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Der Bodhisattva beim Militär: Ein paar Worte vom Laien Ruru (Yan Bing)



„Wenn jemand behauptet, das Große Erwachen bedeute Hemmungslosigkeit, dann redet er wie ein Dämon und ist nicht vertrauenswürdig.“ 
 (vs.) 
„Seine (Bodhidharmas) Zunge hatte keine Knochen.“


Yan Bing (gestorben 1212) wurde als der Laie Ruru bekannt, obgleich er wohl auch Dharma-Erbe von Dahui Zonggao (1089-1163) war. Damit steht er in der Linji-Tradition, die an einen entscheidenden Moment des Erwachens (chin. wu oder dawu) glaubt, dem in der Regel ein großer Zweifel im Sinne einer tiefen existentiellen Verunsicherung (shenyi) vorausgeht, die sich mit einem gewissen Streben nach Erleuchtung (fa xin) paart.* In einer mehreren Hundert Seiten langen Schrift (Ruru jushi lulu) und einem kürzeren und ergänzenden Holzschnitt, die von ihm überliefert sind, legt er nicht nur Wert auf die Meditation und die Kontemplation über huatou, sondern – in absteigender Reihenfolge – auch auf das Einhalten buddhistischer Gebote, das Kultivieren von Verdienst und das Streben nach der Wiedergeburt in Amitabhas Reinem Land. Zwar gehören diese Schriften selbst nicht zum chinesischen Kanon, es finden sich jedoch Auszüge darin. Seinen „Protokollen der Sitzmeditation“ (Zuochan yi) wurde in Japan besondere Aufmerksamkeit zuteil. Wichtige akademische Quellen sind die Dissertation Practice and Emptiness in the Discourse Record of Ruru Jushi, Yan Bing (d. 1212), a Chan Buddhist Layman of the Southern Song von Alan Gerard Wagner (2008) und Aufsätze von Nagai Masashi in den Ausgaben 15 und 16 des japanischen Journals für buddhistische Studien (Komazawa daigaku Bukkyô gakubu ronshû). Neben klassischen Klischees, denen Yan Bing anhing („Tiere in diesem Leben waren (mordende) Menschen in vorherigen“, „ein Augenblick des Tötens erfährt den karmischen Ausgleich, von jemand anderem getötet zu werden“) finden sich andere prägnante Aussagen, von denen ich ein paar übersetzen möchte. Widersprüche erklären sich teils daraus, dass – wie Damien Keown es einmal nannte – zwei Arten von upâya, geschickten Mitteln, zur Anwendung kommen, von denen eine eher konventionelle Moral umfasst und die andere einen Zustand der Befreiung, des Bodisattvaseins, voraussetzt, der moralischer Beschränkung enthebt:

„Wenn du das Strahlen des Geistes nach innen wenden und den Geist unübertroffener Erleuchtung erstehen lassen kannst, dann wirst du im Kommen und Gehen, in der Interaktion mit der Welt und anderen Menschen für weltliche Angelegenheiten einzig mittels weltlicher Dinge Sorge tragen und nicht mittels deines Geistes. Ist eine solche Angelegenheit noch nicht aufgetaucht, ist der Geist gelassen, und tritt sie dann ein, wird der Geist so gelassen sein wie zuvor.“

„Wer das Kultivieren praktiziert, fällt in eine von fünf Gruppen. In der ersten sind die, die sich respektvoll verhalten, nicht lachen, schwatzen, umherschauen oder gähnen. In der zweiten befinden sich diejenigen, die Einsicht kultivieren, ihre Natur erkennen und Buddha werden. Die dritte Gruppe schafft Verdienst, indem sie meditiert, Niederwerfungen vollzieht, die Sutren rezitiert und so den Weg übt, dass es ihr und anderen nutzt (…)“

„Den Zweifels-Klumpen zu zerschmettern – das ist Erwachen.
Wenn Weisheit still und offen wird, hegt man keine Zweifel mehr.
Zweifel und Erwachen – leg sie beide ab!
Du wirst noch immer ein Bettler sein, der die Schale herumreicht.“

„Wenn der Geistgrund ohne Hindernis ist, 
werden hohe Berge und tiefe Ebenen allesamt zum Reinen Land.“

„Hast du einen Menschenkörper erlangt, verwandle ihn nicht in einen Bürokratenkörper.“

„Wer in ein Leben in der Kriegerkaste geboren wird, hat in seinen vorherigen Existenzen Verdienst geschaffen, war jedoch auch gewalttätig gegenüber anderen, als er den Schutz des Landes und die Sicherheit der Bevölkerung im Sinn hatte. So erfährt er Wohltaten, obwohl er voller Zorn war.
   Ein Krieger, der solches Verdienst als Grundlage hat, kann seine Zornesgedanken in solche des Studiums des Weges umwandeln und dieses Anliegen ohne Zurückweichen verfolgen; er kann sich von üblen Taten fernhalten und Gutes tun und selbst im Körper eines Soldaten einen stets freundlichen und gütigen Geist bewahren. Dies meint man mit einem ‚Bodhisattva beim Militär‘.
   Als Zen-Meister Foyin(g) einem Krieger den Dharma predigte, formulierte er es deshalb so: ‚Ein Gelehrter, der den Staub abschüttelt; ein Himmelskönig, der die ganze Welt beschützt; ein hochrangiger General, der einen Menschen tötet, ohne mit der Wimper zu zucken; ein bedeutender Laie, der genau da, wo er steht, ein Buddha werden kann.“
  
* Gaofeng Yuanmiao sprach später von großem Glauben (da xingen), großem Eifer (da fenzhi) und großer Ungewissheit (da yiging) als den drei Wesensmerkmalen (sanyao) der Zen-Praxis.


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