"Die meisten Regisseure machen Filme mit ihren Augen.
Ich mache Filme mit meinen Eiern."
(Alejandro Jodorowsky)
Heute weiche ich von den Themenbeiträgen ab und fasse so einiges zusammen, was mir in Sachen Zen und Buddhismus kürzlich unter die Augen kam und durch den Kopf ging. Ich hoffe, meinen Lesern ist noch nicht alles davon bekannt.
In einer Bar in Vientianne (Laos) soll es einen Cocktail namens "Zen-Meister" geben, der aus finnischem Vodka, Minze, Pampelmusen- und Limettensaft gemixt wird. Dass Zen-Meister nahe am Alkohol gebaut sind, wäre die nahe liegende Pointe, ich will aber auf etwas anderes hinaus, nämlich den verspielten Charakter des Zen, der es einem erlaubt, sich weder über solche Namensgebungen noch über Gebrauchsartikel oder gar Bars selbst, die "Buddha" und dergleichen heißen, aufzuregen.
In der Sendung "lesenswert" war kürzlich der Autor Martin Mosebach zu Gast, ein für mich unleserlicher literarischer Langweiler, der in jüngerer Zeit vor allem durch von seinem konservativen katholischen Glauben inspirierte Statements auffiel. In einem neuen Buch würdigt er nun den Mut koptischer Christen, die als Gefangene von ISIS sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören, was ihnen möglicherweise das Leben gerettet hätte. Ich kann darüber nur den Kopf schütteln (meiner ist ja noch dran), weil einem Terroristen einen Streich zu spielen, indem man das islamische Glaubensbekenntnis aufsagt und sich an gewisse Rituale hält, um das eigene Überleben zu sichern, mir als wertvoller erscheint, als wegen irgendwelcher Anschauungen zu sterben. Etwas anderes wäre es, wenn Dinge verlangt würden, die gegen den eigenen ethischen Kodex verstoßen. Dazu sollte aber nicht gehören, zwanghaft an Dogmen zu kleben, und etwas anderes ist es kaum, was Mosebach da bewundert. Bei genauerer Betrachtung sind diese koptischen Christen also zugleich zu bedauern, weil sie eine gewisse Stufe der Aufklärung - die hier zen-typisch als Loslassenkönnen selbst von eigenen Weltanschauungen bezeichnet werden kann - nicht erreicht haben. Dieser Aspekt wurde in der Sendung freilich nicht angeschnitten. Zumal es jemandem, der an einen Gott glaubt, gar nicht so schwer fallen dürfte, dies in einer anderen Form zu bekunden.
Schaut man genauer hin, können meist auch diejenigen, die hehre religiöse Ideale aufrecht erhalten wollen, ihnen nicht gerecht werden. Gelegentlich wird ja darauf verwiesen, dass in Zen-Tempeln vegetarische Kost angesagt sei. Nicht (oder vielmehr zu) genau nimmt man es dagegen mit der Schädlingsbekämpfung: Im Nanzenji wurde gerade so viel "Tierabwehrmittel" (offenbar gegen Wildschweine) versprüht, dass Besucher in Atemnot gerieten und ins Krankenhaus kamen.
Ein anderes Dauerthema auch dieses Blogs ist der Missbrauch durch Ordinierte. Trotz der Befragung dubioser Experten (etwa eines korrupten und in seiner Heimat verurteilten Polizisten, der wie so viele selbsternannte Helfer in Kambodscha ein neues Betätigungsfeld im Kinderschutz fand - ohne wirklich "vom Fach" zu sein) kann ich hier die Zeitschrift Southeast Asia Globe (digitales Jahresabo ca. 16 € ab 2019 nur noch als kostenloser Newsletter) empfehlen, die aktuelle Beispiele des Missbrauchs von Theravada-Mönchen an Jungen auflistet, wobei die Ursachen mal wieder in mangelnder Kontrolle der Tempel und den Vorschusslorbeeren liegen, die man gemeinhin Berobten zubilligt. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch der Beitrag über die weiß gekleideten don chee, die Laien-Nonnen in Kambodscha, die den Mönchen die Arbeit abnehmen, das Essen servieren dürfen und doch nicht als vollwertige Nonnen gelten. In Myanmar hingegen zeichnet sich die buddhistische Miliz (sic!) durch Gewaltakte gegen die Rohingya aus, wie uns diese Zeugenaussagen in Erinnerung rufen. Bei all dem könnte einem also das Kotzen kommen, auch ohne zur falschen Zeit im Nanzenji gewesen zu sein.
