebäuden zum Tragen. Das Ganze verselbständigt sich dann. Mal sehen, ob man das auch von mir so sagen kann, wenn ich meinen Zen-Weg irgendwann mal kompakt zusammenfasse. Einstweilen macht es mir jedenfalls nichts aus, auf den neuesten Unsinn des in sich geschlossenen Brad Warner-Punks hinzuweisen.
   In einem Beitrag vom Anfang diesen Jahres erklärt er shikantaza. Gedanken kommen auf, er möchte ihnen folgen, also ermahnt er sich zur rechten, vorgegebenen Körperhaltung. Usw. Nach 15 Jahren ist seine wichtigste Erkenntnis die, dass im Gegensatz zu seiner ursprünglichen Meinung Gedanken nur Gedanken seien und nicht wichtig: "Ich erkannte, dass in meinen Gedanken keine Antwort lag." Leider setzt er dies dann analog zum Rat eines anderen Lehrers, "den Gedanken des Nicht-Denkens zu denken". 
   Ich muss nicht erst erwähnen, wo wir heute als Menschheit stünden, wenn alle Forscher, Entdecker, Künstler eine so niedrige Meinung von ihren Gedanken gehabt hätten. Denn gerade aus dem ungeordneten Chaos in unserem Hirn entstehen nicht selten die "zündenden". Was wir hier jedoch schwarz auf weiß bekommen, ist der Glaube, dass es in erster Linie durch den Rückgriff auf die Körperhaltung beim Zazen gelänge, die Gedanken in ihrer Unwichtigkeit zu erfahren - wo doch gerade die Selbstermahnung des "Schultern zurück" usf. nichts weiter als ein Gedanke ist, der in den Mittelpunkt von Brads Praxis rückt. Es macht mich etwas fassungslos, dass Brad damit die jahrhundertealten Vorurteile anderer Zen-Schulen gegenüber ausgedehntem Zazen bestätigt. Es geht hier nicht mehr darum, dass Zen für nichts gut ist, sondern zur Selbsttäuschung wird. Brad Warner glaubt wirklich, dass die Gedanken anderer Menschen so unwichtig (oder wichtig) seien wie seine. Ich glaube, dieser Beitrag von ihm ist zumindest ein Höhepunkt rhetorischen Ungeschicks. Oder, um es klassischer auszudrücken, er gemahnt an die Bedeutung der Fähigkeit zur Unterscheidung, ehe man von Gleichheit ("same, same") sprechen sollte.
   Ein paar Tage später versucht sich Brad dann an Dôgens Verständnis zum Geben und kommt zum Schluss, dieser habe das Verständnis von dana erweitert, da für ihn bloßes Leben und Sterben ein Akt des Gebens sei, das Universum gebe sich also selbst dem Universum (was die Art von Zen-Gelaber ist, auf die ich immer allergischer reagiere). Wie schön, dass es in der Zen-Geschichte auch Lehrer gab, die ganz einfach ausdrücken konnten, worum es geht: "Ein Zen-Mönch hat kein Geld."*

Eine meiner schwierigsten Aufgaben wird es sein, in der Zusammenfassung meines Dôgen-Verständnisses herauszustellen, warum Dôgen trotz aller Schwächen und Widersprüche und trotz der Einbeziehung neuerer akademischer Erkenntnisse mehr war, als Brad Warner und Co. aus ihm machen. Ich sage es immer wieder: Wer sich aufs Shôbôgenzô beschränkt, wird Dôgen nicht verstehen. Auch die Soto-Schule, die inzwischen eine recht informative Webseite aufgebaut hat, scheint die ein oder andere Erkenntnis der Buddhismuswissenschaft nicht wahrzunehmen, wenn ich mir ihre aktuelle Darstellung von Dôgen ansehe.

In rze mache ich einen eigenen Beitrag zu einem Artikel von Alexander Berzin. Das ist das Ergebnis eines kurzen Ausflugs zu einem anderen US-Forum (dessen Zugangsdaten ich beim Aufräumen wieder fand, nachdem ich dort vor gut einem Jahr mal was geschrieben hatte). Schon beim Thema Thich Nhat Hanh zeigten sich dort relativ schnell die gleichen Defizite wie in den deutschen Foren. Seine Gemeinde hat ihn bekanntlich nach Vietnam in den Tempel verschoben, auf den er sich beruft und in dem er nun nach Angaben eines TIME-Reporters offenbar dahinsiecht. Plumvillage dementierte sofort, denn das passt natürlich nicht in die Hagiographie, die Geschichtsschreibung rund um TNH, die man sich nicht aus den Händen nehmen lassen will. Er würde im Garten des Tempels "stroll"en, verklärt man da die Tatsache, dass man den Sprachlosen in seinem Rollstuhl m.E. abgeschoben hat, um seine Story zu einem runden Abschluss zu bringen und nicht allzu viele Zeugen seines Endes zuzulassen. Ich sage es nochmal, die Tatsache, dass Ihr, die TNH-Anhänger, so empfindlich seid, wenn man kritisch auf ihn zu sprechen kommt, sollte euch aufzeigen, dass alles, was er euch in Sachen Achtsamkeit und Gleichmut gelehrt hat, offenbar nicht hinreichend fruchtet. Ihr seid einfach nicht cool genug, wenn es um euren Lehrer geht. Wie es eben so bei Sektenanhängern üblich ist. Ihr habt nicht genug aufgepasst.

