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Noch einmal zum Nicht-Denken, Brad Warner und Dôgen

"Da ich das Kloster nun ganz für mich allein hatte, beschäftigte ich mich mit dem bemitleidenswertesten aller heimlichen Vergnügen eines Mönchs: Ich googelte spirituelle Lehrer aus allen Traditionen auf YouTube und wies sie dann hochmütig zurecht. Meistens deshalb, weil sie etwas nicht genau auf die Art und Weise ausdrückten, wie ich es getan hätte; vorausgesetzt, ich hätte den Mut und das Mitgefühl aufgebracht, die jemand braucht, um überhaupt ein Filmchen von sich zu drehen und so seine spirituelle Lehre zu verbreiten."

(Shozan Jack Haubner: Zen Berserker. Aurum/Kamphausen 2014)

***

Ich gehe nun auf einen Kommentar von "Reiko" ein, der mich zum Beitrag vom 1. Februar erreichte, weil er die gute Gelegenheit bietet, das Problem aufzuzeigen, das ich in der heute gängigen Verengung des Zen unter Rückgriff auf Dôgen sehe. Hier ist er nochmal: 

"In meinem Verständnis ist der Gedanke des Nicht-Denkens nichts anderes, als einen Gedanken als Gedanken zu erkennen. Die damit einhergehende Differenzierung des Gedankens als Gedanke (Niklas Luhmann hat das sehr schön beschrieben) ist bereits der "Nicht-Gedanke".
Der Fehler liegt eher darin, nach dem Erkennen eines Gedankens ein Kommentar abzugeben und diesen dann mit dem Nicht-Gedanken zu verwechseln, also das was du mit "Schulter zurück" benennst.
Darüber schreibt Brad Warner aber nicht. Vielmehr benennt er in einem anderen Beitrag (Link)
genau das als Fehler beim Meditieren. Das Zurückkehren zur Haltung passiert von selbst in dem Moment, indem der Gedanke als Gedanke erkannt wird.
Da das ganze eben nur als Ping-Pong funktioniert, man also nur "Nicht-Denken" kann, wenn man vorher gedacht hat, bzw. nur loslassen, wenn man ergriffen hat wurde einfach diese praktische Übungs-Haltung erfunden, da man für das Realisieren der Wirklichkeit zwei Schläger braucht, nämlich einmal Form und einmal Leere und das ist nichts anderes als Denken des Nicht-Denkens und das geht dann immer hin und her, bzw. fließt halt ständig."

Zum einen kennt das Zen, schon von Chih-i beeinflusst und im Chan aufgegriffen, "Nicht-Denken" als tatsächliche Abwesenheit jeglichen Gedankens. Wer dies nicht glaubt (etwa aufgrund einer neurologischen Unmöglichkeit eines solchen Zustandes), der soll sich fragen, ob er nicht schon selbst Zustände erlebt hat, die er genauso beschreiben würde: "Ich habe an nichts gedacht, mein Kopf war leer, ich habe nur Löcher in die Luft gestarrt" usw. Es gab also schon früh offensichtlich eine Übungsmethode, bei der es tatsächlich darum ging, gar keine Gedanken mehr zu hegen. ich verbürge mich dafür, dass es möglich ist, diesen Zustand als solchen - unabhängig von seiner wissenschaftlich korrekten Existenz - zu erleben.
Ein weiteres Verständnis von "Nicht-Denken" sieht, wie von Reiko beschrieben, das Unterbrechen gewöhnlichen Denkens als wesentliche Übung an, also die üblichen Gedankenketten, die aufeinander aufbauen und mit Wertungen und Gefühlen verbunden sind. Im Wesentlichen ist das eine Achtsamkeitsübung, bei der mir klar ist, dass ich Gedanken habe, und in deren Fortschreiten sich in dieser Klarheit die üblichen Gedankenketten aufheben lassen.

