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Meister Bo: Weil es Zen macht!


In diesem Buch werden zuerst die üblichen buddhistischen Dogmen (Vier Edle Wahrheiten, Achtfacher Pfad, Sitzemeditation usw.) als unzulänglich vom Tisch gewischt. Im Hauptteil erläutern Bezüge zum Alltagsleben die Bedeutung alter und poetischer Zen-Weisheiten aus dem Zenrin kushû, die traditionell als Antworten auf Kôan gelten. Leser/innen werden angeregt, ihr eigenes Leben unmittelbar und ohne rituelle Umwege von Zen bereichern zu lassen.
 
Meister Bo: Weil es Zen macht! Glücklich leben ohne Buddhismus.
116 Seiten. Taschenbuch. 10 €. ISBN: 9783753499505.
 

[Der folgende Text wurde von mir nicht ins Buch aufgenommen, ist also nicht lektoriert; er verwendet vergleichsweise viele Redewendungen aus dem Zenrin kushû. Seine Botschaft ist heikel und bedarf sicher der Diskussion. Sie verbindet die Philosophie des Zen mit derjenigen der Kampfkunst. Der passende Spruch für diese im Nachhinein berichtete Geschichte eines „Versagens“ könnte lauten: „Den Bogen spannen, nachdem der Einbrecher fort ist.“ (Zoku sugite nochi yumi o haru.)]

***

Alles ist wahr, so wie es ist. Warum es lieben, warum es hassen?  

(Shohô jissô, nanzo itowan, nanzo nikuman.)

Ich habe mir fest vorgenommen, keins der üblichen Zen-Bücher zu schreiben, wo ich Ihnen erkläre, in welcher Haltung Sie zu meditieren haben, welche Regeln und welche Gelübde zu befolgen seien und was als ausgemachter Konsens zu gelten habe. Ich will Ihnen auch nicht unterschlagen, wenn ich mit manchen treffend klingenden Weisheiten so meine Probleme habe. Die obige ist ein Beispiel. Alles ist wahr (Realität), so wie es ist. Aber wie ist es denn? Wie sieht die Realität aus? Ist sie nicht oft gar hassenswert? Kann ein leidvoller Zustand nicht eher behoben werden, indem man ihm nicht in (angeblich) heilsamer Neutralität begegnet, sondern – ohne seine Gefühle zu leugnen – das eigene Potential dafür einsetzt, ihn konsequent zu beseitigen?

In meiner Jugend, ja noch in meinen Zwanzigern, habe ich gerne mal Kleidung und Bücher einer Hilfsorganisation geschenkt, die Läden betreibt, um diese Sachspenden zu Geld zu machen. Dann kamen mir Dokumente unter die Augen, die belegten, dass diese Organisation mit einem der übelsten Diktatoren in einem südostasiatischen Land Kompromisse eingegangen war, um dort präsent sein zu können. Unter anderem waren von ihm große Reisspenden während einer Hungersnot abgezweigt worden, mit denen er wahrscheinlich begann, sein Geflecht aus getreuen Militärangehörigen und Beamten aufzubauen. „Ein Laufbursche, der im Dorf eine Flasche Wein besorgt, wird daheim, in Schale geworfen, zum Premierminister.“ (Mizukara hei o tazusae satte sonshu o kai, kaette san o tsuke kitatte shujin to naru.) Eigentlich steht da „Meister“, nicht Premierminister. Aber Sie verstehen schon. Unsere Taten haben Folgen. Sie können weitreichende Folgen haben. Ich unterstütze diese Hilfsorganisation nicht mehr. Ich rate, solche Umwege zu vermeiden und Menschen, die man persönlich kennt und die Hilfe brauchen, auf direktem Weg zu unterstützen.

