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Daikaku alias Lan-chi Tao-lung (1213-1279): Die ganze Welt ist dein eigenes Selbst

Daikaku (Lan-ch’i Tao-lung, 1213-1279) war einer der Meister, die im 13. Jh. von China nach Japan reisten. Er übte u.a. unter Enni Bennens Lehrer Wu-chun. In Kioto wurde er zum Abt des Kencho-ji.

Wenn bei der Meditation die Gedanken in Aufruhr sind, suche genau mit diesem aufgewühlten Geist nach dessen Ursprung, und frage dich, wer sich seiner bewusst ist. Treibe die Suche nach dem Ort, an dem die Störung entstand, immer weiter, dann wirst du herausfinden, dass sie gar keinen Ort hat und derjenige, der sich ihrer bewusst ist, ebenfalls leer ist. Dies nennt man: die Suche umkehren.

Zen-Praxis bedeutet nicht, konzeptuelle Unterschiede zu klären, sondern die eigenen vorgefassten Ansichten wie auch heilige Texte aufzugeben und durch die Schichten zu dringen, die die dahinterliegende Quelle des Selbst bedecken. Alle Heiligen haben sich nach innen gewendet und im Selbst gesucht, und so haben sie ihre Zweifel überwunden. Sich nach innen wenden heißt, rund um die Uhr und in jeder Situation die Schichten zu durchdringen, die das Selbst bedecken, und tiefer und tiefer zu einem Ort vorzudringen, den man nicht beschreiben kann. Wenn das Denken an ein Ende kommt und die Unterschiede schwinden, wenn falsche Ansichten von selbst vergehen, ohne dass dies erzwungen werden müsste, wenn der wahre Impuls und das wahre Handeln aus sich selbst erscheinen, ohne dass man danach gesucht hätte – dann erkennt man die Wahrheit des Herzens.

Wenn die täuschenden Gedanken schwer drücken, solltest du einen Koan-Spruch aufgreifen, z. B. untersuchen, woher das Leben kommt. Stelle dir immer wieder diese Frage. Ein alter Meister sagte: ‚Wenn du das Leben noch nicht kennst, wie willst du da den Tod kennen?‘ Wenn du das Leben aber kennst, wirst du auch den Tod verstehen und nicht mehr von Leben-und-Tod kontrolliert sein.

Einen Ton hören und ihn einfach als Ton nehmen. Eine Form sehen und sie einfach als Form annehmen. Wie man das Licht zurückwendet und die Sicht kontrolliert, und wie man das Hören nach innen wendet – das sind die Dinge, die nicht verstanden werden. Wenn du den ganzen Tag Töne hörst, finde heraus, ob sie in die Windungen deines Gehörs kommen oder ob das Gehör zum Ort der Töne geht. Wenn die Töne zum Ohr kommen, dann gibt es keine Spur ihres Kommens; wenn das Gehör zu den Tönen geht, dann gibt es keine Spur seines Gehens. Ein Zen-Übender sollte dies sorgsam in der Stille erwägen. Im stillen Untersuchen wende mit großem Mut das Hören zurück, bis es an ein Ende kommt, und reinige Achtsamkeit, bis Achtsamkeit leer ist. Dann wirst du eine Wahrnehmung der Dinge erlangen, die unmittelbar und ohne Wertung ist, und selbst in einem Meer von Tönen und Formen wirst du nicht davongespült, sondern sogar in einem Stadium der Dunkelheit und Verwirrung noch einen Weg finden. Dann wird man dich einen Menschen von großer Freiheit nennen, einen, der es erlangt hat.

Ob du gehst, stehst, sitzt oder liegst, die ganze Welt ist dein eigenes Selbst. Du musst herausfinden, ob Berge, Flüsse, Gräser und Wälder in deinem eigenen Geist oder außerhalb existieren. Zerlege die zehntausend Dinge in kleinste Teile, so dass du am Ende zum Grenzenlosen gelangst, wo das Denken nicht weitergeht und die Unterscheidungen verschwinden. Wenn du die Zitadelle des Zweifels zertrümmert hast, ist der Buddha einfach du selbst.

Die wahre Natur ist ewig und unwandelbar, sie ist in Buddhas und anderen Lebewesen dieselbe. Die Worte der Patriarchen sind nur ein Ziegel, mit dem man ans Tor klopft. Vor dem Eintreten ist ‚die Buddha-Natur sehen‘ das letztgültige Wort, doch nach dem Eintreten kümmern einen die Formen nicht und ‚Buddha‘ hat keine Bedeutung mehr.

Wenn nach Jahren solcher Übung die Zeit reif ist, wirst du in ein unwiderstehliches großes Lachen ausbrechen, und dein Geist wird so weit sein wie der alles umfassende große Himmel. So ausgestattet, wirst du unbegrenzte Mittel besitzen, anderen Wesen zu helfen, und überall Gelegenheiten für kreatives Handeln finden. Dies nennt man das Tor der großen Befreiung, den Schatz des großen Lichtes. Dies kann man zurecht als Zustand der Leere bezeichnen. Hier kann man Buddhas und Patriarchen gleichermaßen loben wie verspotten.

Die beiden Ohren hören Töne, und wie das geschieht, ist genau Erwachen; die beiden Augen sehen Form, und das Herz ist plötzlich Licht. Mögest du zu dem Zustand zurückkehren, wo es noch keine Töne und keine Form gab.

Wenn du nach dem Weg der Buddhas und Patriarchen suchst, verändert sich dieser plötzlich in etwas, was du in dir selbst suchen musst. Wenn Sicht zu Nicht-Sicht wird, besitzt du das Juwel, bist aber noch nicht vollständig durchgedrungen. Eines Tages wird alles leerer Raum sein, ohne Innen und Außen oder Oben und Unten. Dann bist du dir des Prinzips (ri) bewusst, dass alle Dinge durchdringt. Dein Herz wird weit und unermesslich. Ein Meister sagte: „Himmel, Erde und ich sind von einer Wurzel, die zehntausend Dinge und ich sind ein Körper.‘

Alle Erwachten, die dieses Prinzip verwirklichen, stellen fest, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur Traumgebilde sind. Reichtum, Rang, Ruhm sind eine Illusion, genau wie schöne Stimmen und harmonische Gestalten. Auch Freude und Trauer, Wut und Zufriedenheit sind nur Illusionen. Doch in all dem ist etwas, was keine Illusion ist. Wenn selbst die Universen zerfallen, wie können sie zerfallen? Was keine Illusion ist, gilt als wahres Dasein des Menschen. Gehe jeden Tag in dich, und im Lauf der Zeit wird sich das, was keine Illusion ist, von selbst vor dir offenbaren. Danach wird, wo auch immer du hinblickst, Shakyamuni sein.

Diese Verwirklichung macht jeden Ort zu einem Tempel. Du erkennst nun, dass das, was schon immer vor dir lag, die zehntausend Richtungen erfüllt. Es ist aber nicht so, dass du gewöhnliche Gefühle durch heilige ersetzt, sondern beides existiert nicht mehr. Es ist, als würde ein Diamantstößel einen Eisenberg zermahlen. Sei dir dessen in Bewegung wie Stille bewusst, und wenn plötzlich beide vergehen, wird der weite blaue Ozean mit einem Schluck ausgetrocknet.

 

(Siehe u.a. Leggett: Zen and the Ways. Rutland 1987)

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