Und hier das Beste aus dem Sutra, "das zur Schule des plötzlichen Erwachens zählt" (wie es im Kapitel 'Bodhisattva herausragender Tugend und Güte' heißt):
1) "Vollkommene (vollständige) Erleuchtung, aus der reine wahre Soheit, bodhi wie auch die paramita zum Lehren der Bodhisattvas entstehen."
(Kapitel Bodhisattva Manjushri)
Erst kommt das Erwachen, dann Weisheit und Tugend, wie in diesem Blog desöfteren betont.
2) "Wer die vollkommene Erleuchtung ... praktiziert, erkennt, dass Geburt und Auslöschung wie eingebildete Blumen am Himmel sind. Darum gibt es kein Kontinuum von Geburt und Tod und keinen Körper wie auch keinen Geist, die Tod und Geburt unterworfen wären." (dito)
Nichts und niemand geht von Leben zu Tod zu Leben, es gibt nach diesem Verständnis des Mahayana keine Reinkarnation.
3) "Tatsächlich gibt es weder Bodhisattvas noch fühlende Wesen, denn es handelt sich dabei um illusionäre Projektionen. Wird man diese los, dann existiert niemand mehr, der etwas erlangt oder verwirklicht."
(Kapitel Bodhisattva der Reinen Weisheit)
Der Übende muss sich nicht künstlich (oder äusserlich) von anderen unterscheiden, durch Roben usf.
4) "Wenn die Täuschungen des Geistes erstehen, müssen sie nicht gezielt ausgelöscht werden. Inmitten irriger Konzepte, macht keine Unterschiede. Und in dieser Nicht-Unterscheidung unterscheidet auch nicht die wahre Wirklichkeit." (dito)
Es ist völlig in Ordnung, in Geistesaufruhr zu geraten, wenn man dazu die rechte Einstellung gewinnt, sich also nicht zum Anhaften an bestimmte Ideen und Gefühle verleiten lässt.
5) "Beim Erwachen jenseits aller Spuren eines Selbst oder einer Person kann man sich nicht bewusst sein, etwas Besonderes erlangt zu haben; dies wäre ein Zeichen des gewöhnlichen Menschen. (...)
Es ist die Idee, dass es da einen gibt, der in die Erleuchtung eintritt, die eben diese verhindert."
(Kapitel Bodhisattva, der von allen karmischen Hindernissen befreit ist)
Erwachen ist also etwas Stinknormales.
6) "Vollständiges Erwachen wird weder durch Scharfsinn ... noch durch das Annehmen der Dinge, wie sie sind ... noch durch das Anhalten der Gedanken ... noch durch Auslöschung erlangt."
(Kapitel Bodhisattva der universalen Erleuchtung)
Weder Stoizismus noch angestrengtes Nachdenken, aber auch nicht der Versuch, das Denken auszuschalten oder Nihilismus bedeuten Erleuchtung.
7) "Sich von Illusionen zu trennen bedeutet erwacht zu sein. Dazu gelangt man nicht stufenweise!"
(Kapitel Bodhisattva Samantabhadra)
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In einem Beitrag vor einigen Wochen hatte ich Sheng Yen kritisiert. Wie so viele Lehrer kann er sich allerdings auf die Schriften berufen. Mein eigentlicher Vorwurf bezieht sich auf das Stehenlassen von unnötigen Widersprüchen in alten Texten, statt diese auf ihre Brauchbarkeit im heutigen Alltag und bei der buddhistischen Übung zu entschlacken. Die Verwirrung, die ein solcher Buchstabenglaube bei Schülern hervorruft, ist nicht selten Ausdruck einer Verwirrung des Lehrers selbst, oder doch zumindest seiner Unfähigkeit, der Buddhalehre einen eigenen Geschmack zu verleihen. In der Sutra der Vollkommenen Erleuchtung finden sich tatsächlich auch diese Stellen:
"Auch wenn ein Lehrer weltichen Kummer manifestiert, ist sein Geist stets rein. Selbst wenn er Missetaten begeht, lobt er die Übung der Reinheit und führt die fühlenden Wesen nicht zu undiszipliniertem Verhalten. Wenn die Wesen einen solchen Lehrer aufsuchen, werden sie die unübertroffene vollkommene Erleuchtung erlangen. Wenn sie Im Zeitalter des Schwindenden Dharmas einen solchen Lehrer treffen, sollten sie ihm selbst unter Aufgabe ihres Lebens Opfer darbringen, ganz zu schweigen von der Aufgabe von Nahrung, Besitz, Ehepartner, Kindern und Gefolge. Selbst wenn er Missetaten begeht ..."
(Kapitel Bodhisattva der Universalen Erleuchtung)
Man wird den Eindruck nicht los, dass sich hier schon früh buddhistische Scharlatane gegen die Ablehnung durch den gesunden Menschenverstand schützen wollten. Die Frage lautet doch schlicht, ob jemand, der selbst umsetzt, wovon er spricht, nicht überzeugender und reifer ist als einer, der diese beiden Dinge nicht in Harmonie bringt.
Auch für die körperfremde Seite des Buddhismus finden sich in der Sutra Belege. "Wenn fühlende Wesen von Geburt und Tod befreit werden und die zyklische Existenz meiden wollen, sollten sie zunächst Sehnsucht und Begierde abschneiden und ihre anhängliche Liebe auslöschen." (Kapitel Bodhisattva Maitreya) Wollen wir wirklich in einer solchen Welt leben?
