"Sie
waren in einen Raum getreten, aus dem man auf den Hof sah und in dem
jemand in riesengroßen Lettern zwei singhalesische Wörter an die Wand
geschrieben hatte: MAKAMKRUKA. Und auf der gegenüberliegenden Wand:
MADANARAGA. "Was ist das?" Sind das Namen?" (...)
"Nein, keine Namen. Ein makamkruka
ist ... ein Anführer, ein Agitator. Jemand, der die Dinge vielleicht
genauer sieht, weil er alles auf den Kopf stellt. Er ist fast ein
Teufel, ein yaksa. Andererseits bewacht ein makamkruka
merkwürdigerweise die heilige Stelle vor dem Tempel. Niemand weiß, warum
eine solche Person mit dieser Verantwortung geehrt wird. (...)
Das andere ist eigenartiger. Madanaraga bedeutet: 'mit der Schnelligkeit der Liebe', sexuelle Erregung."
(Michael Ondaatje: Anils Geist. Hanser 2000)
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Jôshu Sasaki Rôshi hat 2013, also kurz vor seinem Tod – und nachdem er etliche Entwürfe anderer Texte vernichtet hatte – nur eine einzige kleine Schrift zur Veröffentlichung freigegeben. Da es in seiner Gemeinschaft Rinzaiji in Los Angeles verständlicherweise nach seinem Tod zu Veränderungen kam, habe ich nicht erwarten können, dass man mir meine Übersetzungsanfrage für diesen Text beantwortet; zudem wurde mir aus dem deutschen Umfeld Sasakis gesagt, dessen Frau Haruyo (hier ein Foto) würde ebenfalls Ansprüche anmelden. Wie Ihr wisst, halte ich mich aus institutionellen Belangen weitgehend heraus. Stattdessen fasse ich den Text, den Ihr hier zweisprachig auf Japanisch und Englisch bestellen könnt, einfach zusammen. Ich habe an anderer Stelle in diesem Blog schon einfließen lassen, weshalb ich den Kern von Sasakis Aussage für wesentlich halte – dass wir, das lese ich aus Tathâgata Zen heraus, scheinbare Widersprüche integrieren sollten, statt sie von uns zu weisen. Meines Erachtens war Sasaki ein lebendes Beispiel für diesen Ansatz. Vor allem aber ergeben sich von daher einige Gegensätze zu dem, was sich gemeinhin auf dem westlichen Zen-Markt an Schönfärbern, Dünnbrettbohrern und Ethikratgebern tummelt. Auch dazu später mehr, denn mit dem Schwerpunkt auf Tathâgata Zen lässt sich weitgehend ein Verständnis des Zen und der buddhistischen Lehre entwickeln, wie ich es hier und in Foren seit Jahren unter Rückgriff auf verschiedene Schulen und Zweige vertreten habe. Wahrscheinlich haben diejenigen, die damals meine Ergänzungen zu Jôshus Eintrag bei Wikipedia bezüglich der gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfe zu löschen trachteten, nicht verstanden, dass ich ganz in seinem Sinne gehandelt habe ...
Einleitend noch die biografische Info, die meiner Fassung
beigegeben war, in Kürze.
Kyôzan Jôshu Sasaki Rôshi (1907-2014) war ein Erbe in 8.
Generation der Linie Hakuin Ekakus (Rinzai Zen). Mit vierzehn Jahren ging er in
den Zuiryô-Tempel in Hokkaido und wurde Schüler von Jôten Sôkô (Miura,
1871-1958), dem einzigen Dharma-Erben von Banryô Zenso (Matsuhara; 1848-1935).
Im Jahr 1947 erhielt Sasaki die Dharma-Übertragung (inka) von Jôten
Rôshi. Er praktizierte und übte dann einige Jahre im Zuigan-Kloster in
Matsushima und im Shôju-an in den Japanischen Alpen. 1962 bat ihn Taikô Sôtaku
(Furukawa, 1871-1968), Abt des Haupttempels Myôshinji, seine Lehre des Tathâgata
Zen in den USA vorzustellen [wo Sasaki zunächst vor allem von einem Ehepaar
unterstützt wurde]. Sasaki begründete Zentren u.a. in Mt. Baldy, Los Angeles,
Jemez Springs (New Mexico), Puerto Rico und Europa.
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Im Tathâgata Zen wird Buddha als ein erwachter Mensch
verstanden. Jeder Erwachte, der lehrt, gibt in diesem Sinne buddhistische
Lehren. Das Satori, das Erwachen, ist gewissermaßen ein Aufwachen des
zuvor „schlafenden“ bzw. in Illusionen verstrickten Selbst. Manchmal wird
daraus ein Heiliger, manchmal ein gewöhnlicher Mensch. Er ist wiedergeboren im
Sinne von „ins Leben zurückgekehrt“ (jap. yomigaeru).
