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Saikontan/Caigentan: Weisheiten eines Vegetariers (I)


Hong Zicheng (auch Hung Ying-ming, 1572-1620) war ein chinesischer Philosoph, der in den vorliegenden, teils poetischen Aphorismen die Lehren von Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus zusammenbrachte. Der Titel Caigentan bedeutet wörtlich „Gemüsewurzel-gespräche“ und verweist zum einen auf den einfachen Lebensstil seines Autors, zum anderen vergleicht er die menschliche Moral mit der von Pflanzen. Neben diesem Werk, das 1590 entstand, verfasste er u. a. das Xianfo qizong, in dem Geschichten von Taoisten und Zen-Patriarchen gesammelt sind.

Es wird vermutet, dass Hong Zicheng einst im Staatsdienst stand und später als Einsiedler lebte. Jedoch ermutigt er die Leser gerade zum Leben in der Gesellschaft, während er zugleich die Natur verehrt und durch Analogien mit dem menschlichen Schicksal verknüpft. 

Yaichiro Isobe, dessen englische Übersetzung ich heranzog (und durch die Übernahme ihres Untertitels ehrte), schrieb in seiner Einleitung 1925 (!): „Das Buch ist, denke ich, höchst empfehlenswert für den heutigen Japaner. Während des letzten halben Jahrhunderts hat die materialistische Zivilisation das Land im Sturm erobert. In der Folge wurden Jung und Alt von einem unstillbaren Durst nach weltlichem Erfolg befallen; einige wollten Reichtum erwerben, andere Macht. Der verrückte Ansturm auf diese Ziele ließ ihnen kaum Zeit für die Kultivierung ihres moralischen Charakters und eines verfeinerten Geschmacks, wie sie unser Leben verzieren. Ein Buch wie dieses mag ihr Fieber beruhigen und eine Alternative zu ihrem allzu geschäftigen Leben aufzeigen.“

Diese Hoffnung darf man noch heute hegen, nicht nur in Japan.

 

*** 
 
Wer die Tugend pflegt und nicht vom rechten Weg abweicht, bleibt während seines Lebens unbekannt, während diejenigen, die sich bei den Mächtigen einschleimen, nach ihrem Tod in ewige Vergessenheit geraten. Ein Weiser steht über den irdischen Dingen und sehnt sich nach dem Ewigen.


Wer nicht viel vom Leben gesehen hat, ist relativ frei von den Makeln der Laster, während die Erfahrenen gerissen und raffiniert sind. Die Tugendhaften sollten daher besser einfach und ungekünstelt sein als klug und gewandt, eher arglos und exzentrisch als gelehrt und förmlich.


Der Geist eines Tugendhaften sollte blau wie der Himmel und klar wie das Tageslicht sein und vor anderen nie verborgen werden. Seine Talente jedoch sollten, gleich einem verborgenen Schatz, unsichtbar bleiben.


Derjenige ist von edlem Charakter, der sich nicht um Macht, Ruf, Reichtum und Gepränge kümmert. Doch wer sie genießt, ohne ihrem verderblichen Einfluss zu erliegen, der kann als noch edler gelten. Ebenso ist der von erhabenem Charakter, der nicht weiß, wie er andere betrügen kann; aber derjenige, der diese Kunst beherrscht, ohne je von ihr Gebrauch zu machen, ist noch erhabener.


Auch wenn du oft etwas Unerfreuliches oder Beleidigendes hören magst, sorge dich nicht und siehe es als einen Wetzstein, an dem du deine Tugend schleifen kannst. Wenn dir nur Schmeicheleien zu Ohren kämen und alles, was du tust, befriedigend verliefe, dann wäre dein Leben vergiftet.


In stürmischem Wetter fühlen sich sogar die Vögel traurig und melancholisch. An einem schönen Tag glitzern die Blätter in der Sonne und die Pflanzen wirken glücklich und zufrieden. Die Natur kommt also keinen Tag ohne Frieden aus, und so sollte auch der Mensch in der Welt sich ein fröhliches Herz zulegen.


Ein schweres Mahl aus Wein und Fleisch und allem, was besonders bitter oder süß ist, kann nicht als Leckerbissen gelten. Wirklich Köstliches ist von leichtem und einfachem Geschmack. Gleichfalls zeichnet einen wahren Menschen nichts Außergewöhnliches aus, er ist so gewöhnlich in seinen Alltagshandlungen, dass man ihn kaum von anderen Menschen unterscheiden kann.


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