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"Jeder Mann hat Scheidenblut an seinen Händen": Joshu Sasaki Roshis letzte Jahre

Shozan Jack Haubner hat mit "Single White Monk" (Shambala 2017) ein lesenswertes Buch über seinen eigenen Zen-Weg und seinen Lehrer Joshu Sasaki Roshi, mit dem er eng verbunden war (er wechselte sogar dessen Windeln), verfasst.
   Haubner, dessen Selbsterkenntnis an einer Stelle auch von Sasaki stammen könnte ("I was a good guy doing a bad thing") fasst seine Lehre aus einer Dekade im Zen-Kloster so zusammen: "Außerhalb von mir gibt es ein vollkommenes Zuhause für alles in meinem Innern. Innerhalb von mir gibt es ein vollkommenes Zuhause für alles aus meinem Äußeren." Es sind die unterschiedlichen Stimmen von Sasakis Schülern und Schülerinnen, die ein differenziertes Bild des Zenlehrers ermöglichen. Haubner war selbst eine treibende Kraft, als es darum ging, Vermittler nach dem medialen Ausbreiten der sexuellen Übergriffe Sasakis einzubestellen. Er spricht von mehreren "Toden" Sasakis, dem ersten, als er so erkrankte, dass er nicht mehr lehren konnte; dem zweiten, als kurz darauf in Zeitungen wie der New York Times seine sexuellen Eskapaden dargestellt wurden; dem dritten, als klar wurde, dass Sasaki keine offiziellen Nachfolger bestimmen würde. Und dann zitiert er einen anderen: "Dieses Zeug wirkt. Irgendwie ist alles, was ich in all den Jahren getan habe, auf die Arbeit mit Roshi zurückzuführen." Haubner stellt fest, dass auf jede Frau, die Details zu Sasakis Fehlverhalten veröffentlicht, eine andere im Büro der Sangha anrief, um zu beschreiben, wie der Roshi sexuelle Berührungen einsetzte, um verwirrte Menschen aufzuwecken. Eine schrieb gar: "Ich fühlte mich nie durch Roshi missbraucht. Er liebte mich bedingungslos. Ich fühle mich durch euren Entschuldigungsbrief missbraucht!" 
   "Ich bin wütend auf Roshi, ich möchte ihm ins Gesicht spucken", meint der Autor, und ergeht sich sogar in Mordfantasien, als er wieder einmal über den künstlichen Magenzugang dem alten Meister Nahrung zuspritzen soll. Doch dann sagt er auch: "Ich empfinde keine Aggressivität ihm gegenüber. Ich schüttle meinen Kopf, dann kommen mir diese Tränen ..." Diejenigen Frauen, die angenehme Erfahrungen mit Sasaki im sanzen (dem Treffen unter vier Augen) machten, hätten gern darüber berichtet, die anderen stillschweigend die Gemeinschaft verlassen. "Lizzie", die Sasaki noch näher stand und ihn verantwortlich pflegte, bringt in einem Kapitel einer Schülerin bei, "Nein!" und "Ich brauche keinen einsamen, verschrumpelten alten Mann, ich brauche den Dharma!" zu sagen. Shozan dazu: "Wenn die Schülerin ihr 'Nein' fand, verwandelte sich ihre Praxis."
   Die Gemeinschaft treibt die Frage um, die uns alle immer wieder bewegt, wenn unsere Idole bei Missetaten ertappt werden: 'Wie kann ein guter Mensch Böses manifestieren?' Jedenfalls, wenn wir nicht dazu neigen, den Menschen deshalb gleich ganz zu verteufeln (wozu leider nicht nur große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit tendieren, sondern auch so mancher deutsche Blogger). Mich hat an Haubners Schilderung im zweiten Teil seines Buches (der erste ist eher ein Ausdruck sexueller Unsicherheit, auf die ich in den letzten Wochen schon hinreichend einging, und macht das Buch trotz seiner bewundernswerten Offenheit unbrauchbar für meinen Verlag) beeindruckt, wie Sasaki Roshi, der nicht mehr schlucken konnte, ohne das Geschluckte in seine Luftröhre zu bekommen, seinen eigenen Speichel über viele Monate rhythmisch erst in halb-, dann in viertelstündigen Abständen lautstark und wie in einem Ritual ausspuckte, bis er eines Tages wieder Nahrung zu sich nehmen konnte (obgleich ihn sein Arzt längst abgeschrieben hatte). Am Ende begleiten wir Sasaki noch ans Sterbebett ins Hospital.
   Haubner beschreibt es so, dass Sasaki an einem Punkt während des Skandals  sich bei allen Frauen persönlich entschuldigen wollte, die sich von ihm beschädigt fühlten. Doch sei dies aus verschiedenen Gründen nicht geschehen (Sasaki stimmte der Mediation zu, fühlte sich aber zu alt, diese selbst in die Wege zu leiten). Stattdessen sei er für den Rest seines Lebens in ein Stadium von "sange", Buße, eingetreten. In einer nie öffentlich gewordenen kurzen Entschuldigung schrieb er u.a.: "Ich habe zu viele Fehler gemacht. Der Versuch zu lehren ist bereits ein Fehler."
   Shozan Haubner hat ein Grundproblem unserer Sicht auf buddhistische Lehrer erfasst: "Wir projizieren so viel in sie, all unsere Hoffnungen und Träume, doch wenn sie unseren Erwartungen nicht gerecht werden, dann projizieren wir all unsere Ängste und Dämonen. Was wir ihnen nie gestatten, ist, menschlich zu sein."
   

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