Die sinnenfeindliche Einstellung ist natürlich Teil einer Umkehrung des oben Zitierten, wenn es im Kapitel Bodhisattva der Universalen Sicht - ganz klassisch - heisst: "Zunächst sollten sich die Menschen auf die Samatha-Übung der Tathagatas verlassen und strikt die Regeln (Gebote) einhalten. Sie sollten friedvoll in einer Versammlung von Übenden weilen und in einem stillen Raum in Meditation sitzen."
Obgleich sich ein genauerer Blick auf die in der Sutra genannten Meditationsmethoden lohnt und später hier im Blog nachgeholt wird, werde ich nicht müde zu betonen, dass es regelmässig nicht das Einhalten von Regeln ist, das die Menschen zu entscheidender Erkenntnis bringt. Es war nicht einmal in der Lage, das Leben der Menschen untereinander angenehmer zu machen. Der kanadische Psychologe Steven Pinker hat in seinem Werk "Gewalt" aufgezeigt, dass diese im Laufe der Menschheitsgeschichte zwar auch abnahm, weil ein staatliches Gewaltmonopol in Verbindung mit einem verbindlichen Regelwerk entstand, zugleich waren jedoch die Folgen der Aufklärung, verbunden mit der Verbreitung von Literatur und Wissen (und einer Zunahme der A-Religiosität) Voraussetzung für das empathische Hineinversetzen in den anderen. Es ist letztlich nicht altüberkommenes, sondern modernes Wissen, das den Menschen zur Einsicht und Besserung bringt - die Erweiterung des eigenen Horizontes.
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In einem Beitrag vor einigen Wochen hatte ich Sheng Yen kritisiert. Wie so viele Lehrer kann er sich allerdings auf die Schriften berufen. Mein eigentlicher Vorwurf bezieht sich auf das Stehenlassen von unnötigen Widersprüchen in alten Texten, statt diese auf ihre Brauchbarkeit im heutigen Alltag und bei der buddhistischen Übung zu entschlacken. Die Verwirrung, die ein solcher Buchstabenglaube bei Schülern hervorruft, ist nicht selten Ausdruck einer Verwirrung des Lehrers selbst, oder doch zumindest seiner Unfähigkeit, der Buddhalehre einen eigenen Geschmack zu verleihen. In der Sutra der Vollkommenen Erleuchtung finden sich tatsächlich auch diese Stellen:
"Auch wenn ein Lehrer weltichen Kummer manifestiert, ist sein Geist stets rein. Selbst wenn er Missetaten begeht, lobt er die Übung der Reinheit und führt die fühlenden Wesen nicht zu undiszipliniertem Verhalten. Wenn die Wesen einen solchen Lehrer aufsuchen, werden sie die unübertroffene vollkommene Erleuchtung erlangen. Wenn sie Im Zeitalter des Schwindenden Dharmas einen solchen Lehrer treffen, sollten sie ihm selbst unter Aufgabe ihres Lebens Opfer darbringen, ganz zu schweigen von der Aufgabe von Nahrung, Besitz, Ehepartner, Kindern und Gefolge. Selbst wenn er Missetaten begeht ..."
(Kapitel Bodhisattva der Universalen Erleuchtung)
Man wird den Eindruck nicht los, dass sich hier schon früh buddhistische Scharlatane gegen die Ablehnung durch den gesunden Menschenverstand schützen wollten. Die Frage lautet doch schlicht, ob jemand, der selbst umsetzt, wovon er spricht, nicht überzeugender und reifer ist als einer, der diese beiden Dinge nicht in Harmonie bringt.
Auch für die körperfremde Seite des Buddhismus finden sich in der Sutra Belege. "Wenn fühlende Wesen von Geburt und Tod befreit werden und die zyklische Existenz meiden wollen, sollten sie zunächst Sehnsucht und Begierde abschneiden und ihre anhängliche Liebe auslöschen." (Kapitel Bodhisattva Maitreya) Wollen wir wirklich in einer solchen Welt leben?
Die sinnenfeindliche Einstellung ist natürlich Teil einer Umkehrung des oben Zitierten, wenn es im Kapitel Bodhisattva der Universalen Sicht - ganz klassisch - heisst: "Zunächst sollten sich die Menschen auf die Samatha-Übung der Tathagatas verlassen und strikt die Regeln (Gebote) einhalten. Sie sollten friedvoll in einer Versammlung von Übenden weilen und in einem stillen Raum in Meditation sitzen."
Obgleich sich ein genauerer Blick auf die in der Sutra genannten Meditationsmethoden lohnt und später hier im Blog nachgeholt wird, werde ich nicht müde zu betonen, dass es regelmässig nicht das Einhalten von Regeln ist, das die Menschen zu entscheidender Erkenntnis bringt. Es war nicht einmal in der Lage, das Leben der Menschen untereinander angenehmer zu machen. Der kanadische Psychologe Steven Pinker hat in seinem Werk "Gewalt" aufgezeigt, dass diese im Laufe der Menschheitsgeschichte zwar auch abnahm, weil ein staatliches Gewaltmonopol in Verbindung mit einem verbindlichen Regelwerk entstand, zugleich waren jedoch die Folgen der Aufklärung, verbunden mit der Verbreitung von Literatur und Wissen (und einer Zunahme der A-Religiosität) Voraussetzung für das empathische Hineinversetzen in den anderen. Es ist letztlich nicht altüberkommenes, sondern modernes Wissen, das den Menschen zur Einsicht und Besserung bringt - die Erweiterung des eigenen Horizontes.
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