Vorwort
Ozaki Hôsai (1885–1926) war ein viel versprechender japanischer Dichter, der aber nur einen posthum veröffentlichten Band Haiku mit gut 500 Gedichten und sechs kurzen Prosastücken hinterließ: Taiku 大空 („Weiter Himmel“). Er studierte zunächst Jura (nach einer anderen Quelle: Politikwissenschaft), arbeitete dann in leitender Position bei einer Versicherung. Sein Alkoholismus verhinderte jedoch eine Karriere. 1922 wechselte er zu einer Firma in Korea, begab sich aber bald schon auf Wanderschaft durch Nordchina, wo er an Brustfellentzündung erkrankte. Nach seiner Rückkehr in die Heimat Japan gab er all seinen Besitz auf und verließ seine Frau, um sich der Gemeinschaft Ittôen anzuschließen, deren Mitglieder sich – an den Zen-Buddhismus anlehnend – im Geist des Dienens schulen und vor allem für die Reinigungen von Toiletten Fremder bekannt wurden. Als Wandermönch war Ozaki Tempeldiener im Chio-in, Fukushô-ji und Jôkô-ji, ehe er sich auf der Insel Shôdo niederließ, wo man ihm die Klause Minango-an des Tempels Saiko-ji anvertraute. Dort starb er an Tuberkulose.
Schon in der Hochschule von seinem Dichterfreund Ogiwara Seisensui beeinflusst, gab er alle traditionellen Regeln des Haiku auf und entschied sich für „freie Verse“. Während der Freund damit vor allem gegen die herrschende Ordnung protestierte, ging es Ozaki wohl mehr um den Ausdruck seines freien Zen-Geistes.
Es wird vermutet, dass die Einsamkeit, die aus vielen von Ozakis Versen spricht, ihre Ursache auch darin hat, dass man ihm die Heirat mit einer Cousine verweigerte. Seine Haiku sind überwiegend schlichte Momentaufnahmen des Alltags, die von Melancholie und einem leisen Humor getragen werden. Äußere Anlässe führen hierbei oft zur Introspektion.
Üblicherweise sind japanische Haiku in einer Zeile angelegt und folgen dem Muster der Silbenanzahl 5-7-5, was im Deutschen gemeinhin in drei Zeilen wiedergegeben wird. Wir folgen hier der einzeiligen englischen Vorlage von Hiroaki Sato und gehen weit sparsamer als üblich mit Satzzeichen um.
Abbildungen und Cover: © Rica Ojara (http://ojara.net)
http://www.ojara.sakura.ne.jp/art/index_e.html
***
Im Suma-Tempel, Hyôgo (1924–25)
一日物云はず蝶の影さす
Den ganzen Tag hab ich kein Wort gesprochen, ein Schmetterling wirft Schatten
友を送りて雨風に追はれてもどる
Brachte einen Freund nach Hause, wurde von Regen und Wind zurückgetrieben
雨の日は御灯ともし一人居る
An einem Regentag zünde ich heilige Kerzen an und bleibe allein
なぎさふりかへる我が足跡も無く
Ich schaue zum Meeresufer zurück, nicht eine Fußspur ist geblieben
静もれる森の中をののける此の一葉
In einem stillen Wald dieses eine Blatt verängstigt
井戸の暗さにわが顔を見出す
In der Dunkelheit eines Brunnens finde ich mein Gesicht
沈黙の池に亀一つ浮き上る
In einem stillen Teich treibt eine Schildkröte an die Oberfläche
鐘ついて去る鐘の余韻の中
Ich läute die Glocke und gehe in ihrem Nachhall fort
赤いたすきをかけて台所がせまい
Mit einem roten Band binde ich mir die Kimono-Ärmel hoch, die Küche ist eng
昼寝起きればつかれた物のかげばかり
Ich erwache aus einem Nickerchen, nur die Schatten ermüdeter Dinge
げつそり痩せて竹の葉をはらつてゐる
Nur Haut und Knochen, fege ich Bambusblätter weg
何も忘れた気で夏帽かぶつて
Mit dem Tragen eines Sommerhuts vortäuschen alles zu vergessen
ねむの花の昼すぎの釣鐘重たし
Akazien hängen nach Mittag schwer wie Tempelglocken
日まはり大きくまはりここは満州
Sonnenblumen folgen in großem Bogen der Sonne, hier in der Mandschurei
佛飯ほの白く蚊がなき寄るばかり
Buddhas Reis leicht weiß, nur Mücken kommen bettelnd herbei
父子(おやこ)で住んで言葉少なく朝顔が咲いて
Vater und Sohn leben mit wenigen Worten zusammen, Prunkwinden blühen
蛇が殺されて居る炎天をまたいで通る
Eine getötete Schlange liegt unter brütendem Himmel, ich laufe drüber
ほのかなる草花の匂を嗅ぎ出さうとする
Ich versuche den schwachen Geruch einer Wildblume zu erhaschen
茄子もいできてぎしぎし洗う
Breche Auberginen ab, komme zurück und wasche sie knirschend ab
いつ迄も忘れられた儘で黒い蝙蝠傘
Bis wann vergessen ein schwarzer Regenschirm
蛙の子がふえたこと地べたのぬくとさ
Wie die Froschkinder gewachsen sind, die Wärme des Bodens
何かしら児等は山から木の実見つけてくる
Irgendwie finden die Kinder Nüsse und bringen sie von den Bergen zurück
乞食の児が銀杏の実を袋からなんぼでも出す
Ein Bettlerkind holt Gingko-Nüsse aus seiner Tasche, ganz viele
もやの中水音逢ひに行くなり
Hinten im Nebel der Klang von Wasser, da geh ich hin
古き家のひと間灯されて客となり居る
Ein Zimmer des alten Hauses erleuchtet, bin ich zu einem Gast geworden
夕べひよいと出た一本足の雀よ
Am Abend ist er plötzlich draußen der einbeinige Spatz
たばこが消えて居る淋しさをなげすてる
Die Zigarette ist tot, ich werfe die Einsamkeit fort
蚊帳の釣手を高くして僧と二人寝る
Das Moskitonetz eingehakt, schlafen ein Mönch und ich beieinander
蟻を殺す殺すつぎから出てくる
Während ich Ameisen töte kommen noch mehr heraus
雨の幾日かつづき雀と見てゐる
Es regnet seit Tagen die Spatzen und ich schauen zu
すでにあかつき佛前に米こぼれあり
Schon dämmert der Morgen, vor dem Buddha-Altar verschütteter Reis
血がにじむ手で泳ぎ出た草原
Mit blutenden Händen schwamm ich aus der Wiese heraus
昼の蚊たたいて古新聞よんで
Mücken bei ihrem Mittagsschlaf erschlagend, lese ich alte Zeitungen
人をそしる心をすて豆の皮むく
Verleumdung lehne ich ab und schäle Bohnen
はかなさは燈明の油が煮える
Vergänglichkeit, das Öl der heiligen Lampe kocht
苅田で烏の顔をまぢかに見た
In einem abgeernteten Reisfeld sah ich ganz nah ein Krähengesicht
傘さしかけて心寄り添へる
Meinen Schirm anbietend rückt mein Herz näher
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Das Sichten und Freischalten der Kommentare kann dauern.