Der Link zu einem weiteren Artikel von Warner zu diesem Thema hat jedoch meine Ansicht verstärkt, dass Warners Verständnis des Sitzens einem Gedanken folgt, der eben einer jener üblichen Gedankenketten entsprungen ist, in diesem Falle einem Dogma, nämlich dem des rechten Sitzens, einer rechten Haltung. Warner stellt zunächst klar, dass es Dôgen nicht darum geht, dass wir nichts denken sollten, sondern dass wir beim Zazen nicht gewollt Dinge erwägen sollten ("delibarately pondering stuff"). Dann jedoch bringt Warner ausgerechnet das Beispiel eines zitierten Mantras, mit dem Übende ihren Gedankenfluss unterbinden, als minderwertig an, da die Gewohnheit des zwanghaften Denkens damit nur kaschiert würde. Zazen sei da radikaler, da mit jedem zerstreuten Gedanken die Körperhaltung sich ändere. Also solle man, so man dies bemerkt, seine Körperhaltung wieder korrigieren, denn garantiert fände man einen Fehler in seiner Haltung. 

Mit anderen Worten, Warner setzt als Prämisse zwei Dinge voraus, die jeder Zazen-Übende selbst schon bald als falsch erfahren wird. Zum einen die Behauptung, dass es eine richtige Haltung gäbe. Tatsächlich ist eine lange Zeit eingenommene Haltung irgendwann unbequem, ganz egal, welche es ist, und man ändert sie normalerweise dann - es sei denn, irgendeine Regel soll dies verhindern. Dies gilt auch für die Zazen-Haltung. Zum anderen wird man, sobald man diese korrekte Haltung erlernt hat, schon recht früh feststellen, dass es möglich ist, völlig bewegungslos den wirrsten Unsinn zu denken. Genau darum verzapfen ja auch langjährige Zazen-Praktizierende immer wieder solchen, ich möchte wetten, dass der nicht nur dann entsteht, wenn sie nicht sitzen.

Entscheidend ist hier also, dass Warner einen Gedanken empfieht, der sich eben nicht von selbst einstellt, nämlich den Verweis auf die korrekte Haltung, um den unerwünschten, anhaftenden Gedankenfluss zu beheben. Genau das war es, was ich im letzten Blogbeitrag kritisierte. Denn der Gedanke, den Warner dazu braucht, ist ein wertender, er ist "gewolltem Dinge erwägen" entsprungen, nämlich der Frage, wie man denn wohl am besten zu meditieren habe, und er bedeutet genau das, was Brad kritisiert: "judging stuff". Ich glaube, hier lässt sich deutlich zeigen, warum Zazen darum nur upaya, ein geschicktes Mittel, sein kann, und inwiefern es sogar ein bisschen ungeschickt ist. Die Folge einer solchen Denkweise dürfte dann zwangsläufig sein, dass die Integration der eigentlichen Geistesübung des Zen, also eben jenes Nicht-Denkens (ob nun sogar mit der Fähigkeit völliger, momentweiser Gedankenlosigkeit oder einfach des jederzeit verfügbaren Loslassenkönnens von Gedankenketten - etwa des sich Hineinsteigerns in Hass usf.) in den Alltag nicht optimal gelingen wird, da ja der Reflex - und insofern ähnelt er einem Mantra - dahin geht, bei Gedankenzerstreuung immer wieder auf eine Körperhaltung zurückzugreifen - statt sich ganz auf den Geist zu konzentrieren, egal, wie es gerade um den Körper bestellt ist. 

