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Eine Verbindung von Konfuzianismus und Zen

In seinem neuen Band mit Übersetzungen aus dem japanischen Konfuzianismus, Geisteswelt der Edo-Zeit, stellt Dr. Julian Braun einige Autoren vor, die sich auch mit dem Buddhismus auseinandersetzten, mal ablehnend, mal wohlwollend. Hayashi Razan etwa lernte bei Fujiwara Seika (1561-1619), der sich - vom Buddhismus enttäuscht - den Lehren des Konfuzius zugewandt hatte. Razan und seine Erben gelten als verantwortlich für die neokonfuzianische Doktrin des Tokugawa-Shogunats. 
   Auch Yamazaki Ansai kam vom Buddhismus und berief sich - wie Razan - vor allem auf die Lehren des chinesischen Neokonfuzianers Zhu Xi (1130-1200). Ansai verband sie mit dem Shintoismus zu Suika Shintô.
Der Rônin Arai Hakuseki wurde zu einem einflussreichen Berater des Shoguns Ienobu, besonders in Wirtschafts- und Verfassungsangelegenheiten. Itô Togai hingegen übernahm von seinem Vater Itô Jinsai, der noch als Einsiedler den Buddhismus und Taoismus studiert hatte, die Kogigakku-Schule und die darauf fußende "Bewegung der alten Lehren", die Zhu Xi kritisch gegenüberstand und sich stattdessen auf Menzius berief, an den Wert alltäglicher menschlicher Emotionen (ninjô) glaubte und eine einheitliche Schöpfungskraft (ichigenki) am Werke sah, die ein unbegrenztes kreatives Potential berge. 
   Von Kamata Ryû(k)ô (1754-1821) schließlich will ich ein paar Textstellen zitieren. Er war ein Vertreter der Shingaku (心学, "Herzenslernen")-Bewegung, die den Neo-Konfuzianismus mit Zen und Shinto verschmolz, - auf Ishida Baigan zurückgehend - den Stellenwert von Ethik und Moral in der Erziehung betonte und den Kampf für Menschen- und Frauenrechte in Japan inspiriert haben soll. 
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Daher haben die Weisen und Heiligen ihre Belehrung geschenkt: Um die Eigenheiten des Wesens zu ändern, das Krumme zu begradigen und das Dunkle aufzuhellen. Deshalb heißt es von den Alten, dass sie durch Lernen und Gewohnheit ihr Wesen ausbildeten. Dies sind wahrlich rechte Worte. Auch bei Menzius heißt es, dass durch beständige Rechtschaffenheit die flutende Lebenskraft genährt wird (浩然之気); auch dies meint nichts anderes als eifriges Üben. Im Buddhismus wird dies als „Absinken ins Speicherbewusstsein“ (含蔵識) bezeichnet. Dieses Speicherbewusstsein entspricht der achten Bewusstseinsstufe. Das Speicherbewusstsein ist das freie Bewusstsein (無心), welches so genannt wird, weil es alle guten und schlechten Dharmas () umfasst und enthält. In ihm werden alle vergessenen Dinge bewahrt und erinnert. Entgegen diesem Bewusstsein vergessener [aber im Speicherbewusstsein aufbewahrter] Objekte wird der Bereich der siebten Bewusstseinsstufe, in dem die Regungen einzelner Gedanken stattfinden, als „Übermittlungsbewusstsein“ (伝送識) bezeichnet. Der Bereich des Festhaltens und Loslassens entspricht der sechsten Bewusstseinsstufe und wird „Gedanken-Bewusstsein“ (意識) genannt [...] 