Setz dich, bitte, und trink einen Tee.“ (Shaza kissa.) Nun wird es ernst. Als ich über eine große Einkaufsmeile schlenderte, sah ich plötzlich in meiner Heimatstadt einen Mann, der diesem Premierminister aufs Haar glich. In seiner Nähe befanden sich zwei weitere Männer in Anzügen mit Krawatte, die seine Leibwächter hätten sein können. Offenbar hatte gerade jemand einen Scherz gemacht, sie wirkten gut gelaunt – und etwas unaufmerksam. „Töten oder Beleben liegt in diesen Händen.“ (Sekkatsu shuri no ari.) So durchfuhr es mich. „Schlag ihn richtig, oder du wirst totgeschlagen.“ (Kore hito o tasetsu sezumba, hito ni tasetsu seraren koto jô seri.) Ich war nah an ihm dran, ich hätte ihn mit meinen bloßen Händen, mit einem gezielten Schlag, auch wenn ich selbst danach sicher …*

„Selbst und andere sind nicht zwei – das illusorische Du und Ich.“ (Jita funi, ayamatte ninga o shôzu.) Ich würde lügen, wenn ich behauptete, diese Weisheit enthielte alles. Vielleicht war es eine Illusion, dass es sich bei diesem Mann um einen üblen Diktator handelte. Vielleicht eine verpasste Chance, das Schicksal eines von mir geliebten Volkes zu verändern.

„In der Nische liegt ein langes Schwert. In der Vase steht ein Pflaumenblütenzweig.“ (Shotô sanjaku no ken; Heiri isshi no ume.) Die Welt, die ich erfahre, macht es nötig, sinnbildlich auch ein Schwert zur Hand zu haben und in der Lage zu sein, das unerträglich Üble zu zerschmettern.

In einer südostasiatischen Stadt, in der ich etliche Jahre verbrachte, begegnete ich am Strand einem US-Amerikaner, der sich ganz bewusst durch Alkohol und Zigaretten ruinierte. Es fiel mir etwas schwer, mich länger mit ihm zu unterhalten, weil ich als Asthmatiker allergisch auf Zigarettenrauch reagiere und wie viele Betroffene den Eindruck habe, dieser zöge auch im Freien stets in Richtung meiner Nase, egal, wo ich mich hinsetze. Der Mann war mir so sympathisch, dass ich es ertrug. Wir sprachen angeregt über alte und neuere Filme und Regisseure. Eines Tages sagte er mir, er habe am Strand geschlafen, da er den Schlüssel zu seinem Zimmer verloren hatte. Das blieb eine Weile so, und zu meinem Erstaunen brachte ihm täglich eine Einheimische Essen, weil – wie er meinte – einem Alten wie ihm eben Respekt entgegengebracht würde. Schließlich griff ihn aber die Polizei auf und stellte fest, dass sein Visum seit Jahren abgelaufen war. Die fällige Gefängnisstrafe blieb ihm wohl nur erspart, weil er mit einer Thailänderin einen erwachsenen Sohn hatte, der inzwischen sogar Mönch geworden war. Mein Filmfreund kam zur Deportation nach Bangkok, wo ich ihn besuchte. Seine Schwester würde das Geld für den Rückflug schicken, so dass er im Auslieferungsgefängnis nicht versauern musste. Bei unseren Gesprächen hatten wir eine andere Gemeinsamkeit festgestellt, die Abneigung gegen den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger, dessen lange Liste von selbstherrlichen und grausamen Maßnahmen in Südamerika, Osttimor und Südostasien ich gut genug kannte. Während Kissinger in einigen Ländern die Verhaftung drohte, war er in Deutschland noch immer ein gern gesehener Gast. Mein Filmfreund sagte zum Abschied: „Wenn ich noch erlebe, dass er vor mir stirbt, werde ich feiern.“ Ich erwiderte: „Wo auch immer ich bin, ich werde das Glas heben und dir zuprosten.“

„Vorher lehrte er das Einssein, nun den Unterschied.“ (Zentô ni wa ittai to toki; Shari ni wa fudô to toku.) Verstehen und fühlen Sie, warum?„Es ist leicht, Nirwana zu erreichen, doch schwer, in Unterscheidung einzutreten.“ (Nehanshin akirame yasuku; Shabechi iri gatashi.)

 

[*  In Herman Melvilles Pierre oder die Doppeldeutigkeiten (München 2002) heißt es: "dass es dem Menschen nicht ziemt, so schwankend zwischen den widerstreitenden Kräften zu stehen, die auf ihn eindrängen; dass der erzürnte Mensch, dem allerersten Ruf der Überzeugung folgend, zuschlagen muss, und dies, wenn möglich, mit des Blitzschlags Wucht und Präzision."]

 

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