Solche Diskussionen habe ich oft geführt, und wenn ich zuletzt davon schrieb, dass man Dôgen nüchtern darstellen sollte, dann nehme ich ihn doch in Schutz vor seiner Vereinnahmung hunderte Jahre nach seinem Tod, die in bestimmten Darstellungen der Soto-Schule mündete, wie sie auch heute das Verständnis bestimmen. Dôgen kannte offensichtlich hishiryô (auch wenn es in der von ihm signierten Fassung des Fukanzazengi fehlt) und ich weiß wohl, wie es auch von Deshimaru gelehrt wurde, als Denken jenseits des konventionellen Denkens, also vergleichbar dem, was Warner sagte. In einigen von Dôgens Gedichten (und Textstellen seiner Hauptschriften) scheint mir jedoch ein Verständnis jenes frühen Chan des Nicht-Denkens durchzuschimmern. Wenn Dôgen nicht durch seine Nachkommen korrumpiert wurde und nicht, wie schon vermutet wurde, durch spätere Geistesschwäche in seiner Lehre verhärtete, dann kommt es mir am wahrscheinlichsten vor, dass er eine tiefe originäre Zen-Erfahrung machte, diese aber nicht adäquat in die chinesische Tradition einzubinden wusste (mit der er letztlich nicht vertraut genug war) und deshalb seine eigenen Ausdrücke (wie shinjin datsuraku) erfand, um dem Ganzen beizukommen. Dôgen hat wesentliche Züge des Chan nicht begriffen oder abgelehnt, etwa die von mir beschriebene Übungsmethode des Geistes, wie sie schon Huineng zugeschrieben wurde, und die Unabhängigkeit von Ritualen, wie sie schon lange vor seiner Zeit überliefert und in Laien wie Vimalakirti versinnbildlicht war. Wir müssen aber nicht erst denken, um Nicht-Denken zu erfahren, sondern Nicht-Denken war unser Ursprung. Wir kehren also zu dem zurück, was vor dem Denken war. Es genügt nicht - und es hat auch Dôgen m.E. nicht genügt -, einen Gedanken nur als Gedanken zu erkennen.

Natürlich kann man auch das als bloß behelfsmäßige Rhetorik ansehen.


Kommentare

  1. Hallo Guido,

    Ich persönlich übe (inzwischen wieder) mit Atemzählen (gerne im Liegen), da ich die von dir erwähnte Erfahrung gemacht habe, dass das reine "Zurückkehren zur Haltung" wenig narrensicher ist. Bei Shunryu Suzuki habe ich gelesen, dass er das Atemzählen bevorzugt, weil somit der "Anfängergeist" am besten gewährleistet ist (was ich verstehe als Zurückkehren in den Moment). Sich nur auf die Haltung zu konzentrieren führt bei mir schnell zu einer eher schwachen Achtsamkeit und ich kann mir gut einbilden aufmerksam zu sein, obwohl ich schon längst am träumen bin.

    ich finde es interessant, dass du zwei Interpretationen des "Nicht-Denkens" erwähnst. So wie ich dich jetzt verstanden habe, meinst du damit auch nicht die im Vipassana übliche Unterscheidung zwischen Versenkungs- und Einsichtspraxis (mit den jeweiligen Jhana-Stufen)(?)

    Hier nochmal von Wikipedia:

    "In the oldest texts of Buddhism, dhyāna (Sanskrit) or jhāna (Pali) is the training of the mind, commonly translated as meditation, to withdraw the mind from the automatic responses to sense-impressions, and leading to a "state of perfect equanimity and awareness (upekkhii-sati-piirisuddhl)."[1] Dhyana may have been the core practice of pre-sectarian Buddhism, in combination with several related practices which together lead to perfected mindfulness and detachment, and are fully realized with the practice of dhyana."

