"Dieser Körper selbst ist Buddha (sokushin jôbutsu)." (Dôgen, Kûkai zitierend)
Hoyu Ishida beschrieb in einem Aufsatz das Problem der Praxis in Shen-huis Lehre von der plötzlichen Erleuchtung. Shen-hui (670-762), ein Schüler des sechsten Patriarchen, behauptete, dessen Lehre unmittelbaren und plötzlichen Erwachens sei direkt von Bodhidharma übermittelt und ginge bis auf die legendären sieben Buddhas zurück. Er behauptete (fälschlich) auch, die Lehre des namensähnlichen Shen-hsiu (605?-706) und seiner Nordschule würde ein "allmähliches Erwachen" propagieren. Tatsächlich deuten die verschiedenen Erweckungserfahrungen Hui-nengs selbst (laut Plattform-Sutra beim Hören des Diamantsutra, bei dessen Auslegung und beim Verlassen des Tempels) auf einen eher graduellen Weg hin.
Da mit dem Menschen von Beginn an nichts verkehrt sei, stelle laut Shen-hui die Methode der Konzentration auf dem Weg zum Erwachen eine unerleuchtete Technik dar, zumal sie sich an äußere Lehren hielte. Stattdessen solle der Schüler sich seines verwirrten Geistes bewusst werden und seine ursprüngliche Natur erblicken. In der Erfahrung des Nicht-Denkens würden "sila, samadhi und prajna gleichzeitig identisch ... und das eigene Wissen gleich dem des Tathagata." Praxis würde kein Mittel sein, Erleuchtung zu erlangen, sondern sei selbst erleuchtete Erfahrung. Shen-hui setzt hier also voraus, dass rechte Praxis erst funktioniert, nachdem man erwacht ist, und dass erst dann Regeln, Versenkung und Weisheit eins seien. Wir haben im Blog-Beitrag vom 12.08.2017 gesehen, dass die Ansicht der "dreifachen Übung" von Dôgen in der Form übernommen wurde, dass im Zazen selbst alles verwirklicht sei; im Sinne Shen-huis müsste Zazen dann mit Erwachen gleichgesetzt werden, nur so könnte Praxis auch erwacht und von dieser Erfahrung durchdrungen sein. Hoyu Ishida weist zurecht auf das logische Problem bei dieser Ansicht hin, denn offensichtlich muss Praxis auch als Weg zum Erwachen verstanden werden und kann erst dann "erwachte Praxis" sein, wenn sich ein Erwachen vollzogen hat. Wäre dem nicht so, gäbe es keinen Grund, die Konzentration oder andere Methoden zu kritisieren; da sie am ursprünglich erwachten Zustand des Menschen ja nichts ändern würden, wäre er von Anfang an okay.
Diesem Problem stellte sich Dôgen, der vom Tendai die Doktrin kannte, dass Erwachen zur ursprünglichen Natur des Menschen gehöre (hongaku). Warum also dann Meditation praktizieren? Dôgen benutzte zwar ähnliche Wendungen (honshô, "ursprüngliche Verwirklichung", oder honrai no memmoku, "ursprüngliches Gesicht" im Shôbôgenzô-Kapitel "Bendowa"). Andererseits übernahm er vom kritischen Tendai-Mönch Shôshin den Ausdruck genjô (spontane Manifestation) und folgerte: "Buddha-Übung (gyôbutsu) ist weder shikaku (erworbenes Erwachen) noch hongaku (angeborenes Erwachen)". Die Buddha-Natur war für Dôgen erst mit dem Erlangen der Buddhaschaft manifestiert, nicht schon davor. Schon der Tendai-Begründer Chih-i hatte einst gefragt: "Wie kann es einen von Natur aus erleuchteten Shakyamuni Buddha geben?" Im Mahayana sieht man die Buddha-Natur als Basis des Erwachens an, Übung jedoch als notwendige Bedingung dieses Erwachens. Dôgen hatte jedoch Probleme damit, Erwachen als wesentlicher denn die Übung selbst anzusehen. Um den Widerspruch zwischen transzendentem Erlangen und von Raum und Zeit abhängiger Übung zu überbrücken, setzte er Unbeständigkeit und Buddha-Natur gleich (mujô busshô). Praxis wird zu "Praxis in Erlangen" (shôjo no shû), zu "wunderbarer Praxis" (myôshû), die nicht verschieden von "ursprünglichem Erlangen, auf das direkt verwiesen wird" (jikishi no honshô) sei. [Für dies und das Weitere siehe Masao Abe: A Study of Dogen, SUNY 1991].
