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Meine Übertragungslinie

Kürzlich wurde ich auf eine leidige Diskussion um authentische Nachfolger eines so genannten Zen-Meisters hingewiesen. Ich habe dazu folgende Ansicht: Mit religionskritischen und historischen Mitteln lässt sich praktisch jede Zenlinie aufbrechen bzw. als nicht konsistent aufzeigen. Es ist also faktisch nicht möglich, einen heutigen Zenmeister nahtlos in seiner "Übertragung" (des Dharma, des "von meinem Herzen zu deinem Herzen") auf den Shakyamuni Buddha zurückzuführen. Dieses Konstrukt ist nichts weiter als eine Idee, eine Fiktion. Mit der gleichen Berechtigung kann sich jemand, der heute im Geiste Hui-nengs, des 6. (chinesischen) Patriarchen, lebt, natürlich auch in dessen "Linie" sehen. So wie einer behaupten kann, im Geiste eines Nietzsche, Sokrates oder Epikur zu leben.

Wenn ich mir anschaue, wer sich so alles auf Hui-neng zurückführt (und vor allem, dass natürlich schon ein Bodhidharma sich von der Lehre des Palikanon und damit des Shakyamuni Buddha entfernt hat und auch diese Verbindung nur eine angenommene ist), dann frage ich mich: Was hätte wohl Hui-neng dazu gesagt? Er hätte einige aus Linien gekickt, die sich auf ihn berufen, wahrscheinlich sogar den Dôgen Zenji. Da müsste doch echt mal ein Maitreya-Buddha her, der rückwirkend die Dinge geraderückt.

Ich finde es also richtiger, sich in eine Linie mit den Meistern zu stellen, denen man praktisch aus der Hand frisst. Die dazwischen sagen mir oft gar nichts, und ein Patriarch wie der Aryadeva (Kanadeva, jap. Kanadaiba), dessen Verse ich mal übersetzte, hat an ein paar Stellen so dummes Zeug geredet, dass ich mir auch keinen abbrechen muss, seinen Namen in der Rezitation der Meister (Gojûshichi butsu) zu singen. Wenn ihr mir nicht glaubt, hier ist eine offizielle Wiedergeburt von Aryadeva zu beglotzen, ein Tibeter mit Mikrofilmgebete-Rassel.

Meine Linie ist also die "Ideal-Linie". Sie besteht nur aus den Meistern, die mir tatsächlich was geben konnten, die mich weiterbrachten. Ob tot oder lebendig. Mein Vater ist auch darin. Darum ist meine Linie auch nur meine. Ich überlege gerade, ob ich mir dafür von einem gescheiten Japanologen mal ein Ketsumyaku machen lasse. Damit könnte ich allerlei Unfug treiben, so wie die anderen. Oder wie der Tibeter in dem Film, der meint, Liebe sei die Ursache für Glück, und sich natürlich auch auf eine Linie beruft, und das selbstverständlich ausnutzt, um allen zu zeigen, dass der Guru und der Schüler nicht gleich sind. Eine Wahnsinnshow, die da abläuft. Könnte natürlich auch einfach mal schauen, ob der Dalai Lama erkennen kann, dass ich die Wiedergeburt von Ikkyu bin ;-)

Kommentare

  1. Namaste!

    Ich fürchte, was Ikkyû Sôjun Rôshi angeht, da gibt es nicht wenige, die ihm seine Verwirklichung absprechen. Andererseits gibt es aber auch viele - so wie mich - die Stolz wären, ihn "in ihrer Linie" zu haben .-)

    Jaja, der ganze Linien-Firlefanz.
    Wer "aufgenommen" wurde verteidigt das in der Regel, und wer nicht "aufgenommen" wurde, bzw. dies nicht versucht (hat), der lehnt das ganze Getue entweder ab oder er "erfindet" einfach seinen eigenen direkten Meister [oder dichtet das einem Toten oder Lebenden, der nix davon weiß an] und kreiert seine eigene ununterbrochene Dharmalinie.

