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Ein paar Kôan aus dem Shigetsu roku

Shi Hsiang war Schüler des Abtes Wei Shan und für das Getreidelager verantwortlich. Eines Tages kam Wei Shan zur Inspektion vorbei und warnte: "Wir müssen sorgsam sein. Verschwende keinen Reis!"
   Shi Hsiang grummelte: "Hier wird kein Reis verschwendet."
   Da hob Wei Shan ein Reiskorn vom Boden auf: "Du meinst, hier würde kein Reis verschwendet, doch kannst du mir sagen, woher dieses Korn kommt?"
   Shih Hsiang schwieg, und Wei Shan fuhr fort: "Wir sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir müssen verstehen, dass eine große Menge Reis aus diesem einen Korn entspringt."
   Da meinte Shih Hsiang: "Doch wer weiß, wo dieses eine Reiskorn herkommt?"
   Da lachte der Abt laut auf und ging zufrieden davon.

***
  

Einst fragte ein Mönch den Chao Chou: "Wie fühlt sich einer so ganz allein auf dem hohen Gipfel?"
   Chao Chou erwiderte: "Ich werde dir nicht antworten. Ich habe Angst, hinunterzufallen."

***

Einmal hielt Lu Tsu eine Tasse Tee in die Höhe und rief aus: "Dies war schon vor der Erschaffung der Welt hier!"
   Nan Ch'uan bemerkte: "Nun kennen die Leute zwar dies, aber nicht die Welt."
   Kui Tsung stimmte zu.
   Nan Ch'uan wandte sich an ihn: "Warum machen wir nicht noch ein bisschen weiter?"
   Da erhob Kui Tsung ebenfalls seine Tasse und sagte: "Ich frage mich, wie die Leute schon vor der Erschaffung der Welt hierüber reden konnten."
   Als er das hörte, bedeckte Nan Ch'uan hastig seinen Mund mit der Hand, wobei seine Augen lächelten. Dann ging er davon. Auch Kui Tsung verlor keine Zeit und bedeckte seinen Mund.

***

Als Pai Yun noch eifrig beim bekannten Yang Ch'i studierte, war er für seine Humorlosigkeit bekannt. Eines Tages fragte Yang Ch'i ihn nach dessen erstem Lehrer, und Pai Yun antwortete: "Er hieß Ch'a Lin Yu."
   "Ich habe gehört, dass dieser Ch'a Lin Yu einmal beim Überqueren einer Brücke ausrutschte und hinfiel und so die Erleuchtung erlangte. Er soll daraufhin ein Gedicht verfasst haben, erinnerst du dich vielleicht daran?"
   Pai Yun konnte das Gedicht natürlich in- und auswendig und rezitierte:
   "Ich besaß eine strahlende Perle,
   die lange mit Schmutz bedeckt war.
   Heute früh wurde der Dreck abgeschüttelt
   und das nackte Licht leuchtete überall hin."
   Da lachte Yang Ch'i und ging davon. Die folgende Nacht über fragte sich Pai Yun, was dieses Lachen zu bedeuten hatte, und eilte am Morgen zum Meister, um ihn zu fragen. 
   Dieser fragte: "Hast du nicht gestern den Komiker gesehen, der mit einer Perle jonglierte?"
   "Ja, in der Tat."
   "Erkennst du nicht, dass du kein Komiker bist?"
   "Was meint Ihr damit?", fragte Pai Yun verwirrt.
   "Ein Komiker freut sich stets, wenn die anderen über ihn lachen, Aber du fürchtest dich noch immer davor", tadelte ihn der Meister.
   Sogleich erfuhr Pai Yun Erleuchtung.

***

Einmal ging Meister Shih T'ou mit einem Mönch namens Shi Shi tief in den Bergen spazieren und bewunderte die schöne Aussicht: "Dieser Zweig da behindert meine Sicht. Bitte hilf mir, ihn abzuschneiden."
   Shi Shi sagte: "Gebt mir bitte Euer Messer."
   Shi T'ou überreichte es ihm mit der Klinge nach vorn.
   Der Mönch sagte: "Nicht so, Meister, gebt es mir bitte mit dem Griff nach vorn!"
   Da fragte der Meister: "Sag mal, was ist denn der Zweck dieses Griffes?"
   Bei diesen Worten erfuhr Shi Shi unmittelbar Erleuchtung.

***

Bodhisattva Shan Hui wurde 497 geboren und war ein bekannter Interpret buddhistischer Schrifen. Der frommste Buddhist unter allen chinesischen Herrschern, Liang Wu Ti, bat ihn einmal um die Erläuterung des Diamant-Sutras. Als Shan Hui zu diesem Zweck die Plattform erklomm, fiel er die Stufen hinunter. Der Kaiser wurde davon völlig überrascht.
   Da fragte ihn Shan Hui: "Versteht Ihr, Majestät?"
   Dieser verneinte.
   Der Meister sagte: "Ich habe das Sutra bereits für Euch erläutert."


[Aus dem 指月錄 Zhiyue lu  (Shigetsu roku) von Qu Ruji (1548-1610). Siehe hier und bei Alexander Holstein: Pointing at the Moon (Tuttle 2011)]

(Kostenpflichtiger Wahrsage-Automat in einem Tempel in Chiangmai ...) 
  

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