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Weisheiten aus den Briefen von Ying-an

 Im Folgenden Auszüge aus Briefen des Zen-Meisters Yingan Tanhua (1103-1163), dem Dharma-Nachfolger von Huqiu Shaolong (1077-1136), der wiederum Yuanwu Keqin, den Autor des Biyanlu (jap. Hekiganroku) beerbt hatte. Mehr findet sich in Thomas Cleary: Chan Instructions (2016).

„Beim über den ganzen Tag verteilten Erregen der Gedanken sei unmittelbar offen und leer – wie leerer Raum, ohne jegliche Form –, so dass die Gedanken nicht ergriffen werden können; außen und innen werden eins, Wahrnehmung und Objekte verschwinden, ebenso Mysterium und Verständnis; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind gleich. Erlangst du diesen Zustand, giltst du als freier Wanderer ohne Spitzfindigkeiten.“

„Wenn du in dieser Schule erfolgreich sein willst, gibt es keine besondere Technik, außer das Rückgrat aufzurichten. Wenn du darüber hinausgehst, verbindest du die Natur und das Leben von allem in der Welt mit einer zerrissenen Schnur, so dass niemand dem Netz entkommt.“

„Dies nennt man: die Melodie unterscheiden, wenn die Saiten in Bewegung gebracht werden, oder: wissen, dass Herbst ist, wenn die Blätter fallen.“

„Wissen durch Denken ist zweitrangig, Wissen ohne Denken drittrangig. Der Schlüssel liegt im Einzelnen, der es unmittelbar hervorbringt, der voriges angelerntes Verständnis und die Dualität von Licht und Schatten ablegt, um den Punkt reiner Nacktheit zu erreichen. Dann gilt es, sich weiter auf die andere Seite zu begeben und Buddhas wie Patriarchen bei ihrem Anblick zu töten. Doch dies ist noch immer die Arbeit von Dienern und Hausmädchen. Großartige Menschen sollten nicht nach Chan, nach dem Weg oder nach Mysterien suchen, oder nach Wunderworten von alten Mönchen am Rand ihrer Meditationskissen. Es ist ein Fehler, so etwas in den stinkenden Hautsack zu stecken und für letztgültig zu halten.“

„Wenn du tiefgründig untersuchst, werden gut und schlecht sich einfach unterscheiden.“

„Es wird kein Prinzip erlangt. Man erfährt nur den eigenen ursprünglichen Zustand.“

„Erleuchtet zu sein ist letztlich das Gleiche wie noch nicht erleuchtet zu sein. Wenn du dies verstehst, hast du den zweifelsfreien Zustand erlangt. Es gibt zwei Arten, nicht zu zweifeln. Durchschaut man den ursprünglichen Zustand, erreicht man den Punkt letztlichen großen Friedens; doch es besteht noch das Risiko, sich damit zu begnügen. Dann gibt es die Art des Nicht-Zweifelns, die auf willentlicher Blindheit beruht, indem man sich einredet, es hätte nie Täuschung gegeben und gäbe darum auch keine Erleuchtung; wird man dann näher zu diesem Zustand befragt, in dem es keine Täuschung und Erleuchtung gibt, dann steckt man fest. Diese Art nennt man verbrannte Samen oder verdorbene Sprossen; sie trennt die Lebenswurzel Buddhas ab und vergießt dessen Blut.“

„Diese Angelegenheit lag nie in intellektuellem Verständnis oder dem Erwerb von viel Wissen, auch nicht in klarer Ruhe, fortwährendem Sitzen oder Liegen, stiller Aufmerksamkeit.“

„Solange die universelle Wahrheit nicht klar erfasst ist, wie kann man da frei über die Köpfe von tausend Weisen laufen?“

„Wenn du es auf einfache Weise verstehen willst: Lass allzeit und überall keine Gedanken entstehen, dann stimmst du mit dem Weg überein.“

„Neuerdings ist die Chan-Schule schwach. Die Schwäche liegt darin, dass die Menschen sich selbst nicht vertrauen.“

„Lehrer und Schüler bestätigen einander und erniedrigen sich damit nicht nur selbst, sondern beschämen auch die Schule ihrer Vorfahren.“

„Selbst wenn es einen oder einen halben Schüler gibt, der anfänglich geeignet erscheint, erfasst er es in der Praxis überhaupt nicht. Denn er ist von vornherein unfrei und folgt nur angelernten Worten.“

„Der sechste Patriarch meinte: ‚Was ich gerade sagte, ist kein Geheimnis. Wendet eure Aufmerksamkeit einfach eurem ursprünglichen Gesicht zu. Das Geheimnis liegt in euch!“

„Wann hätte es je die Spur eines ‚Weges der Meditation‘ oder einer ‚Lehre des Buddha‘ gegeben, die den Menschen zu übermitteln wäre?“

