Die Schlange durchquerte den blauen Strom.
Du hast ihre abgestreifte Haut gesehen –
ist es deine eigene?
Der Tiger im weißen Bambus, seine harten Augen –
lerne von ihm: Den Tod zu sehen heißt,
einen anderen zu sehen, niemals sich selbst.
Takahashi Shinkichi (1901-1987) gilt als erster
dadaistischer Dichter Japans, sein späteres Werk war vom Zen beeinflusst. Er
begann 1932 in Tokio bei Meister Shizan Ashikaga zu üben und erhielt 1951 von
diesem inka, Im selben Jahr heiratete er und hatte später zwei Töchter.
Englische Übersetzungen seiner Gedichte finden sich z.B. bei Lucien Stryk,
Takashi Ikemoto: Triumph of the Sparrow (Grove Press 2000) und online von Adam Halbur.
Die Pfeife
Als ich schlief war alles vorbei, alles.
Meine Augen, weiß zerquetscht,
flossen in die Morgendämmerung davon.
Da war ein Geräusch, das sich,
wie alles, ausbreitete und verschwand.
Es gibt nichts, was es wert wäre, gesehen oder gehört zu
werden.
Als ich aufwachte, erschien alles wie abgeschnitten.
Ich war eine Pfeife, die noch rauchte
und die das Tageslicht noch einmal ausklopfen würde.
Zerstörung
Das Universum fällt immerdar auseinander,
es gibt keinen Grund, einen Knopf zu drücken.
Es zerfällt bei der Berührung eines Fingers,
ach, es hängt kaum in den Augenwinkeln eines Sperlings.
Das Universum ist lauter Augensekret,
Massen, die von den Spitzen deiner Nasenhaare springen.
Heb deine rechte Hand: Da ist es in deiner Handfläche.
In der Wimper des Sperlings ist genug Platz für das Ganze.
Ein armseliges Ding, das Universum:
Hier ist alle Stärke, der Sperling und du sind eins,
und sollte er es wollen, könnte er dich zerquetschen.
Das Universum erzittert vor ihm.
Fisch
Ich halte lesend eine Zeitung in Händen.
Auf einmal werden meine Hände zu Kuhohren,
und dann zu Busan, dem südkoreanischen Hafen.
Auf den Steinen der Uferböschung
liegt meine Matte ausgebreitet.
Ich schlafe ein.
Ein Weidenblatt, von einer Brise aufgeweht,
streift mein Ohr.
Ich bleibe genau der, der ich war,
nahe den murmelnden Wassern.
Als ich jung war, gab es da ein Mädchen,
das für mich zu einem Fisch wurde.
Wann immer mir nach Fisch zumute war,
salzgegrillt, rief ich sie herbei,
und sie ließ sich auf den Bauch nieder,
um auf den Steinen geröstet zu werden.
Sie war stets bereit.
Ach, nun kommt sie nicht mehr zu mir.
Als alter, geistig umnachteter Drache
hinke ich heimwärts.
Doch seht, meine Drachenklauen werden zu Pferdehufen!
Schon fallen sie ab und breiten sich wundersam aus
zu den Schienen der Tokaido-Eisenbahnlinie.
Selbstverbrennung
Dies war der beste Augenblick im Leben des Mönches.
Unerschütterlich auf einem Stapel Feuerholz,
nichts mehr zu sagen, zu hören, zu sehen,
von Rauch umhüllt, die gefalteten Hände entflammt.
Es gab nichts mehr zu tun, das Ende von allem.
Als eine kühle Brise ihn durchströmte,
erinnerte er sich, dass man stets am gleichen Ort ist,
und dass es keine Zeit gibt.
Plötzlich erhob sich ein Rauchpilz vor seinen versengten
Augen,
und er wurde zu einer Masse aus Flammen.
Eine Kugel nach der andern rollte hinaus,
und die entzückten Sperlinge flogen herum wie Feuerbälle.
Frühling
Der Frühling vor hundert Jahren
war sehr warm: In meiner Hand
solches Leben, solche Heiterkeit.
Zukunft ist ein ziellos umherstreifender Vogel,
Vergangenheit ist Bodensatz.
Alles ist hier, jetzt.
Gedanke um Gedanke, Gedanken befeuernd:
Landzungen, von der Zeit vernarbt,
Rammböcke der Gezeiten.
Ein Fels, der emporragt,
ein Fels, der untergeht.
Kein All – was war, ist nirgendwo.
In einhundert Jahren
wird der Frühling genauso warm sein.
Roher Fisch und Gemüse
Als ich ungeboren war, zerteilte meine Mutter
die Zeit mit einem rostigen Messer,
sanft wie der Regen, krispelig wie Fischrogen.
Als ich soweit war, brach ich aus ihrem Schoß hervor.
Da ich nichts besseres zu tun habe,
lasse ich meine erste Behausung wiederaufleben:
Niemand sonst war da,
und wo ich auch hintrat in der Dunkelheit,
ich berührte nichts –
eine Milbe in einem Wal.
Hört darum her, ihr nachkommenden Zeitalter:
Zeit ist ein weißer, eingelegter Rettich,
der langsam gelb wird.
Mein Vater durchschwamm in diesem Essig
den rohen Fisch und das Gemüse.
Vimalakirti
Vimalakirti,
Vaishali-Millionär, Sutren-Held,
im Bett seiner kleinen Bleibe.
Während du krank bist,
liege ich hier.
Erhole dich, ich bin schon heil!
Krankheit, nur ein Gedanke,
der Körper ist ihm Aas, Wasser;
er bewegt sich, ein Feuer, ein Wind.
Vimalakirti, Laien-Held,
zieht auf ein Wort hin
Galaxien an den Fuß seines Bettes.
Das Dharma-Rad drehend
Ein Steinrelief, dessen ich nie müde werde:
Lebensgroßer Buddha, gebrochene Nase,
gelocktes Haar, die Augen klare Monde,
abgeschlagene Mudra-Finger an der Brust,
die Beine im Lotus gekreuzt.
Unter jedem Arm verläuft eine rote Linie: warmes Blut.
Um den Glorienschein Engel und Blumen,
auf jeder Seite wilde Tiere mit offenem Mund,
die Wache halten.
Er dreht das Rad des Dharmas.
Dreitausend Jahre, seit Buddha den Morgenstern fand.
Nun ist die Sonne selbst von seinem Licht geblendet.
Explosion
Ich bin ein gedankenloser Hund,
eine nichtsnutzige Katze,
Nebel überm Abflussgraben,
ein Blüten stibitzender Regen.
Ich schließe meine Augen, atme –
radioaktive Luft!
Eine Milliarde Jahre,
und ich werde um die Hälfte geschrumpft sein,
die Verschmutzung drückt mir aufs Mark.
Na und?
Ich jauchze über das, was bleibt.
Mit einem Rest von Blut,
auf Leere reduziert durch Kernspaltung,
rase ich dahin.
Unbegrenztes Leben
Jenseits von Worten,
innen dieses Nichts, das ich geworden bin.
Um so zu bleiben, ist nur eins vonnöten:
Zen-Sitzen.
Ich denke, atme mit dem ganzen Körper.
Wunderbar! Die Freude ist so rein,
jenseits von allem, sogar dem Liebemachen.
Ich kann alles sehen, überall sein.
Ich brauche nichts, nicht mal Leben.
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