    Liebe Grüße
    Reiko


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  2. Hallo Reiko, ich will jetzt nicht noch einen Beitrag vorziehen, der für Mitte Mai angesetzt ist, die Antwort an einen User zu Daniel Ingram beinhaltet und klarmacht, warum ich etwa Vipassana nicht für ausreichend halte. Deine Beobachtung stimmt, was älteste Praxis im Buddhismus war, ist m.E. nicht die entscheidende im Zen, selbst wenn dafür der Ausdruck dhyana verwendet wird.
    Kürzlich habe ich hier ein paar ruhestörenden Indern eine Ansage gemacht und dem Securitymann des Hotels meine Gewaltbereitschaft aus Notwehr verdeutlicht. Nun scheint es heute Nacht ähnliche Probleme zu geben, die nächste Horde von Schwallbacken ist auf meinem Stock eingetroffen (ich lade die Tondatei gerade auf Youtube hoch). Der “Kriegergeist“ hatte die 1. Gruppe schnell zur Vernunft gebracht (oder den Hotelier), aber da mein Mietvertrag noch ein paar Monate läuft, muss ich nun mit der nächsten Gruppe umgehen, ehe ich wohl in ein inderloses Hotel wechsle. Einer der Inder pfeift gerade, wobei alle anderen hier im Stock, Italiener, Japaner, ein Kroate z.B., schon im Bett liegen. Ich finde es besser, nicht nur eine Antwort zu kennen. Heute kann es Gleichmut sein, das nächste Mal ein Brüllen oder eine Form von Gewalt. Die anderen können wahrscheinlich auch nicht schlafen, fühlen sich aber wohl zu alt für diesen Kampf. Was macht also etwa ein Gleichmütiger, wenn er nicht nur an sich denkt? Von daher kann es nicht nur darum gehen, übliche Gedanken still zu legen, sondern auch angemessene Lösungen zu entwickeln, also kreativ zu denken und vor allem auch zu handeln. Man sollte also einen Missstand, Gedanken der Aversion, nicht bloß durch ein Ideal, den Gedanken des Gleichmutes, ersetzen können, sondern auch etwas ganz anderes zulassen, was nicht der Prämisse des Gleichmuts untergeordnet wird, sondern aufrichtiger unsere instinktive Natur widerspiegelt. Diese Natur kennt eben nicht nur Gleichmut. Ansonsten kann man m.E. keine hinreichende Verantwortung im Sinne des Bodhisattva-Ideals übernehmen. Mein Gleichmut nutzt mir, aber nutzt er in jeder Situation auch dem, der ihn möglicherweise nicht hat?

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  3. Hallo Guido,

    Den Wikiquote habe ich gebracht, weil ich dachte, dass dort die Form von "Nicht-Denken" beschrieben wird, die du erwähnt hast.
    Gleichmut und auch Bodhisattva halte ich eher für Ideen die an der Realität nur scheitern können...
    Ich denke, dass es vieler Faktoren bedarf um halbwegs "gute" Entscheidungen zu treffen. Es ist wohl ein Anfang, sich selbst gut zu kennen (vor allem die unangenehmen Seiten), inklusive der von dir genannten instinktiven Natur.

    Sich selbst sein lassen können wie man eben gerade in jeder Situation ist, ist für mich vielleicht eine Formulierung, die einen taoistischen oder Zen-Geist widerspiegelt, wie ich ihn verstehe.

    Es gibt übrigens wenig was mich mehr in Rage versetzt, als wenn meine Nachtruhe gestört wird... ich hoffe du findest noch Schlaf.

    Gruß Reiko

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  4. Ich denke ;-) solange das Denken nicht dauerhaft durch das erwachen transformiert wird, sitzt man mit der Dualität, mehr oder weniger, fest.
    So bevorzuge ich ein entspanntes=inspirierendes (Taoistisches)Sein-auch im Denken, was manchmal mehr manchmal weniger der Fall ist.

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  5. Lieber Guido,

    Ich verfolge Deinen Blog jetzt seit zirka 2 Jahren und habe auch ältere Posts gelesen. Ich find’s gut, wenn es Leute wie dich gibt, die die Dinge in Frage stellen.