„Durchdringe es bis zur Freiheit von Geburt und Tod als letztem Ziel.“

„Wuzu [Fayan, ebenfalls in Yingans Linie] sagte, alle falschen Aussagen und täuschenden Reden seien kleine Geschichten, das ursprüngliche Gesicht zu sehen sei hingegen eine große Story. Sind kleine und große Geschichten nun von einer Bedeutung oder von zweien?“

„Wende dich einfach dorthin, wo noch kein einziger Gedanke entstanden ist, und sogleich wird es sein, als würde der Boden aus einem Eimer fallen: Du wirst auf einen Schlag die Angelegenheiten zahlloser Zeitalter durchschauen.“

„Ich hatte ursprünglich keine Absichten. Dieser Schatz ist nun aus sich selbst erstanden.“

„Es heißt: ‚Zunächst begründe, was wichtig ist, dann können unwichtigere Dinge es nicht mehr wegnehmen.‘ Wenn du das, was wichtig ist, gemeistert hast, wird das Unwichtigere mit dem Wichtigen übereinstimmen, und das Wichtige wird dir wie eine kleine Sache vorkommen. Danach werden wichtig und unwichtig verschwinden, sie werden sich in etwas Grenzenloses vereinen.“

„Menschen des Weges, die den Konventionen entkamen, sind verschieden von anderen: Sie können Wind erzeugen, Gras durch Berührung erwecken, die Ablehnung von Menschen innerhalb und außerhalb der Welt erfahren.“

„Wer die wörtlichen Lehren Buddhas und der Meister als letztgültige Regeln ansieht, ignoriert hunderttausend klare Ozeane und erkennt nur eine einzige aufsteigende Luftblase.“

„Es ist nur die eingeborene Gegenwärtigkeit, die in jedem Individuum vorhanden ist.“

„Wenn sie danach Buddhas und Patriarchen sehen, töten sie diese.“

„Buddha verbrachte neunundvierzig Jahre damit, einen ganzen Kanon voller Pedantrie, voller Bejahungen und Verneinungen, Urteilen und Kritik zu verfassen. Als er sich nicht mehr abmühte, hatte er am Ende als Zusammenfassung nur dies: Er hielt eine Blume vor der Versammlung hoch und vermachte so sein Erbe. Das war kein gewöhnlicher Schwindel.“

„Das Chan-Studium beinhaltete nie eine andere Technik als loszulassen und im Nicht-Denken spontan mit dem Weg übereinzustimmen.“

„Es gibt keine andere Kunst, nur das Meistern des eigenen Geistes.“

„Wenn man das Stadium großer Ruhe und großen Erlöschens erlangt, wo nichts mehr verloren geht, dann sind die vier Arten der Geburt, neun Arten des Daseins, fünf Begierden und acht Winde plötzlich geklärt; das unzerstörbare krönende Auge wird genau und die große Barmherzigkeit eröffnet, die diejenigen errettet, die noch nicht gerettet wurden, und denjenigen antwortet, die noch keine Antwort erhalten haben.“

„Wenn du verstehst, dass Geist nicht gleich Gedanken ist, dann begreifst du Geist und mentale Phänomene.“

„Erreiche das Stadium, wo niemand dir eine Falle stellen kann. Doch auch das ist noch keine Meisterschaft. Wende dich an die andere Seite und aktiviere die Transzendenz, wonach du jeden auf der Erde lebendig machst.“

„Unser großer Lehrer Baiyun [Shouduan, 1025-1072] sagte: ‚Es ist notwendig, zu erwachen. Nach dem Erwachen ist es nötig, jemanden aufzusuchen.“

„Unser großer Lehrer Baiyun sagte: ‚Du musst das Auge haben, schwarz und weiß zu unterscheiden, sonst wirst du Vermutungen zur Buddha-Natur anstellen und dir unsicher sein, was wahres Sosein ist.‘ Doch was ist dieses Auge für schwarz und weiß? Eine zerbrochene Holzschöpfkelle.“

„Der wesentliche Punkt der Buddhas und Patriarchen gibt überhaupt nichts zu.“

***

Und hier ein paar interessante Tiraden und Redewendungen von Yingan:

„Leute, die das Wasser aus Fußbädern schlürfen“

„Sie meinen, Schmerz von ihrem Jucken her zu verstehen.“

„In faulendem Wasser sitzen, mit Fröschen und Würmern singen und summen.“

„Ein flinker Falke greift keinen Sperling im Käfig an.“

„nach Elefanten-Stoßzähnen im Mund einer Ratte suchen“

„Wenn du den höchsten Berg nicht erklommen hast, wie kannst du da das Land als klein bezeichnen?“

 

 


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