Die Welt der Buddhisten ist voller Papageien und Autoritätsgläubigen, die nur nachplappern können, was sie gehört haben, und den Dharma nicht weiterentwickeln. Diese Art von Religion ähnelt sich dann auch in Judentum, Islam und Christentum in ihrer Schrift-, Buchstaben-, Dogmenhörigkeit. Wenn man so Buddhismus verstanden hat, kann man wahrscheinlich doch relativ leicht in eine gleich geartete andere Religion überwechseln. Somit entledigt man sich auch der Eigenverantwortung, etwas Vergangenem frisches Leben einzuhauchen. Ein Zen-Mönch aus dem Shunko-in, der seit Jahren durch die (nicht-offizielle) Trauung von Homosexuellen in Japan mal was anders macht (statt den ausgrenzenden Müll zu wiederholen, den Berzin lehrt) hat es kürzlich sogar zu einem TED-Auftritt gebracht. Dort klingt er leider wie TNH mit seinem Achtsamkeitsfetisch. Und hier schließt sich dann erst mal wieder ein Kreis für mich.

[* Kaiten Nukariya mit Bezug auf Fu-gai.]

Kommentare

  1. Hi Guido,

    In meinem Verständnis ist der Gedanke des Nicht-Denkens nichts anderes, als einen Gedanken als Gedanken zu erkennen. Die damit einhergehende Differenzierung des Gedankens als Gedanke (Niklas Luhmann hat das sehr schön beschrieben) ist bereits der "Nicht-Gedanke".
    Der Fehler liegt eher darin, nach dem Erkennen eines Gedankens ein Kommentar abzugeben und diesen dann mit dem Nicht-Gedanken zu verwechseln, also das was du mit "Schulter zurück" benennst.
    Darüber schreibt Brad Warner aber nicht. Vielmehr benennt er in einem anderen Beitrag (http://hardcorezen.info/what-to-think-about-during-zazen/6059)
    genau das als Fehler beim Meditieren. Das Zurückkehren zur Haltung passiert von selbst in dem Moment, indem der Gedanke als Gedanke erkannt wird.
    Da das ganze eben nur als Ping-Pong funktioniert, man also nur "Nicht-Denken" kann, wenn man vorher gedacht hat, bzw. nur loslassen, wenn man ergriffen hat wurde einfach diese praktische Übungs-Haltung erfunden, da man für das Realisieren der Wirklichkeit zwei Schläger braucht, nämlich einmal Form und einmal Leere und das ist nichts anderes als Denken des Nicht-Denkens und das geht dann immer hin und her, bzw. fließt halt ständig.

    Liebe Grüße,
    Reiko

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  2. Ich verschieb die Kritik an Berzin und gehe Mitte Februar ausführlich auf diesen Kommentar ein.

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  3. "Doch wie kann man, wenn man einmal die nicht-personale Realität des Seins entdeckt hat, zurück zu einer personalen Christus-Huldigung gelangen?"
    Wie kommen Sie darauf, daß das Sein nicht-personal sein könnte? Mir scheint der Gedanke, daß "G-TT/buddha" weniger ist als Seiendes absurd: "G-TT/buddha" ist immer mehr: er ist mehr als Person und nicht weniger.

    Deus semper maior.

    (Darüber hinaus: Die ChristusErfahrung wird vom Christen als die spezifische Weise des sich selbst zeigenden
    G-TTes erfahren, Erfahren als Gnadenakt.)

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  4. Genau, tariki statt jiriki, fremde Kraft statt eigene. Das ist ein Unterschied. Und der andere: Es gibt keinen Gott ausser dir.

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    1. Könntest Du mir das erläutern? Ich will lernen.

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  5. Und deine Natur ist Nichtselbst. Sie ist jenseits des Personalen.

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    1. "Sie ist jenseits des Personalen."
      Fragen: Ist sie (meine "Natur"/"Nichtselbst") mehr als Personales oder weniger als Personales?
      Ist die Buddhanatur weniger bei Verstand als ich, weniger intelligent als ich, weniger vernünftig als ich?
      Geht die Vernunft voraus, oder ist sie Grundlage?
      Ich ahne/meine immer noch : Deus/buddhanatur semper maior.

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