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Wie Erleuchtung das Hirn verändert, wie man sie erkennt - und wie man sie beschleunigen kann

Nun also zum brandneuen Augenöffner über die Erleuchtung: "How Enlightenment Changes Your Brain" (Hay House UK 2016). Die Autoren: Dr. Newberg forscht u. a. zu integrativer Medizin an der Thomas Jefferson Universität. Mark Waldman ist u. a. "NeuroCoach", wobei er hirnbasierte Strategien lehrt, die er aus Studien über Achtsamkeit und Bewusstseinstraining übernimmt. 
   Das momentan nur auf Englisch erhaltene Werk fasst auf gut verständliche Weise zahlreiche, in Fußnoten erwähnte Studien zusammen, die sich insbesondere mit den Veränderungen im menschlichen Hirn beschäftigen, wenn jemand sich meditativen Praktiken widmet und/oder von Erleuchtungserfahrungen berichtet. Dabei werden verschiedene Religionen berücksichtigt wie auch agnostische Zugänge zum Erwachen. Die Erkenntnisse münden in praktischen Vorschlägen, wie der Übende und sein Hirn in einen Zustand versetzt werden können, der Erleuchtung hervorrufen kann. So tragen die Autoren auf erfrischende Weise zur Entmystifizierung und Entideologisierung dieses Prozesses bei.
   Die beiden Autoren hatten bereits in ihrem Werk "Born to Believe" gezeigt, dass wir uns zwar nützliche, aber unzutreffende Vorstellungen über uns und die Welt und Wirklichkeit machten, wobei wir aber davon ausgingen, dass wir diese korrekt wahrnähmen. Einer der Autoren berichtet von seinem intensivsten Erlebnis, bei dem er selbst sich "auf einem Ozean Unendlichen Zweifels treiben sah" und schließlich herausfand, "dass die einzige Gewissheit Zweifel sei." Alles, was er tun konnte, war, sich diesem Erlebnis hinzugeben, dass die Züge dessen annahm, was von zahlreichen Menschen als Erleuchtung beschrieben wurde: eine Schwächung des Selbst, das Gefühl des Einsseins und der Verbundenheit von allem, der Hingabe bei gleichzeitiger Klarheit, dass eine tiefere Einsicht oder Weisheit, also eine neue Sicht erlangt wurde, ein sehr emotionales, außerordentlich intensives, angenehmes und erhebendes Erlebnis. Die Autoren unterscheiden in kleine "e"-Einblicke und das große "E"-Erwachen. Da sich letztlich aber jedes dieser Erlebnisse etwas von den anderen unterscheide, trüge es immer auch einen persönlichen Zug. Die kleinen Erfahrungen, häufig im Gebet und der Meditation gemacht, würden unser Wohlbefinden und unsere Kooperationsfähigkeit mit anderen sowie unsere Empathie verbessern. Die bewusste Suche nach dem großen Erwachen könne nicht nur das eigene Leiden, sondern auch das der anderen in der Welt erleichtern; dabei würde man von einer Erfahrung des Erwachens zu einem Zustand des Erwachens übergehen. Es gäbe geschlechtsspezifische Unterschiede: Während Männer eher die Welt/das Universum und das Bewusstsein in den Fokus rücken, sind es bei Frauen Liebe, Beziehungen und die Kinder. Bei beiden Geschlechtern stieg nach dem Erwachen das Interesse an spirituellen Dingen, ließ aber an religiösen Belangen etwas nach. Die Erleuchtung würde zwar als wirklicher erlebt als andere Erfahrungen, unser Leiden bzw. die Gründe dafür würden jedoch in der Folge als weniger wirklich wahrgenommen. Für diesen Weg zur Erleuchtung hätten wir Menschen eine biologische Veranlagung.
   Die Hirnscans unterscheiden sich bei diesen Erfahrungen insofern, als zunächst eine Steigerung der Aktivität in den Regionen der Frontal- und Parietallappen vonstatten geht, beim großen Erwachen jedoch eine radikale Abnahme dieser Aktivität nachweisbar ist. Diese kann von einem Menschen bewusst herbeigeführt werden, etwa mithilfe von Gedanken und Absichten, Bewegung, Tönen und der Atmung. Selbstreflektive Beobachtung und Achtsamkeit könnten das Hirn auf die Erfahrung der Erleuchtung vorbereiten, der höchsten und lebensveränderndsten Bewusstseinsstufe (nach einem sechsstufigen Modell der Autoren). Die Folgen des Erwachens seien: größere Offenheit gegenüber anderen, kein Anhaften an vergangenen Fehlern, geringere Sorge bei der Lösung anstehender Probleme, stärkeres Gefühl von Frieden, Glück und Zufriedenheit. 
