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Der Ultra-Man:
Weisheiten des Karatemeisters Richard Kim (1917-2001)


Es gibt vier Dinge, an denen du nichts ändern kannst: Geburt, Altern, Krankheit und Tod.

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Eine Kata (ritualisierte Bewegungsfolge im Karate) ist eine einzigarte Methode religiöser Praxis mit dem Ziel, den Schüler zu einer direkten, intuiten Erkenntnis der Wirklichkeit zu führen. Sie soll den Körper zu einem Instrument für die Verwirklichung des "Absoluten Geistes" schmieden. 

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Es gibt bei den Kampfkünsten drei Stufen, die man sen nennt. 
   1) Sen bedeutet in der Lage zu sein, jeder Attacke effektiv zu begegnen.
  2) Go no Sen bedeutet, dass das Späte zuerst kommt (atonosaki). Der legendäre Schwertkämpfer Yagyu Jubei, dessen Vater den Yagyu-Stil der Shinkage Ryu begründete, entwarf das Konzept von Go no Sen: "Ein Kampfkünstler begegnet einem Angriff, wenn er entsteht. Die Attacke wird beendet, bevor sie ausgeformt ist." Es bedeutet, den Gedanken des anderen zu erspüren und entsprechend zu reagieren. Der Gegner macht seine Bewegung geistig wie körperlich als Erster, und doch kommt deine Bewegung ihm zuvor. Darum sagt man "Spätes kommt zuerst". Dies ist die Stufe von Meistern der Kampfkunst.
   3) Sen no Sen: Hierbei hält der Kampfkünstler den Angriffsgedanken des Gegners im Enstehen an, so dass dieser an etwas anderes denkt. So gibt es keinen Angriff, nur ein gegenseitiges "aneinander vorübergehen" (ainuke). Nur die höchsten Meister der Kampfkunst und Meditation befinden sich auf dieser Stufe. Dazu muss man zunächst kensho (Einsicht in sich selbst) und eine höhere Stufe des Erwachens erlangen. Dies ist das Ziel aller wahren Meister der Kampfkunst.

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Denke nicht, fühle! Wenn du denkst, wirst du nachprüfen und anhalten, du wirst nicht zur Quelle vordringen. Die Energie wird sich in eine andere Richtung wenden. Mache nichts mit der Energie, erspüre sie einfach und folge ihr dorthin, wo sie herkommt. Wenn dir das gelingt, wirst du verstehen. Dies ist universales Wissen, nicht Schulwissen, sondern eines, das von Beginn an existierte. Du musst es nur anzapfen. Die Samurai, denen dies gelang, hatten keine Angst zu sterben.

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Meditation ist nicht wahre Meditation, wenn du mit dem Kopf denkst. Nur mit dem Kopf denken bedeutet, jegliche Emotion zu verschieben, die versucht sich auszudrücken, wenn sie aus der latenten reinen Energie in dir hervorquellt. Indem du jedoch mit dem Herzen hörst und fühlst, kannst du in dein Innerstes und zum eigentlichen Geheimnis vordringen. Nur durch dein Herz kann Mitempfinden das Verdrängen ablösen und den wahren Menschen offenbaren.

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Wie man zum Ultra-Man wird? Nicht, indem man den Ausdruck (der Energie) kontrolliert und stoppt, was nur bedeutet, ein intensiveres Gefühl zu verzögern, sondern indem man die Energie mit ihrer Quelle verbindet. Dies geschieht, indem man wie die alten Meister meditiert, also nicht durch Sitzen mit Konzentration auf den Bauchnabel, sondern durch Anwenden des Ausdruckes der Energie. Samurai nutzten dieses tiefe Geheimnis, indem sie Gefahr zum Anlass für Meditation nahmen. Sie hielten Wut für einen der stärksten und gewalttätigsten Mechanismen, mittels derer Energie ihren Ausdruck findet. Durch die Nutzung dieser Wut für die Meditation konnten die Meister zu deren Ursprung gelangen und sahen die Wut so schwinden und reine Energie aufsteigen, die ihnen Kraft gab. Man kann derart über jede Form meditieren, mit der sich Energie ausdrückt. 
   Der Energie, die die Form "weißer Hitze" annimmt, also z.B. Wut, ist am leichtesten zu folgen. Darin liegt zugleich ein Hindernis, denn der Ausdruck "Wut" ist stets befriedigender als die Meditation darüber. Es ist leichter, seine Wut auszuleben als ihr zu ihrem Ursprung zu folgen. Darum halten es viele Menschen für angenehmer, einfach nur sitzend zu meditieren.


(nach Don Warrener: 20th Century Samurai. The Philosophy and Psychology of Richard Kim. Hollywood 2006) 

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