Da das chinesische Zeichen u sowohl "sein" als auch "haben" bedeuten kann, konnte Dôgen die Lesart "Alle fühlenden Wesen haben Buddha-Natur" zu "Alles Sein (shitsuu) ist Buddha-Natur" umdeuten. Buddha-Natur ist hier kein in allen fühlenden Wesen angelegter Samen mehr, sondern alles - auch das Nicht-Fühlende - ist ursprünglich Buddha-Natur, und nichts im ganzen Universum sei je verborgen gewesen (henkaifusôzô). Masao Abe bezeichnet dies als die ultimative de-anthropozentrische Sicht. Dogen macht keinen ontologischen Unterschied zwischen Sein und Seienden. Dennoch ist die Erkenntnis der Unbeständigkeit des Seins Voraussetzung für das Erlangen der Buddha-Natur (und damit der Buddhaschaft und des Nirwana), die weder immanent noch transzendent sei, wobei beim eigenen Erwachen alles im Universum gleichzeitig den Weg erlange (dôji-jôdô). Im Zazen, dem "Abwerfen von Körper-Geist" (shinjin datsuraku) würde schließlich die "unbefleckte" Buddha-Natur verwirklicht, die Dôgen ferner mit "Zeit" gleichsetzt. Sein und Zeit werden so eins, Zeit ist in jedem Augenblick vollständig verwirklicht, im "absoluten Jetzt" (nikon), durch kontinuierliche Praxis (gyôji dôkan) oder deren spontane Manifestation (gyôji genjô): "Man tut nichts als vollständig die gesamte Zeit als gesamtes Sein zu durchdringen" (Kapitel "Uji" im Shôbôgenzô). Weiter formuliert Dôgen: "Wenn nur ein Mensch Zazen übt ... vollbringt er das ewige Werk, Menschen zur Erleuchtung zu führen", denn in Raum-und-Zeit würden sich Dinge nicht gegenseitig behindern (jijimuge), das eigene Selbst sei Sein (und Zeit) und mache das gesamte Universum aus. Dieses Erwachen geschehe freilich, ohne dass ein Subjekt zu etwas erwache. In Bezug aufs Karma vertritt Dôgen im Kapitel "Immo" des Shôbôgenzô die Ansicht einer "nicht-behindernden Kausalität" (fumai inga) oder eines "natürlichen Werdens" (jinenjô) und schlägt sich damit weder auf die Seite des Ablehnens von Karma (furaku inga) noch auf die eines unvermeidlichen oder vergeltenden Karma (gôdo jinen).
Hee-Jun Kim arbeitet in seinem Werk Dogen: Mystical Realist (Wisdom 2000) weitere Aspekte von Dôgens Lehre heraus, etwa die "selbst-erfüllende Aktivität" (jijuyû zanmai), die Einheit von Praxis und Erleuchtung (shushô-ittô), das Nicht-Denken (hishiryô), die totale Anstrengung (gûjin) und das Verweilen in der eigenen Dharma-Position (jû-hôi). Dôgen betone eine Praxis des fortwährenden Erwachens, die man als "Buddha, der jenseits von Buddha geht" beschreiben könne und in der noch das Erwachen selbst transzendiert wird (shusshin no ro). Er würde der Einheit von Praxis und Erleuchtung noch die des Erweisens zuordnen, wobei Zazen und seine Gesten die eigene Erleuchtungspraxis zum Ausdruck brächten. Dabei sind offenbar Denken und Sprache ein wesentlicher Bestandteil des Zen (monji no dôri, der Grund für Wörter und Buchstaben). Es ginge Dôgen nicht um das Transzendieren von Dualität, sondern um deren Verwirklichung.
Wie könnte ein Widerspruch je zur Hirnwichserei verkommen?
AntwortenLöschenNach einer Iteration steh' ich wieder am Anfang.
Schwurbel, Schwurbel; ich genieße den güldnen Herbst hier in Berlin.
Liebe Grüße an Dich Guido, an den Rest hier,
und danke für den tollen Beitrag zum Sein, zur Zeit.
Sicher die technische Antwort auf "Erwachen".
Vielleicht noch Quantenverschränkung? Musik? Mathematik?
Dann sind alle Künste da.
Natürlich wird hier gewichst!
:-)
Gruß
Das Funktor
Ein jedes Ding ist "Das" (Objekt) in Relation zu anderen Dingen und «Dies» (Subjekt) in Relation zu sich selbst. Wir mögen nicht in der Lage sein, Dinge vom Standpunkt des «Das» zu sehen, aber wir können sie vom Standpunkt des «Dies» begreifen. Deshalb könnte man sagen, dass «Das» von «Diesem» abhängig ist. Dies ist die Vorstellung vom gemeinsamen Entstehen von «Dies» und «Das». «Dies» und «Das» sind voneinander abhängig.
AntwortenLöschenWo «Dies» und »Das» aufhören, Gegensätze zu sein, da liegt der Angelpunkt des Weges.
Zhuangzi-Über die Gleichheit der Dinge