   Interessant ist, dass Studien zu Franziskanernonnen und Buddhisten ergaben, sie würden ca. eine Stunde benötigen, um die neurologischen Veränderungen der "kleinen" Erweckungserlebnisse zu bewirken, während etwa "Pfingstler" ("Pentecostals"), die z. B. in Ekstase in Zungen reden, und "Schreibmedien" (siehe Psychografie) dies schneller erreichten. Die Hirnareale, die durch intensives Gebet und kontemplative Mediation angeregt würden, seien die gleichen, die für das Unterscheiden von Gut und Schlecht, Güte und Gier, Liebe und Hass zuständig seien.
   Die Autoren fassen in diesem Zusammenhang auch andere esoterisch anmutende Praktiken wissenschaftlich zusammen, so habe sich zum Beispiel gezeigt, dass Menschen, die daran glauben, dass ihnen Gebete anderer helfen, schneller gesundeten. In weiteren Untersuchungen wurde die menschliche Fähigkeit zur Vorausahnung belegt. Überraschenderweise zeigte sich tendenziell bei Empfängern von aus der Ferne gegebenem "Segen" eine erhöhte Aktivität des Thalamus. Dieser Aspekt fasziniert mich selbst, wie ich hier schon schrieb, seit ich eine statistisch sehr unwahrscheinliche Häufung von Begegnungen mit einer geliebten Frau erlebte, auf die sich meine Gedanken lange Zeit in Liebe konzentriert hatten.* Erst vor ein paar Tagen kaufte ich in einem anderen Fall einen Schutzhelm für ein Kind, und als ich abends nach Hause kam, teilte mir die Bekannte, für dessen Kind ich ihn gekauft hatte und die ein paar Hundert Kilometer von mir entfernt war, mit, dass sie just zur gleichen Zeit mit ihrem jüngsten Kind und ihrer Mutter in einen Motorradunfall verwickelt war (der glimpflich ausging). Dieses spekulative Feld unserer Wahrnehmung, das auf der einen Seite zum Wahnsinn neigt und zuweilen auf quälende Weise nutzlos bleibt, erscheint mir als eines der viel versprechendsten Forschungsgebiete der Neurologie: Wie stark können wir über Distanzen hinweg mit geliebten Menschen verbunden sein, und wie sehr können wir deren Schicksal voraussehen und dies fruchtbar machen?
   Die Autoren geben praktische Hinweise und behaupten auch, dass sowohl sich wiederholende Bewegungen oder Töne wie auch eine spezielle Haltung - so lange sie angenehm seien ! - eine günstige rituelle Praxis darstellten. Sie berücksichtigen das Shaktipat der Hindus ebenso wie das Dikr der Sufis und die Meditation auf den Sound Om. Entscheidend sei, dass das "beobachtende Selbst" in einem Teil des Hirns stattfände, das nicht mit den sorgenvollen Gedanken im rechten Frontallappen verbunden sei, aber auch nicht mit den optimistischen des linken Frontallappens. Mehr "Achtsamkeit" im Alltag bedeute auch mehr Selbstvertrauen und eine verbesserte Fähigkeit, mit emotionalen Problemen fertig zu werden. Die "neurowissenschaftliche Wahrheit" der Autoren kommt uns bekannt vor: Unsere Wahrnehmung der Dinge sei nichts als eine Illusion, die im Parietallappen entstünde und in den Sprachzentren des Frontallappens einen Namen bekäme, unsere Gedanken und Gefühle seien also nur Gebilde in unserem Geist, Erinnerungen, die aus der Vergangenheit stammten und auf die Gegenwart projiziert würden. Darum müsse das gewöhnliche Bewusstsein, das vom Frontallappen regiert würde, unterbrochen werden, damit das eigene Glaubens- und Wertesystem zusammenbrechen und ein neues entstehen kann. 