    Ich praktiziere ZaZen in der Form von Shikantaza. Nun ja, es wurde mir gesagt, dass es so heißt. Ich wusste es nicht denn die Praxis kam von innen heraus. Das heißt sie stellte sich ein während meiner Übung des Stillen Sitzens. Irgendwann las ich ein Buch über Zen und hatte den Wunsch mal zu einem Zen-Lehrer zu gehen. Einer der Lehrer hat mir dann gesagt ich würde Shikantaza praktizieren. Ich machte dann mal zwei Sesshin bei unterschiedlichen Lehrern. Nun, meine Vorstellung von Zen ist eine andere.

    Zunächst ist da das Wort „Meditation“. Es kann NIEMALS als Synonym für all die Praktiken verwendet werden, die wir heute pauschal als Meditation bezeichnen. Eigentlich kommt „Meditation“ von meditatio = gegenstandsloses Betrachten/Beobachten. Das kommt dem Wort „Dhyan“ sehr nahe. Alles andere sind keine Meditationen im eigentlichen Sinn. Es sind Rezitationen (Mantras), Imaginationsreisen, Fokussierungen (Yantra), Atemübungen (Pranayama) etc. pp. Die Verwirrung der Menschheit und der Praktizierenden ist groß und es wird von akkreditierten Zen-Lehrern weitergelehrt.

    Dann ist da dieses Gequatsche während der Sesshin: Tessho. Die Schönheit der Koans liegt in ihren Worten und bedarf keiner analytischen Erklärung. Die Antwort oder eher die Nicht-Antwort soll ja jeder selber finden. Bei jedem Sesshin wurden die Koans immer erklärt. Bäh!

    Und zu guter Letzt ist da noch das Nicht-Denken. Nicht-Denken heißt nicht nicht denken! Da wird von Kensho erzählt und Satori bla bla bla. Mit Nicht-Denken ist das gemeint was wir nicht denken. Unsere Gedanken sind derart automatisiert, dass sie sich über vieles drüberlegen. Wir können oft gar nicht das erfahren was jenseits unserer Gedanken liegt.

    Das zu erklären und zu verstehen ist recht einfach. Wenn man sich an Punkt A befindet (Denken) dann wollen die meisten Praktizierenden zu B (nicht denken – Achtung Schreibweise!). Das ist aber nicht machbar. Es ist besser bei Nicht-A (Nicht-Denken) zu verweilen und zu beobachten was sich noch offenbaren kann. Dann stellt sich nämlich etwas ein, dass sich schwer in Worte fassen lässt. Das ist die Bedeutung von WU.

    Ich habe keinen Lehrer gefragt mich als Schüler aufzunehmen. Erstens empfinde ich, dass es nur eine Reihe von goldenen Schülern geben kann und nicht eine Reihe von goldenen Lehrern. Zweitens habe ich mehr als Antworten als Fragen…

    Herzliche Grüße
    Toby

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  6. Hey Toby,

    zu deiner Formulierung "Wir können oft gar nicht das erfahren, was jenseits unserer Gedanken liegt." habe ich die Erfahrung gemacht, dass jenseits der Gedanken wieder nur Gedanken liegen, allerdings in anderer Form. "Das Beobachten" an sich, ist in dem Sinne für mich auch ein Gedanke, bzw. habe ich festgestellt, dass die Gedanken abstrakter werden, je weiter man sich vom alltäglich-diskursiven Denken entfernt, aber dennoch Gedanken in Form von geistigen Inhalten sind. Die kurzen Momente, in denen ich das Gefühl habe, da sei etwas jenseits von Gedanken, kann ich das tatsächlich als Nicht-Wissen oder als Leere am besten beschreiben, also jenseits von Begrifflichkeit oder ein Zeichen ohne Bezeichnung aber auch jenseits von Beobachtung, also ohne Verortung von "Hier und Dort". Eher ein Gefühl des Taumels und der Bodenlosigkeit, der Ichlosigkeit?

    Gruß Reiko

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  7. Hi Guido,

    Im Kontext, dass die meisten Menschen derart von ihren unbewussten Gedanken gesteuert werden, hatte ich diese von dir zitierte Formulierung getroffen.

