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Der Irrtum von Tenzin Palmo: Sex durch die Hintertür

"Listen, I'm as big a liar and a cheat as anyone else."

(Marian Engel: Sarah Bastard's Notebook. Paperjacks 1974)

In der jüngeren Vergangenheit haben besonders drei Darstellungen von Sexualität mein erfreutes Erstaunen, meinen Beifall und mein herzhaftes Lachen ausgelöst, weil sie den verbreiteten Vorurteilen zur Sexualität und der jüngst wieder recht schwermütigen Debatte um #metoo eine fulminante Horizonterweiterung entgegensetzten. Zum einen sind das die Kolumnen einer Edelprostituierten, die sich als Kindfrau vermarktet und in der WELT (unter ihrem Herausgeber Stefan Aust in den letzten Jahren inhaltlich stark verbessert) als "Kanarienvögelchen" Augen öffnendes Insiderwissen preisgibt (unten ein Video, in dem man sie am "Philosophischen Stammtisch" sieht). Zum zweiten ist es die Amazon-Produktion "Caligula", und hier die Folgen 6 und 16 über recht promiske junge Japanerinnen ("Experienced Girls"), die man über ein Prime-Abo anschauen kann (kostenloser Probemonat!). Und drittens kommen als Ergebnis eines wissenschaftlichen Projektes auf der Seite von "Omgyes" nicht nur Frauen zu Wort, sondern demonstrieren interaktiv, wie sie befriedigt werden wollen (ich hoffe, es wird demnächst auch ein gleichwertige Website über Männer geben).

All diese Projekte sind - trotz ihrer medial ansprechenden Aufbereitung und damit im Einzelfall Aufpolierung - das, was man geerdet nennen kann, realitätsnah. Während meiner umtriebigen Jahre in Foren habe ich selbst immer wieder Anstöße in diese Richtung gegeben, da mir restriktive Sexualmoral und mangelnde Aufklärung oft mit spiritueller Naivität einherzugehen schienen. Wenn Körper und Geist loszulassen sind, so mein Credo, dann darf die übliche Verklemmtheit und Heuchelei in Religionen nicht fortbestehen.

Auf der anderen Seite werden insbesondere im tantrischen Buddhismus über Umwege die sexuellen Bedürfnisse der Beteiligten in spirituelle Praktiken verklärt, verkompliziert, überhöht und verheuchelt. Ein gutes Beispiel, wie das heute noch funktioniert, lieferte kürzlich Tenzin Palmo, die wir als fleißige Buchautorin kennen und die immerhin einen Ruf für ihren Beitrag zur Emanzipation von Buddhistinnen genießt. Nun musste ich lesen, dass sie zwar versteht, dass Tantra nicht bedeutet, "schutzlose Frauen zum Sex zu nötigen". Dann jedoch definiert sie: "Wenn sich die Schüler (für gewöhnlich - aber nicht immer - weibliche) als Ergebnis einer sexuellen Beziehung mit dem Guru wirklich besser, ermächtigt und zuversichtlich fühlen, dann hatte der Lehrer geschickte Mittel angewendet. Wenn jedoch eine solche Beziehung zu Demütigung, Verwirrung und Desillusionierung führt, wo finden sich dann darin Weisheit und Mitgefühl? In wiefern wurde ihnen geholfen?" (zitiert nach Tenzin Peljor).

Abgesehen davon, dass ich mir gut vorstellen kann, wie Tenzin Palmo hier die Bedürfnisse der Lehrer rechtfertigt, denen sie selbst begegnete, ist hier nicht der notwendige Schritt der klaren Trennung von spiritueller Lehrtätigkeit und einer sexuellen Beziehung vollzogen. Was hier gesagt wird, ist: Sex vom Guru mit Schüler(inne)n ist prinzipiell okay, wenn sich der/die Andere danach besser fühlt (man beachte, dass das Gegenteil keinesfalls deutlich genug kritisiert wird, sondern in Frageform abgeschwächt: Wo bleibt das Mitgefühl, wenn es zu Verwirrung des/der Anderen kommt?). Damit hat Palmo eine Binsenweisheit formuliert, nämlich die, dass wir uns alle in der Regel sexuelle Kontakte wünschen, bei und nach denen wir uns gut fühlen. Wir wissen jedoch, dass der nachträgliche Blick darauf durch verschiedene Umstände beeinflusst sein kann, etwa, wenn es später zu einem Streit und einem Ende der Beziehung kommt. Auf jeden Fall wäre man immer erst hinterher schlauer, und so bleibt dem Guru nach dieser Logik stets der gerechtfertigte Versuch, es doch einmal wieder mit einer seiner Getreuen zu probieren. Das ist in etwa so, als würde man Psychotherapeuten sagen, sie könnten mit ihren Patientinnen gern Sex haben, aber es sollte bitteschön hinterher sich keine beschweren müssen.

Dem Problem kann also nur abgeholfen werden, indem man spirituelle, therapeutische und andere Gefälle beendet, ehe man in eine sexuelle Gemeinschaft eintritt. Der tibetische Buddhismus weigert sich, wie man auch an anderen Statements auf der o.g. Seite sehen kann, hartnäckig, dieses Terrain und das seines Aberglaubens aufzugeben (kürzlich zudem am Beispiel Thubten Chodron und ihrem Festhalten an übermenschlichen Fähigkeiten von Gurus aufgezeigt). Dadurch offenbart er seinen eigentlichen Macht- und Täuschungsanspruch, der auf den Feldern der Magie, inklusive der sexuellen, unbedingt erhalten bleiben soll. Der tibetische Buddhismus ist dadurch m. E. mit jenem Islam vergleichbar, der nicht das durchlaufen hat, was als Aufklärung bekannt und auch die Grundlage meines eigenen Verständnisses von Buddhismus (Zen) ist.

 

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