Natürlich hat zumindest einer der Autoren auch ein kostenpflichtiges Programm aus diesen Erkenntnissen entwickelt. Man muss ihm aber seine umfassende Auswertung des wissenschaftlichen Materials zugestehen, das schließlich auch viele im Lauf der letzten Jahre hier und anderswo von mir geäußerte Empfehlungen untermauert.

- Es ist angebrachter, sich in rhythmischen Bewegungsmustern der Erleuchtung zu nähern, also etwa in spirituell betriebener Kampfkunst, als im regungslosen Sitzen, und/oder die "Achtsamkeit des beobachtenden Selbst" bei Alltagstätigkeiten einzuüben.

- Es ist viel versprechender, die Erleuchtung bewusst anzustreben und zu wollen, als sich diesem Anspruch zu verweigern.

- Es gibt sichtbare Veränderungen in der Lebensperspektive und Lebensführung von Menschen, die Erleuchtung erfahren haben (oder das von sich glauben).

Dies alles erklärt m. E. auch ganz gut, warum so viele User auf buddhistischen Plattformen keine Entwicklung in ihrer Praxis durchzumachen scheinen und keine Erleuchtung erfahren (es fehlt ihnen an bewusster Zielgerichtetheit und einer angemesseneren Methode) und sich eher vor Andersdenkenden abschotten und nicht im Reinen mit sich wirken.


[* "Die Freude, jemanden wiederzufinden, dem man schon einmal begegnet ist, dem man immer wieder begegnet ist, ewiglich, in einer unendlichen Zahl früherer Inkarnationen. Glaubt man nicht daran, ist es ein Mysterium." 
Michel Houllebecq: Gestalt des letzten Ufers. Dumont 2014]


  

Kommentare

  1. Alte Einsichten neu aufgewärmt! Wer Wissenschafts gläubig ist wird das SICHER nicht billige kostenpflichtige Programm eher in Anspruch nehmen als solche die auf ihre inneren Einsichten und Wahrnehmungen bauen.

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    1. Nach meiner Kenntnis ist der Kurs auf 8 Wochen angelegt und kostet knapp 200 USD. Weniger, als die meisten "Buddhisten" so in der Eso-Szene lassen. Aber man kommt mit den Tipps im Buch schon hin, wenn man so etwas braucht.

      Wie die Leser hier wissen, bin ich grundsätzlich skeptisch, was solche Angebote angeht. Aber wie bei Paul Ekman, der seine wissenschaftlichen Erkenntnisse in Lernprogrammen anbot, kann es auf dieser Basis durchaus einen Nutzen geben. Das hat keine so schwammige Grundlage wie vieles, was im Dharma-Bereich angeboten wird und eher den Horizont einschränkt als erweitert.

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  2. Moin Meister,

    zum Buch kann ich nichts sagen, aber mittlerweile bin ich bei Studien im Allgemeinen immer erstmal skeptisch. Viele Forscher haben ordentlich Schlagseite (Bias). Das müsste man sich genauer ansehen, wofür mir momentan aber die Zeit fehlt.

    Vielleicht ist Susan Blackmore interessant für dich. Die hat das “Paranormale” erforscht, wurde dabei zur Skeptikerin und ist momentan wohl bei Zen angekommen. Da sie mir sehr sympathisch ist, hoffe ich, sie kommt noch weiter.

    Beim Begriff “Erleuchtung/Erwachen” stellen sich mir immer die Nackenhaare auf. Das suggeriert einen Dauerzustand, den es m. E. nicht gibt und aus diversen Gründen auch gar nicht geben kann. Temporäres “Erwachen” ähnelt u. a. einer durch bestimmte Drogen induzierten Bewusstseinsveränderung. Insofern stellt sich die Frage, ob das wirklich die Realität ist oder doch nur eine Illusion? Darüber macht man sich aber am besten gar keinen Kopf. Wir können uns darauf einigen, dass es ein angenehmer Zustand ist, der auch positive Nachwirkungen mit sich bringt. Aber dass man diesen dauerhaft aufrechterhalten könnte, halte ich für unmöglich. Oder bist du etwa immer “in the zone“?