Rechtes Zen ist die Manifestation des Selbst der völligen
Stille (engl. stillness). Stille ist Aktivität (hataraki) ohne
Wille und Begehren, jedoch die Folge von
Bewegung. In der Stille sind gegenläufige Aktivitäten vereint, in der Bewegung
hingegen zeigt sich Trennung. Wenn Bewegung nach dem Verwirklichen der Stille
geschieht, ist das wie wenn plus und minus zu null wurden, um sich dann spontan
wieder sowohl als plus und minus zu zeigen, als Sein (u) und Nichtsein (mu)
oder als Leben und Tod. Da die wahre eigene Natur (jibun) bar des
Willens und Begehrens ist, umfasst sie also auch den Aspekt des Todes.
Zen ist die Manifestation von Aktivität, die das Selbst
negiert, welches auf einem unvollständig funktionierenden (fukanzen)
Bewusstsein fußt, also die Kultivierung eines Selbst, das ein vollständig
funktionierendes Bewusstsein bzw. vollständige Weisheit (kanzen chi)
repräsentiert. Um uns unaufhörlich zu verfeinern (todomaru koto naku kôshû
suru), werden im Tathâgata Zen mit den Begriffen „Gast“ und „Gastgeber“
gegensätzliche Zustände wie Leben und Tod oder Ausdehnung und Kontraktion
(Form) beschrieben, in denen sich das Universum zeigt, das Existenzen letztlich
zum Verlöschen oder Verschwinden (inmetsu) bringt. Für den
Praktizierenden ist es wichtig, „den Standpunkt der Quelle“ (kongen no
tachiba) einzunehmen, also aus der zugrundeliegenden Aktivität des Universums
und Bewusstseins – der Unbeständigkeit – zu agieren: Alles entsteht aus der
Leere und ist zum Verlöschen bestimmt. Freiheit von Karma – als Aktivität der
Unbeständigkeit – wird vom wahren oder ursprünglichen Selbst (honrai no
jiko) nur erlangt, wenn es die äußeren Aspekte des „Gastes“ (Leben) und die
inneren des „Gastgebers“ (Tod) in sich vereint.
Im Tathâgata Zen stehen die fünf skandha[1]
sowohl für die Konzentration ihres eigenen zerstreuten Zustands in einem Punkt
wie auch für die erneute Zerstreuung dieser Konzentration. Die Übung der
Konzentration ist dhyâna (Zen), doch sie allein vollendet das Selbst
nicht (kanzen ni shiageru). Denn auch die Aktivität eines zerstreuten
Geistes (kokoro no sanman suru hataraki) gehört zu dessen Wirklichkeit
und muss verstanden werden. So wird das einseitige dhyâna zu Tathâgata
Zen, dem „dhyâna des so Kommenden und so Gehenden“. In der Lesart „Tathâ-âgata“
bedeutet es das Umfassen aller Gegensätze, eine lebendige Aktivität, die alles
zu ihrem Inhalt machen kann. Sie manifestiert sich als „leere Essenz“[2] (kûtai),
nachdem man den „Gastgeber“ hinter der offensichtlichen Kulisse des materiellen
Lebens entdeckt hat. Diese Verkörperung (ritai) der Einheit von Gast und
Gastgeber und ihrer unbeständigen Aktivität bedeutet Befreiung von Sprache und diskursivem
Denken (zetsugon zetsuryo). Die Manifestation ihrer „materiellen Essenz“
ist der volle Lotussitz (Zazen).
„Leere Essenz“ ist auch das, was erscheint, wenn die Leere
dieser Essenz sich in zwei teilt. Das so erstandene Selbst sollte eine
Beziehung zwischen „Gast“ und „Gastgeber“ etablieren, die es ja hervorbrachten.
Jedes Mal, wenn eine neue Trennung von „Gast“ und „Gastgeber“ stattfindet, will
das Selbst sich jedoch dem Gast (Leben usf.) unterwerfen und den Gastgeber (Tod
usf.) meiden. Solch ein Selbst muss ausgelöscht werden, da es noch etwas zu
meiden sucht. Dazu begibt es sich auf den Weg der Selbstlosigkeit – mit einer
Entschlusskraft, zu erwachen, die wir bodhicitta nennen.
Vielleicht wäre es besser gewesen, Joshu Sasaki hätte all seine Schriften vernichtet? War das nicht die Idee des Zen?
AntwortenLöschenAus Wikipedia:
Huike sprach, „Meister, mein Geist ist voll Unruhe, bitte bringe ihn zur Ruhe.“ Bodhidharma antwortete, „Zeig her deinen Geist und ich will ihn beruhigen!“ Huike zögerte und sagte, er könne seinen Geist nicht finden. Darauf sagte Bodhidharma, "Siehst du, ich habe ihn schon beruhigt."
Namaste!
AntwortenLöschenDas oben beschriebene "Tathâgata-Zen" erinnert mich stark ans Leben von Ikkyû Sôjun Zenji...
Natürlich nicht zufällig!
< gasshô >
Benkei