Wenn Körper und Geist den Dingen noch nicht entgegenstehen, spricht man etwas obskur vom Ungeborenen. Es ist etwas und ist doch nicht. Dies meint das „Buch der Wandlungen“ mit „still und unbeweglich“ (寂然不動).[1] In den „Aufzeichnungen über die Musik“ steht hierzu: „Von Geburt her ist der Mensch ruhend“.[2] In der Schrift „Maß und Mitte“ wird dies als „die Mitte vor der Entäußerung“ bezeichnet. Der Buddhismus nennt es „die wahre Leerheit und das Nirwana“ (真空寂滅). Laozi spricht davon, wenn er sagt: „Das Namenlose ist der Anfang von Himmel und Erde.“[3] Unvermittelt entsteht die Dualität der Welt, welcher Bewusstsein und unterscheidendes Denken folgen. Im „Buch der Wandlungen“ heißt es dazu: „Aus den Empfindungen schließlich werden die Dinge ins Dasein gerufen.“ Und in den „Aufzeichnungen über die Musik“ heißt es: „Die Bewegungen der Dinge sind die Regungen des Gemüts.“ „Maß und Mitte“ nennt es „den Zustand der Entäußerung“. Im Buddhismus wird es als „Folgewirkung und Soheit“ (随縁真如) bezeichnet. Laozi sagt davon: „Das Namenhabende ist die Mutter der zehntausend Dinge.“ Wenn man beispielsweise hier in der Stille schlafend dasitzt und dann plötzlich die Augen öffnet, sieht man die Blumen und den Mond und hört den Wind und den Regen. Diese Dinge bestehen im Bewusstsein ohne eigene Existenz. Fehlt der Gegenstand dem Bewusstsein für längere Zeit, bleibt nur noch die Erinnerung an Farbe und Form von Blumen und Mond und an den Klang des Regens. Dahinter liegt das Ursprüngliche, von Geist, Körper und Objekten freie, ohne Geburt und Tod, das Walten des einen Prinzips zwischen Himmel und Erde. Hier liegt das reine Wissen; der einzelne Mensch endet und die Begierden sind nicht mehr vorhanden. Dort ist der Mensch frei, klar und offen. Solcherart ist der Geist frei von [Konzepten wie] Kindesliebe, Treue und Aufrichtigkeit und trifft ganz von selbst das Rechte. Dies ist nichts weiter als die natürliche Folge der Ordnung des Himmels. Kein selbstverhaftetes Herz kann die Ordnung des Himmels stören. Deshalb treffen alle Dinge das Richtige zur rechten Zeit, die Welt ist geordnet und alles geschieht wie von selbst (治天下可運之掌上). Daher sind die Studien über das Prinzip in der ganzen Welt so geachtet. Aber durch Nachdenken und Unterscheidung kann man nicht dahin gelangen. Einfach das Denken loslassen und mit dem Unterscheiden aufhören, der Klarsicht des Bewusstseins gemäß (観心法), nichts anderes tun bei Tag und Nacht; im „Gehen und Stehen, Sitzen und Liegen“ muss man das innerste Wesen der Dinge erforschen. So gelangt man ganz natürlich zur Ruhe und Erkenntnis ohne Worte. In früherer Zeit sagte Shao Yong, was den nächtlichen Gesang betrifft: „Der Mond am Himmel, der Wind, der über das Wasser weht, alles ist ruhig und bedeutungsvoll; vermuten bedeutet, nur wenig zu wissen.“ Was könnte Shao Yong damit gemeint haben? Nichts als frischer Wind und ein klarer Mond. Wenn er noch etwas anderes im Sinn hat, ist es für uns jedenfalls nicht klar. Und im Lotos-Sutra steht der problematische Ausspruch: „Die verschiedenen Lehren folgen einander alle ursprünglich, und von jeher ist Nirwana der natürliche Zustand“. Hierüber habe ich viele Jahre lang nachgedacht, bis ich eines Tages im Garten sah, wie sich die Blumen öffneten, den Gesang einer Nachtigall hörte und unmittelbar eine große Erleuchtung erfuhr (大悟). [...] 

Wenn man sich dann weiterhin die heutigen Zen-Leute ansieht, haben sie sich allesamt einfach nur an ruhigen Orten niedergelassen. Ihr ruhiges, alltägliches Dasein stellt ihren großen Weg dar, ihre geistige Zufriedenheit ohne Höllen und Himmel, Verwirrung oder Erleuchtung. Berge sind einfach Berge, Flüsse sind einfach nur Flüsse. Mönche sind Mönche, Laien sind Laien. Wenn sie hungrig sind, essen sie, wenn es Probleme gibt, suchen sie nach einer Lösung. Konfrontiert man sie (aber) mit schwierigen Sätzen wie bei chu quan tou (背触拳頭) oder yi kou xi xiang (一口西江), wissen sie keinen Ausweg. [...]


Julian Braun: Geisteswelt der Edo-Zeit.
Texte bedeutender japanischer Denker und Neokonfuzianer des 17. und 18. Jahrhunderts.
272 Seiten. Hardcover. 29,90 €. ISBN: 978-3-943839-65-4. 
Leseprobe + Bestellen (oder anderswo im Buchhandel)


[1] Dazhuan: „Die Wandlungen haben kein Bewusstsein, keine Handlung, stille sind sie und bewegen sich nicht. Werden sie aber angeregt, so durchdringen sie alle Verhältnisse unter dem Himmel. Wenn sie nicht das Allergöttlichste auf Erden wären, wie könnten sie so etwas?“ (I. Abteilung, Kap. X. §4)
[2] „Der Mensch ist von Natur still, das ist seine himmlische Seele.“
[3] Daodejing, Kap. 1.
 

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