    Gruß

    Beginner

    P.S.: Dass Placebos wirken können, wenn man an sie glaubt, steht außer Frage.

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    1. Danke für den Hinweis auf Blackmore. Sicher, auch Forscher haben Vorurteile. Und ich verstehe es ebenfalls so, dass Erwachen einen Richtungs- und Perspektivwechsel bedeuten kann. Das wäre dann das, was hoffentlich anhält. Des ggf. rauschhafte Erlebnis selbst hält natürlich nicht an. Wichtiger ist zu schauen, was dabei herauskommt.

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  3. Mit deinen Aussagen (Antwort) bin ich einig. Wenn Menschen durch dieses Buch/Programm Unterstützung und Klarheit dadurch erreichen, finde ich es auch eine sinnvolle "Investition".
    Glaube an..... kann bekanntlich Berge/Grenzen versetzten.

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  4. Vielleicht kann ein Glaube (Religion) nur soviel im Menschen be-wirken, wie er mit seinem inneren Wesen darauf resoniert bzw wie die Inhalte in welcher Form vermittelt werden.
    Findet man für sich (z.b in sich) das richtige Heil-Mittel, ist alles weitere keine Frage mehr von Glauben.
    Je nach Bewusstseins Zustand=Nicht-Identifizierung, haben wir wahrnehmbare und unterscheidbare, Grob-und Feinstofflichen Körper.
    Durch Praxis-Übung können diese Körper auch bewusst mit anderen Wesen kommunizieren.
    Distanzen im Zeit-Räumlichen Kontinuum sind durchlässig bzw nicht so nicht vorhanden.

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  5. Mh, danke für den Artikel.

    Ich durchlebte mit 15 Jahren diese sehr intensive Erfahrung, deren Zustand irreversibel scheint (was ein Beweis wäre, dass es ohne die Täuschung kein Erwachen gibt).

    MRT-Röhre konnte einen drückenden Tumor ausschließen. Kognitive Leistungsfähigkeit voll da. Jedoch ein anhaltender Zustand, auch bei völliger Nüchternheit. Verstand überfordert, Angst entwickelt sich. Psychiater überfordert, weil diese ja nur zwei Möglichkeiten haben: Sie können den Patienten mit ihrem 'Ich' kognitiv therapieren, was nur dann funktioniert, wenn der gespielte Intellekt des 'Therapeuten-Ichs' den Intellekt des 'Patienten-Ichs' deutlich übersteigt. Schwierig, wenn es diesen Ort im Patienten nicht gibt. Und halt Pillen.

    Wenn ich die Mathematik studiere, dann gibt es da viele Teilausschnitte, die das Hirn so wahrnehmen kann, als seien sie lösbar, oder unlösbar, oder irgendwas ganz anderes.

    Dogens Beweis zur Nicht-Singularität des Ichs über die Konstruktion multipler Ichs in der Sein-Zeit, die fälschlicherweise über die drei Zeiten als zusammenhängend verstanden, somit ich-erzeugend werden, ist dann erfrischend einfach zu verstehen und elegant.

    Und das haben wir im Westen, in unserer Wissenschaft nicht viel früher verstanden?

    Es geht letztlich nur um unser Blut im Gehirn.

    Weißheitszähne und Erleuchtung.

    Hah! Frieden.

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  6. Präziesierung zu "Je nach Bewusstseins Zustand=Nicht-Identifizierung, haben wir wahrnehmbare und unterscheidbare, Grob-und Feinstofflichen Körper."

    Natürlich existieren und wirken, kommunizeren, diese "Körper" auch ohne unser zutun oder das Wissen darüber, untereinander.
    Aber mit Übung, Bewusstheit können wir diese auch entsprechend wahrnehmen und bewusst ein setzten.

    Ich gehe davon aus, dass es verschiedene "Qualitäten" von sogenannten Erleuchtungserfsahrung gibt bzw vorübergehende und schlussendlich nie unveränderbare.

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