    Ich denke, dass wir in unserer Erfahrung nicht so weit auseinander liegen. Ich möchte dir gerne mal meinen Mikrokosmos erklären und du schaust, ob du etwas in meinem Wording wiedererkennen kannst.

    Als ich begonnen hatte zu meditieren, das war vor ca. 14 Jahren, praktizierte ich verschiedene Formen von aktiven OSHO Meditationen. Während der stillen Phasen war es tatsächlich so, dass unmittelbar nach der aktiven Phase absolute Stille eintrat. Kurz darauf kamen dann wieder Gedanken. In etwa so: „Ah, so fühlt sich Stille an!“ Puff. Gedanken waren da, ABER auch ein Gefühl von Stille, innerer Ruhe. Anders als das Geplapper in meinem Kopf, das sonst da war. Bei einigen Meditationen, wie der Nadarbrahma z. Bsp. bin ich in einen tranceähnlichen Zustand gekommen. Dieser war begleitet von Gedanken, die das Gefühl, in dem ich mich befand beschrieben haben. Das heißt, zu allem was ich beobachtete waren auch Worte. Die Welt um mich herum war nicht oder fast nicht präsent.

    Ich habe dann irgendwann eine Meditation geübt, bei der man den Schein einer Kerze fokussieren sollte. Hier entstand für mich die Transformation zum Zazen. Denn hier habe ich erfahren wie es sein kann total präsent zu sein. Wie es ist, wenn das was ist nicht durch gedankliche Prozesse in Worte gefasst wird. Wenn ich wie ein Stein sitze und nur noch wahrnehme.

    Es ist ungefähr so zu beschreiben: Im Sitzen vernehme ich alles was um mich herum geschieht: Das Leuten der Kirchenglocken, die Autos, die Amsel am Fenster, der Geruch von frischem Kaffee (ich übe Zazen um 5.30 Uhr wenn meine Vermieterin unter mir ihren Kaffee zubereitet), meinen Atem etc. Das geschieht alles „gleichzeitig“. Aber dabei findet nicht immer ein gedanklicher Prozess statt, der das erfahrene in Worte fasst. Es ist eine Omnipräsenz.

    Für mich bedeutet Zazen die Haltung der Präsenz in der unmittelbaren Gegenwart ohne dabei in unbewusste gedankliche Prozesse zu fallen. (Großhirn mach Pause!) Es ist eine Art „neutrale“ Haltung, die wie du schreibst: „jenseits von Beobachtung, also ohne Verortung von "Hier und Dort". Wobei bei mir der Beobachter ja scheinbar trotzdem präsent ist als „wahrnehmendes Medium“, denn sonst hätte ich keine Erinnerung an die Begebenheiten während des Stillen Sitzens (Also die Großhirnrinde arbeitet noch). Dieses Nichtverorten von Hier und Dort würde ich als Nicht-Dort beschreiben. Denn wenn ich es als Nicht-Hier bezeichnen würde, gebe es immer noch ein Dort. Nur als Nicht-Dort wäre es ohne Verortung. Und trotzdem bin ich an diesem Ort präsent/anwesend.

    Ich möchte hier nicht den Eindruck von dauerhafter Gedankenlosigkeit erwecken. Ich erfahre lediglich Momente wo dies der Fall ist. Diese Erfahrung mache ich nicht nur während des Stillen Sitzens, sondern auch in meinem Alltag. Denn ich vertrete die Auffassung, dass die Praxis zwischen den Einheiten des Stillen Sitzens die wahre Herausforderung darstellen. Dies aber das praktische Leben ist. Und Zen nun mal praktisch angehaucht ist. „Wenn es regnet wird die Straße nass.“

    Liebe Grüße
    Toby

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  8. Danke für diese Darstellung, Toby. Ja, ich kann das nachvollziehen. Es ist angebracht, da auch nichts Großartigeres zu erwarten. Wobei die beschriebene Erfahrung wiederum schon allerhand ist.
    (Reiko, die Dir geantwortet hatte, bin übrigens nicht ich, das nur zur Sicherheit.)