Dann zwei Kulturtipps. In der teils fiktiven und animierten Doku "Zen and Bones" wird der 93-jährige Zen/Tee-Meister Henry Mittwer vorgestellt, von dem ich bisher wohl noch nichts gehört hatte. Vielleicht teilt mir ein Leser mit, sobald er einen Ausstrahlungstermin oder von einer DVD-Fassung erfährt. Die Geschichte klingt jedenfalls interessant, Mittwer wurde im Zweiten Weltkrieg seiner japanischen Mutter, einer ehemaligen Geisha, entrissen. Als er sich in den USA auf die Suche nach seinem Vater machte, wurde er wie andere Japaner interniert (im Lager kamen zwei seiner Kinder, die er mit einer Japanerin hat, auf die Welt). Er übte mit Nyogen Senzaki und schloss sich in Japan, wie eine seiner Töchter, der Urasenke-Schule des Teewegs an. Zeitlebens träumte er von einem eigenen Filmprojekt.
Ein anderer Zen-Adept hat es tatsächlich zum Filmemacher gebracht. Kürzlich lud ich mir die Comics "Panic Fables" (Park Street Press 2017) des Chilenen jüdisch-ukrainischer Herkunft Alejandro Jodorowsky auf meinen Kindle Fire. Sie enthalten Geschichten und Texte, die teils albern, teils tiefsinnig mit Motiven des Zen und Kôan spielen. Jodorowky, der auch der Esoterik nicht abgeneigt ist und einen seiner vier Söhne an die Drogen verlor, ging selbst in Mexiko beim Zen-Meister und Akupunktur-Experten Ejo Takata (1928-1997), seinerseits Schüler von Yamada Mumon, in die Lehre und stellte diesem einst sein Haus als Zendo zur Verfügung. Zitat: "Er ist der aufrichtigste Mensch, dem ich je begegnet bin."
Auch mit fast 90 Jahren hält Jodorowsky noch Vorträge in Spanien und Frankreich, die er mit einem markanten Lebensmotto betitelt: "Wie kann ich euch nützlich sein?" Eine Passage aus den "Panic Fables" möchte ich übersetzen:
"'Enähre dich gesund mit Nahrung, die einem Viertel der Aufnahmefähigkeit deines Magens entspricht.'
Dich gesund zu ernähren heißt, 100 % Vollkorngetreide, Reis, Hafer usw. ohne Wasser zu dir zu nehmen. Du kannst auch 90 % Körner und 10 % Gemüse essen, aber keine tierischen Produkte wie Milch, Käse oder Eier. Iss nichts, was sich wehrt oder davonläuft.
Erleuchtung beginnt im Mund: Bereinige deine Diät wie deine Sprache. Sprich nur ein Viertel der Worte aus, die du sagen willst. Sag nur hundertprozentig wichtige Worte. Du kannst auch 90 % wichtige Worte und 10 % Emotionales von dir geben. Greif niemals mit Worten an. Und sprich zu niemandem, der dir nicht zuhören will."
Wer sich für Zen-Gärten interessiert, findet hier weiterführende Links und für knapp 2 USD eine PDF zum Download, die in zahlreichen Bildern den Erin-ji vorstellt, der von Musô Soseki mitbegründet wurde und zunächst zum Engaku-ji-Zweig des Rinzai gehörte. Der Tempel wurde im Ônin-Krieg (1467-1477) zerstört, dann vom Takeda-Samuraiclan wiedererrichtet. 1541 ging er in den Myôshin-ji-Zweig der Rinzai-Schule über. Der bekannte Daimyo Takeda Shingen liegt dort begraben.
Ebenfalls zur Rinzai-Sekte gehörte nach seiner Errichtung im Jahr 1346 der Genko-an, seit 1694 allerdings ist er Teil der Sôtô-Schule. Bei diesem Wechsel soll die "blutige Decke" der Hauphalle aus Holzdielen der zerstörten Burg in Fushimi neu gezimmert worden sein, wo Soldaten in einem Blutbad ihre Flecken hinterlassen hatten; so sollte jener Samurai gedacht werden. Der Genko-an ist auch für zwei besondere Fenster bekannt, das eine rund ("Fenster des Erwachens"), das andere eckig ("Fenster der Täuschung").
Nicht unerwähnt lassen möchte ich den Nachruf der NY Times - wenn auch schon fast drei Monate alt - auf Eido Shimano, da er es nicht versäumt, Shimanos Entschuldigungsbrief an seine Gemeinde zu zitieren, der in früheren Diskussionen gern übersehen wurde.
Ein anderer hier ausgiebig kritisierter Berobter, Thay alias Thich Thien Son, bekommt nun in der aktuellen Spiegel-Ausgabe sein Fett unter dieser Überschrift weg: "Ehemalige Klosterschüler werfen buddhistischem Abt sexuellen Missbrauch vor". Man kann die Digitalausgabe des Spiegel vier Wochen lang kostenlos lesen (unter diesem Link etwas nach unten scrollen) und erhält sofort Zugang auf den ganzen Artikel (ggf. rechtzeitige Kündigung nicht vergessen).
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