    Ich persönlich muss Dir absolut zustimmen, GuiDo. Was spricht dagegen, sich eine reele eigene Linie zu kreieren in die man die Lehrer aufnimmt, von denen (oder von deren Werken) man wirklich etwas essenzielles gelernt hat?
    Der Begründer der japanischen Jôdo Shû, Hônen bo Genku [Hônen Shônin], hat ja genau das damals gemacht. Er stellte sich, als Begründer seiner Schule des Reinen Landes, die japanischen, chinesischen und indischen Meister voran, die seine eigene Lehre des Reinen-Land-Buddhismus untermauerten bzw. selbst mitentwickelt haben. Der Umstand, dass zwischen den so betitelten "Patriarchen" teilweise mehrere Jahrhunderte liegen, war ihm gänzlich egal. Ihm ging es ja nicht um eine fiktive "von Geist zu Geist" übertragung, sondern um den Jôdomon.

    Was bringt denn auch eine "von Geist zu Geist"-Linie, wenn ich faktisch überhaupt nix von irgendwem bekommen habe? - Sie bringt nur dem Ego etwas, und mit Hinterlist natürlich auch dem eigenen Geldbeutel.

    < gasshô >

    Benkei

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  2. Ja, die Jodoshu kann auch einem Zennie recht sympathisch sein.

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  3. Hi Gui Do

    Schöne Idee das mit der "Ideallinie". Wenn man ehrlich ist geht es wahrscheinlich gar nicht anders. Man könnte auch fragen, wer einen sonst noch so beeinflußt hat, ohne explizit mit Buddhismus zu tun gehabt zu haben. Gehören die nicht zur Linie? Für viele brave Buddhisten sind Menschen, die nicht Buddhismus betreiben einfach nicht würdig irgendwo in einer Linie aufzutauchen. Welche ein Fehler. Wo wären wir heute z.B. ohne Gutenberg? Der gehört also schon mal in die Linie eines jeden der eine Buch zu lesen weiß (wenig sind das heute noch, ich weiß). Ich habe z.B. William Burroughs in meiner Linie. Ein Junky. In einem buddhistischen Zentrum darf ich das nicht sagen, Bill hat schließlich keine Mantras gemurmelt. Andererseits Drogen sind auch kein Ausschlußkriterium. Bekanntlich ist Chögyam Trunkpa ein passionierter Säufer gewesen, der auch andere Substanzen wie Koks z.B. nicht verschmäht hat (zum Glück ist der nicht in meiner Linie; ich würde schon zu leben aufgehört haben).... Der letzte Satz deines Postings erinnert mich an eine Frage, die ich schon immer mal vor einer Versammlung braver Buddhisten stellen wollte. Wer kann mir beweisen, daß ich nicht erleuchtet bin?

    Viele Grüße, Matthias

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  4. Es ist schon ein Unterschied ob ein Lehrer eine entsprechende Lehrerlaubnis hat oder nur ein "Selbsternannter" ist. Ich gehe ja auch nicht zu einem Arzt der sich lediglich selbst als solcher bezeichnet. Was im Umkehrschluss nicht heisst das jeder "Diplomierte" über jeden Zweifel erhaben ist-sollte eigentlich alles logisch sein-oder?

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  5. Beim Arzt haben wir ganz andere Kontrollsysteme, die innerhalb des Buddhismus nicht bestehen - bzw. versagen. Es ist deshalb auch nicht möglich, dass ein Arztvater einfach seinen Sohn zum Arzt ernennt. Aber ein Zenmeister kann seinen Status leicht auf den Sohn übertragen. Gerade wenn es um "Lehrbefugnis" geht, lässt sich wahrscheinlich schnell nachweisen, dass ein guter Buddhologe mehr Kenntnisse hat als ein durchschnittlicher "Meister".

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  6. Es gibt ziemlich schlechte Buddhologen. Mir ist ein Fall persönlich bekannt. Und auch gegen die existiert kein sicherer Schutz. Mal davon abgesehen das auch "Kenntnisse" in bestimmten Fällen auch ganz schön nerven können

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