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  9. Hi Toby,

    danke für deine Ausführungen :)

    Ich finde es hierbei ganz interessant, dass ich die Erfahrung von Gedankenlosigkeit auch am ehesten mit der Konzentration auf etwas Visuelles mache, wobei ich mir vorstellen könnte, dass dieser Zugang auch durch uns als "Augenwesen, die sich hauptsächlich mit den Augen orientieren", ein bereits gut trainierter ist. Gut funktioniert für mich auch die Konzentration auf ein Geräusch, z.B. das Blutrauschen im Ohr, bei Stille. Die im Zen oft empfohlene Konzentration auf den Atem war für mich mühsam und neu... Ich weiß noch, wie ich anfangs schnell eher in die Konzentration einer Vorstellung des Atems verfallen bin, als auf das Gefühl des Atmens in der Region der Bauchdecke an sich.

    Deinen Satz "Wobei bei mir der Beobachter ja scheinbar trotzdem präsent ist als „wahrnehmendes Medium“, denn sonst hätte ich keine Erinnerung an die Begebenheiten während des Stillen Sitzens (Also die Großhirnrinde arbeitet noch)." finde ich interessant, denn womöglich passiert ja auch während des Sitzens etwas ganz anderes, als man es nachher in der Erinnerung hat?

    Liebe Grüße,
    Reiko

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  10. Hi Reiko,

    Ja, das scheint wohl so zu sein. Es gibt Neurowissenschaftler, die sagen, dass es unmöglich ist die Augenorientierung komplett abzustellen. Die Augen sind anscheinend mit dem Großhirnverbunden und unterbindet man die Augenorientierung bricht das System zusammen. Also so eine Art Gehirntod. Ich hatte das mal kurz ausprobiert und mir wurde schwarz vor Augen und ich wurde auf einmal ganz schwach. So eine Art Schwächeanfall. Hatte dann das Experiment sofort abgebrochen. So wichtig war es mir dann doch nicht, zu erfahren was danach kommt. Man kann es nachlesen: Beau Lotto „Anders sehen“

    Danke, dass du dich noch mit einbringst, Reiko. Ich finde den Austausch sehr interessant.

    Liebe Grüße
    Toby

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  11. Ich finde den Austausch hier auch sehr interessant!

    Mir schwirren noch einige Ideen im Kopf herum, die ich gerne noch teilen würde, aber das passt dann vielleicht besser als Kommentar in den nächsten Beitrag über Vipassana.

    Nur soviel... mir fällt schon deutlich auf, mit welchen Worten "Shikantaza" bei zum Beispiel Yasutani beschrieben wird: "Zustand im Angesichts des Todes, Konzentration wie der Berg Fujiyama" usw. in "Die drei Pfeiler des Zen" und bei Brad Warner in oben verlinktem Beitrag eher salopp, dass man beim Sitzen halt nicht über irgendwelchen Gram nachdenken soll. Ich finde Warner hält sich da schon recht bedeckt, mit welcher Motivation bzw. Intensität er ans Sitzen herangeht (vielleicht weil er ja "Einfach-Nur-Sitzen-Nicht-Will"). Ich habe ihn allerdings auch noch auf keinem Sesshin erlebt, und womöglich ist seine Art mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren auch eher dafür da, möglichst viele Menschen für Zen zu begeistern nicht den Eindruck von Aufwand oder Selbstkonfrontation zu erwecken...

    Liebe Grüße,
    Reiko

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  12. Vielleicht für Toby und Reiko interessant mal unter "Hören auf einen Ton" Nada-Yoga, weiter zu forschen...?

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  13. Hallo Anonymous,

    Inwiefern unterscheidet sich deiner Meinung nach die Praxis des Nada-Yoga von der des Kanna-Zen?

    Gruß,
    Reiko

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